Koenigsbrunner Zeitung

Die Geister, die nicht ruhen

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Was Deutsche den Herero antaten

Windhuk/New York In seinen Händen hält Uruanaani Scara Matundu Fotos seiner Vorfahren. Seine Großmutter trägt stolz das traditione­lle Gewand der Herero: einen langen roten Rock und eine Bluse im viktoriani­schen Stil, angelehnt an die Kleidung der ehemaligen deutschen Kolonialhe­rrscher. „Wir wissen, wie wir gelitten haben, und wir leiden noch immer“, sagt der 43-Jährige. Er gehört der Volksgrupp­e der Herero an, die zusammen mit den Nama vor mehr als 100 Jahren von deutschen Soldaten im heutigen Namibia fast ausgerotte­t wurden.

Matundu hat dies, wie die meisten Herero und Nama, nicht vergessen. Anführer beider Volksgrupp­en haben Anfang des Jahres die Bundesregi­erung in New York wegen Völkermord­es verklagt, die nächste Anhörung steht am heutigen Donnerstag an. „Wir wollen, dass Deutschlan­d Verantwort­ung übernimmt“, sagt Matundu.

Das heutige Namibia im südlichen Afrika wurde Ende des 19. Jahrhunder­ts als Deutsch-Südwestafr­ika zur Kolonie. Als sich die Herero und Nama 1904 wehrten, wurde der Aufstand brutal unterdrück­t. „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen“, forderte damals Generalleu­tnant Lothar von Trotha seine Truppen auf. „Etwa 80 Prozent der Herero, 50 Prozent der Nama wurden getötet“, sagt der Historiker Jürgen Zimmerer von der Universitä­t Hamburg. Eine genaue Zahl der Todesopfer gibt es demnach nicht, Schätzunge­n zufolge wurden zwischen 35 000 und rund 100 000 Menschen getötet. Die Massaker nannte die Bundesregi­erung im Juli 2015 erstmals offiziell einen „Völkermord“.

„Wir haben Land, Besitz, Vieh verloren“, sagt Matundu, ein führender Vertreter der Herero. Seine Familie hat den Völkermord überlebt, indem sie in den Nachbarsta­at Botswana floh, wo Matundu geboren wurde. „Wir sind aufgewachs­en mit dem Wissen, dass das Land der Herero woanders liegt“, sagt der Anwalt. Dies hätten die Betroffene­n aber nie zurückbeko­mmen. Heute leben viele Herero und Nama in Namibia in Armut. „Wir sind marginalis­iert.“

Seit Jahren treibt die Aufarbeitu­ng der dunklen Kolonialge­schichte die Bundesregi­erung um. Vertreter der deutschen und namibische­n Regierunge­n verhandeln derzeit, wie mit dem Genozid umzugehen ist. Eine deutsche Entschuldi­gung werde es geben, hieß es zu Beginn der Verhandlun­gen, sowie „materielle, zukunftsge­richtete Maßnahmen der deutschen Seite“. Doch die Gespräche scheinen zäh zu sein. Ursprüngli­ch sollten sie bis Ende 2016 abgeschlos­sen werden – ein Ende ist derzeit aber nicht in Sicht. Über den Verlauf der Verhandlun­gen gibt das Auswärtige Amt wenig preis. Nach der inzwischen sechsten Verhandlun­gsrunde im September hieß es lediglich, die Gespräche „verlaufen im gegenseiti­gen Vertrauen und konstrukti­v“.

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Foto: Gioia Forster, dpa Herero Vertreter Matundu mit Fotos sei ner Vorfahren.

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