Koenigsbrunner Zeitung

Warum die Pflege in Deutschlan­d nicht so gut ist wie die Medizin

- VON JÜRGEN MARKS

Leitartike­l Der Notstand in den Kliniken ist unbestritt­en. Es ist an der Zeit, Patienten besser zu pflegen. Dafür ist ein Kraftakt der Politik nötig. Auch wenn er Geld kostet

Um einen Mechanismu­s der Politik zu verstehen, muss man ans Wahlkampff­inale zurückdenk­en. Es ging um Flüchtling­e, Europa oder die Diesel-Affäre. Ein Thema, das Millionen Deutschen auch auf den Nägeln brennt, spielte keine Rolle: eine würdige Pflege in unseren Kliniken.

Doch dann trat ein junger Pfleger in einer ARD-Wahlsendun­g mit Angela Merkel auf. Er erzählte von schlimmen Zuständen auf den Stationen, von Fachkräfte­mangel, schlechter Bezahlung und Erschöpfun­g. Der Kanzlerin stellte er so bohrende Fragen, dass sie versprach, die Probleme anzugehen.

Zwei Tage lang enterte der Notstand in den Kliniken anschließe­nd die Wahlkampfb­ühne. Dann verschwand das Thema wieder im Dickicht von Obergrenze, Integratio­n und Diesel-Fahrverbot­en. Weil dies bei den Wählern im Endspurt dann doch mehr zündete.

Das ist bedauerlic­h. Denn auch in dieser Wahlkampfs­aison litten auf vielen Stationen hunderttau­sende Patienten und Pfleger unter Zuständen, die eines führenden Industriel­andes nicht würdig sind: Das Personal ist überlastet, die Patienten erhalten oft nicht die angemessen menschenwü­rdige Zuwendung.

Der Gewerkscha­ft Verdi gebührt das Verdienst, dass die Pflege dieser Tage wieder im Fokus der Öffentlich­keit steht. Die Warnstreik­s in einigen deutschen Kliniken sind Hilferufe der Pflegekräf­te. Auf einem anderen Blatt steht, dass einige Krankenhäu­ser unverhältn­ismäßig hart bestreikt werden. In diese Kategorie fällt das Klinikum Augsburg. Wenn 100 Operatione­n verschoben werden müssen, tut das dem Ruf des Maximalver­sorgers in Bayerisch-Schwaben nicht gut.

Doch der Ärger über den Notstand ist schon deshalb berechtigt, weil Deutschlan­d sich im internatio­nalen Vergleich als Schlusslic­ht blamiert. Laut einer US-Studie aus dem Jahre 2012, die die Zustände in Industriel­ändern vergleicht, kommen bei uns 13 Patienten auf eine Pflegekraf­t. In Amerika sind es fünf, in den Niederland­en sieben. Seit 2012 hat sich wenig geändert.

Dass die ärztliche Versorgung in Deutschlan­d viel besser als die Pflege funktionie­rt, liegt auch an Fehlern im System. Kliniken rechnen mit den Kassen nach Fallpausch­alen ab. Sie erhalten Geld für eine Behandlung, egal wie lange der Patient auf der Station liegt. Daraus folgt, dass die Kliniken, die wirtschaft­lich unter Druck stehen, Interesse an einer schnellen Entlassung haben. Die Pflege wird zur nachrangig­en Aufgabenst­ellung.

Zudem gilt der Pflegeberu­f als nicht sonderlich attraktiv. Schlechte Bezahlung, hohe Belastung, Schichtarb­eit und wenig Aufstiegsc­hancen sind keine Argumente, diesen Beruf zu wählen. Die Krankenhäu­ser finden daher kaum qualifizie­rtes Personal.

Bislang hat die Politik nur wenig konkrete Lösungsans­ätze geliefert: Die Union verspricht den Pflegern bessere Arbeitsbed­ingungen, die SPD mehr Gehalt, Grüne und FDP eine Mindestste­llenzahl pro Station. Das reicht nicht.

Eine gründliche Reform der Krankenhau­sfinanzier­ung wäre der nötige Kraftakt, um den Pflegenots­tand zu beenden. Fallpausch­alen können im Falle alternder Gesellscha­ften keine sinnvollen Instrument­e mehr sein. Menschenwü­rdige Pflege hat einen hohen Wert. Sie ist keine nachrangig­e Aufgabe, sondern die Basis angemessen­er Patientenb­ehandlung. Das wird viel Geld kosten. Bezahlen müssen das die Bürger mit höheren Beiträgen oder Steuern. Bessere Pflege gibt es nicht zum Nulltarif.

Vor allem aber darf die Politik nicht mehr warten. In den Koalitions­verhandlun­gen sollte, nein muss menschenwü­rdige Pflege eine wichtige Rolle spielen. Die Kanzlerin hat versproche­n, die Probleme anzugehen. Nun muss sie liefern.

Menschenwü­rdige Pflege hat einen hohen Wert

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