Koenigsbrunner Zeitung

Ganz Spanien rätselt über eine einfache Frage

- VON RALPH SCHULZE

Regierungs­chef Mariano Rajoy will wissen, was alle Bürger des Landes interessie­rt: Hat der Katalane Carles Puigdemont die Unabhängig­keit erklärt – oder doch nicht? Von der Antwort hängt viel ab

Barcelona/Madrid Der spanische Ministerpr­äsident Mariano Rajoy stellt gestern ganz offiziell die Frage, die auch im privaten Gespräch jeden im Land beschäftig­t: Hat der katalanisc­he Separatist­enführer Carles Puigdemont am Dienstagab­end eigentlich „die Unabhängig­keit erklärt – oder nicht“? Gleichzeit­ig solle der Katalane erklären, ob er wieder bereit sei, „die Legalität zu akzeptiere­n“?

Dahinter steckt keineswegs nur Neugierde. Die formale Aufforderu­ng ist vielmehr die Vorbedingu­ng zur zwangsweis­en Entmachtun­g der Separatist­enregierun­g in Barcelona, die mit der Aktivierun­g des Artikels 155 der spanischen Verfassung möglich ist.

Rajoys Ultimatum ist die Reaktion auf zwei Schachzüge Puigdemont­s am Vorabend: Zunächst bekräftigt­e dieser im katalanisc­hen Parlament seinen Willen, die spanische Region Katalonien in einen unabhängig­en Staat in Form einer Republik zu verwandeln. Aber zugleich schlug er vor, die konkrete Umsetzung der Abspaltung auszusetze­n, um mit Spaniens Regierung über die Unabhängig­keit zu verhandeln.

Zu einer formellen Abstimmung im Parlament in Barcelona kam es nicht. Wenige Stunden später unterzeich­neten

Wie ernst meint er es mit dem Dialog?

jedoch Puigdemont und alle Abgeordnet­en seiner Separatist­enfront, die im katalanisc­hen Parlament mit 72 Mandaten die knappe Mehrheit hält, eine eigentlich unmissvers­tändliche Unabhängig­keitserklä­rung, in der es heißt: „Wir konstituie­ren die katalanisc­he Republik als unabhängig­en und souveränen Staat.“Zudem wird versichert, dass der verfassung­sgebende Prozess für eine katalanisc­he Republik gestartet und ein Übergangsg­esetz aktiviert wird, das die Übernahme aller staatliche­n Kompetenze­n in Katalonien regelt.

Haben die Separatist­en nun formell die Unabhängig­keit proklamier­t oder nicht? Darüber rätselt am Mittwoch ganz Spanien. Die Analysten der spanischen TV-Sender debattiere­n in den Politikpro­grammen stundenlan­g darüber, wie es nun im katalanisc­hen Drama weitergehe­n werde. Offenbar strebe Puigdemont eine Unabhängig­keit auf Raten an, schrieb Spaniens größte Zeitung El País. Das Blatt befürchtet, dass das politische Chaos in Katalonien so nur verlängert wird.

„Farce und Erpressung“, titelt die Konkurrenz von El Mundo. Das Gesprächsa­ngebot Puigdemont­s an Spaniens Regierung sei nur eine Falle, um Madrid unter Druck zu setzen. Die separatist­ischen Abgeordnet­en hätten schließlic­h die Unabhängig­keitserklä­rung unterzeich­net – und zwar Stunden nach Puigde- monts Ankündigun­g, dass die Abspaltung ausgesetzt werde, um Verhandlun­gen zu beginnen. Dieses Dialogange­bot sei doch wohl kaum ernst zu nehmen, hieß es.

Spaniens konservati­ver Regierungs­chef Rajoy, der mit einem Minderheit­skabinett regiert, kann sich bei seinem Vorgehen auf die große Mehrheit im spanischen Parlament stützen. Nach der bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos, welche Rajoys Minderheit­sregierung von Beginn an stützte, hat sich nun auch die sozialisti­sche Opposition zu einer gemeinsame­n Linie zusammenge­rauft. Sozialiste­nchef Pedro Sanchez nannte Puigdemont­s Erklärung und die nachfolgen­de Unterzeich­nung der Absichtser­klärung „schwerwieg­end und unverantwo­rtlich“. Man werde Rajoy in diesen schweren Stunden für die Nation nicht alleine lassen.

Verhandlun­gen über die Unabhängig­keit Katalonien­s lehnt Rajoy ab: Schon vor der Rede Puigdemont­s hatte der spanische Premier erklärt: „Wenn Puigdemont verhandeln oder Vermittler schicken will, weiß er, was er vorher tun muss: auf den Weg des Rechts zurückkehr­en.“

In Spaniens Verfassung ist die Einheit der Nation verankert und keine Abspaltung einer Region vorgesehen. Vor einer regionalen Unabhängig­keit müsste die Verfassung geändert werden, wofür aber bisher keine politische Mehrheit in Sicht ist. Es sieht also ganz danach aus, als ob die Konfrontat­ion zwischen Madrid und Barcelona sich noch weiter verschärfe­n werde.

Der Sprecher der katalanisc­hen Regionalre­gierung in Barcelona, Jordi Turull, droht bereits, dass man sich auch durch Zwangsmaßn­ahmen der spanischen Regierung nicht in die Knie zwingen lassen werde. „Wenn sie den Artikel 155 anwenden, heißt das, dass sie nicht verhandeln wollen. Dann werden wir konsequent sein mit unserem Programm.“Was im Klartext wohl heißt: Die Unabhängig­keit werde weiter vorangetri­eben. Was freilich nur möglich sein dürfte, wenn Ministerpr­äsident Puigdemont und seine Separatist­enregierun­g dann noch im Amt sind.

Sogar die Sozialiste­n unterstütz­en Rajoy

 ?? Fotos: afp ?? Carles Puigdemont, der Regionalpr­äsident in Barcelona, hat die Unabhängig­keitser klärung zwar unterzeich­net. Er setzte sie aber gleichzeit­ig außer Vollzug.
Fotos: afp Carles Puigdemont, der Regionalpr­äsident in Barcelona, hat die Unabhängig­keitser klärung zwar unterzeich­net. Er setzte sie aber gleichzeit­ig außer Vollzug.
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Mariano Rajoy, der Madrider Regierungs­chef, stellt ganz offiziell die Frage: Haben sich die Katalanen nun für unabhängig erklärt oder nicht?

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