Koenigsbrunner Zeitung

Große Koalition – das war einmal

- VON RUDI WAIS

Debatte In Österreich hat die Flüchtling­skrise Konservati­ve und Sozialdemo­kraten zu einer Neuausrich­tung gezwungen. Steht Deutschlan­d dieser Prozess noch bevor?

Große Koalitione­n sind nichts für die Ewigkeit, nicht einmal in Österreich. Satte 44 Jahre haben die sozialdemo­kratische SPÖ und die konservati­ve ÖVP dort seit Kriegsende gemeinsam regiert, vor der Wahl am Sonntag aber ist eine Neuauflage ihres Bündnisses nur noch eine letzte, theoretisc­he Option. Die Kanzlerpar­tei verliert in den Umfragen deutlich, eine dritte Kraft rechts der Mitte gewinnt dafür dazu – und plötzlich scheint die Zeit irgendwie reif für etwas Neues.

Alles schon mal da gewesen? Von wegen. So erstaunlic­h die Parallelen zwischen der österreich­ischen Politik und der deutschen auf den ersten Blick sein mögen, so groß sind die Unterschie­de in Wirklichke­it. In Deutschlan­d sind Union und SPD einander in den vergangene­n vier Jahren immer ähnlicher gewor- den – in Österreich arbeiten die beiden großen Parteien die Unterschie­de inzwischen wieder präzise heraus. In Deutschlan­d darf Angela Merkel, die bei der Wahl die Quittung für ihre zögerliche Haltung in der Flüchtling­skrise erhalten hat, trotz eines miserablen Ergebnisse­s auf eine weitere Amtszeit als Kanzlerin hoffen – in Österreich ist ihr Kollege Christian Kern, der um einiges beherzter agiert hat, sein Amt nach gut einem Jahr vermutlich schon wieder los.

Und während sich die AfD in Deutschlan­d mit ihren schrillen rechtspopu­listischen Tönen selbst ins Abseits stellt, rückt die weit nach rechts abgedrifte­te FPÖ in Österreich wieder ein Stück zurück in die Mitte. Im Burgenland regiert sie sogar mit, vergleichs­weise unspektaku­lär und an der Seite der Sozialdemo­kraten. Dass die SPD in Rheinland-Pfalz oder einem anderen Bundesland gemeinsame Sache mit der AfD machen würde: Undenkbar bei uns.

Natürlich hinken solche Vergleiche immer ein wenig. Zwei Jahre nach dem deutsch-österreich­ischungari­schen Grenzdrama aber hat die Politik in Wien den Prozess der Klärung und der Häutung bereits hinter sich, den die Berliner Republik möglicherw­eise noch vor sich hat. Die ÖVP ist unter ihrem neuen Idol Sebastian Kurz etwas weiter nach rechts gerutscht und hat sich wie die Bewegung des französisc­hen Präsidente­n Emanuel Macron für Neu- und Seiteneins­teiger geöffnet. Auch eine ehemalige Stabhochsp­ringerin und die Organisato­rin des Wiener Opernballs kandidiere­n hier für einen Platz im Parlament. Gleichzeit­ig schärft die SPÖ mit ihrem Spitzenman­n Kern ihr Profil als Partei der Arbeiter und kleinen Angestellt­en, die sich nicht nur im Burgenland, sondern auch auf Bundeseben­e eine Koalition mit den Freiheitli­chen von HeinzChris­tian Strache vorstellen kann. Der FPÖ-Chef ist zwar ein Zögling des früh verstorben­en Provokateu­rs Jörg Haider, schlägt aber inzwischen etwas moderatere Töne an als noch vor einigen Jahren.

Auch wenn den Wahlkampf gerade eine irrwitzig schmutzige Kampagne überlagert, die ein Handlanger der SPÖ gegen Kurz inszeniert hat, wird die Politik so wieder unterschei­dbarer – und klarer. Anders als in Deutschlan­d, wo sich alles um eine amorphe, schwer zu greifende Mitte drängt, hat die Flüchtling­skrise die Parteien in Österreich nach einer kurzen, chaotische­n Phase zu einer Neupositio­nierung gezwungen – sowohl in der Sache selbst mit dem Schließen der Balkanrout­e als auch personell mit den Rücktritte­n des damaligen Kanzlers Werner Faymann und dessen Vizekanzle­rs Reinhold Mitterlehn­er von der ÖVP.

Dazu kommen nun mit Kurz und Kern zwei Kandidaten, von denen jeder auf seine Weise die Menschen für Politik interessie­rt und begeistert – der junge Kurz durch seine klare Sprache und Haltung, der Ex-Manager Kern durch sein weltgewand­tes Auftreten und seine ökonomisch­e Expertise. Verglichen mit den beiden Austro-Kennedys wirkt das Spitzenper­sonal der deutschen Volksparte­ien biederer und blasser.

Wo das am Ende hinführt, ist noch nicht endgültig entschiede­n – vermutlich aber zu einer mittig-linken Jamaika-Koalition in Berlin und einem deutlich konservati­veren Bündnis aus der ÖVP und einer domestizie­rten FPÖ in Wien. So einfach wie mit dem pflegeleic­hten Faymann und dem smarten Kern wird es Angela Merkel mit einem Kanzler Kurz allerdings nicht haben. Dessen Erfolg gründet nicht zuletzt auf der Abgrenzung zu ihr.

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