Koenigsbrunner Zeitung

„Wir haben einen Teil unserer Wähler vergrault“

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CSU-Vize Barbara Stamm will keine Kompromiss­e mehr in der Flüchtling­spolitik. Was sie zur Zukunft von Horst Seehofer sagt und wie sie zu Querschüss­en aus den eigenen Reihen steht

Frau Stamm, nach den erhebliche­n Stimmenver­lusten bei der Bundestags­wahl will die CSU-Spitze die „rechte Flanke“schließen. Ist das aus Ihrer Sicht die richtige Antwort? Barbara Stamm: Wir haben als Volksparte­i bei unseren Wählern auch einen wertkonser­vativen Bereich. Ich sage als Stichwort nur: Ehe für alle. Da ist auf der einen Seite natürlich die Toleranz, die wichtig und notwendig ist. Wir haben aber mit solchen Themen auch einen Teil unserer Wähler vergrault. Menschen, die sagen: Wir sind zwar tolerant. Aber Ehe und Familie – das ist schon noch etwas Besonderes. Da gibt es auch noch andere grundsätzl­iche Themen. Diese Menschen müssen wir wieder gewinnen.

Günther Beckstein hat letzte Woche gesagt: Schuld war nicht die „rechte Flanke“. Es war eine Frage des fehlenden Vertrauens. Stamm: Die Vertrauens­frage darf man in der Tat nicht unterschät­zen. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen daran glauben, dass man sie ernst nimmt, dass man sich um ihre Anliegen kümmert. Nur ist diese Vertrauens­frage inzwischen auch sehr vielschich­tig geworden.

Die rechte Flanke hat sich ja vor allem auf die Flüchtling­skrise bezogen. Nach dem Motto: Man hätte einen noch strikteren Kurs fahren müssen. Wenn man aber das Wahlergebn­is näher betrachtet, stellt man fest: Die größten Verluste hatte die CSU in den Bereich der Nichtwähle­r, dann folgt die FDP. Und dann erst die AfD. Kann dann die „rechte Flanke schließen“wirklich die Antwort sein? Stamm: Für mich ist das nicht die Antwort, weil meine Antwort das ist, was ich gerade ausgeführt habe: Die wertkonser­vativen Wähler, die wir wieder mehr in den Blick nehmen müssen. Und wer meint, dass es die Flüchtling­e alleine gewesen sind, die uns Stimmen gekostet haben: Ich glaube nicht, dass der auf dem richtigen Weg ist. Ich habe es doch selbst erlebt: Die einen waren höchst unzufriede­n damit, wie hart wir mit den Asylsuchen­den umgehen – bis hin zu Unternehme­rn. Und dann konnte man Menschen treffen, die gesagt haben: Für die Flüchtling­e habt ihr alles, für uns habt ihr nichts. Und wer garantiert unsere Sicherheit?

Dieser Spagat zwischen CSU-Anhängern, denen der Kurs schon jetzt zu hart war, und denen, die durch die Flüchtling­e verunsiche­rt sind, dürfte aber für Ihre Partei nicht einfacher werden, wenn sie in Berlin in eine Jamaika-Koalition geht. Stamm: Natürlich muss man für eine Koalition Kompromiss­e schließen. Aber das Schließen von Kompromiss­en wird offenbar für viele Menschen immer unverständ­licher. Die Akzeptanz, um der Sache willen Abstriche von den eigenen Forderunge­n zu machen, ist in meiner Wahrnehmun­g massiv gesunken.

Was heißt das für die Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition in Berlin? Stamm: Für diese Koalitions­verhandlun­gen wird ganz entscheide­nd sein: Welche Kompromiss­e können wir als CSU noch eingehen? Und wenn Sie mich nach meiner persönlich­en Meinung fragen: Ich bin entschiede­n der Auffassung, dass man von der gemeinsame­n Position, die man in der Flüchtling­spolitik nun mit der CDU erreicht hat, keine Abstriche mehr machen kann. Da noch mal irgendwas zu öffnen, das ist zumindest für mich nicht möglich. Und falls jemand in der CDU gedacht hat: Jetzt verständig­en wir uns mit der CSU. Am Ende wird es eh ganz anders kommen – dem muss ich sagen: Der irrt sich. Da kann es kein Zurück mehr geben.

Ist die Einigung mit der CDU schon ein Minimalkon­sens für die CSU? Stamm: Wenn jemand in der CSU sagen würde: Darin kann ich mich nicht wiederfind­en – dann würde ich das nicht verstehen. Denn im Kern haben wir doch alles durchbekom­men: die Zahl 200 000. Die Einbeziehu­ng des Familienna­chzugs in diese Zahl. Ausnahmen davon nur mit Zustimmung des Bundestage­s – die Bundeskanz­lerin könnte eine Entscheidu­ng wie im September 2015 doch gar nicht mehr alleine treffen. Oder die Aufnahmeze­ntren: Das sind die Einrichtun­gen, die wir immer gefordert haben. Die Erweiterun­g der sicheren Drittstaat­en um die Maghreb-Länder. Ich finde, da ist im Grunde alles drin, was wir immer schon wollten. Abweichung­en kann es deshalb nicht mehr geben.

Es dürfte schwer werden, dies in den Verhandlun­gen so durchzuset­zen. Stamm: Ich gehe davon aus, dass andere auch gerne regieren möchten.

Ein anderes Thema in der CSU sind mögliche personelle Konsequenz­en aus dem Wahlergebn­is. Theo Waigel musste als Parteichef aufhören, weil er in einer Bundestags­wahl unter 50 Prozent geholt hat. Und Horst Seehofer soll nun bleiben dürfen, obwohl er unter 39 Prozent geblieben ist. Ist das wirklich realistisc­h? Stamm: Ich weiß nicht, ob man das so verkürzen kann. Es ist aus meiner Sicht auch nicht die richtige Antwort, ohne gründliche Analyse gleich den Gesamtvera­ntwortlich­en infrage zu stellen. Was aber ganz sicher gilt: Wenn man sich darauf verständig­t in einem Parteivors­tand, dass über Personalfr­agen erst auf dem Parteitag gesprochen wird, um die eigene Verhandlun­gsposition in Berlin nicht selbst zu schwächen, dann muss man doch erwarten können, dass sich alle daran halten. Ich finde es nicht klug – von der menschlich­en Seite gar nicht zu sprechen –, die eigene Position in Berlin durch Querschüss­e aus den eigenen Reihen zu gefährden. Das ist für mich auch eine Stilfrage.

Es ist viel von einem geordneten Übergang die Rede. Es ist aber nur schwer vorstellba­r, dass jetzt wochenlang überhaupt nichts gesagt wird. Und auf dem Parteitag kommt es dann wie aus dem Nichts zu einer geordneten Personalde­batte? Stamm: Zu einer geordneten Debatte gehört ja zunächst einmal auch der, der am meisten betroffen davon ist. Da geht es um Dialog auch mit der Basis. Da geht es um die Zukunft unserer Partei. Da geht es um Besonnenhe­it.

Und diese Gespräche mit Horst Seehofer werden jetzt schon geführt? Stamm: Ich habe keinen Auftrag, ein solches Gespräch zu führen, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Es geht jetzt einzig und allein darum, dass wir denjenigen stärken, der die Verhandlun­gen führt, und dies ist der Parteivors­itzende. Nur so holen wir die besten Ergebnisse für die Menschen in Bayern. Nur so schaffen wir Vertrauen in der Bevölkerun­g – und für 2018.

Horst Seehofer hat also zuerst das Wort? Stamm: Es geht darum, eines nach dem anderen zu machen. Wir wollen Ergebnisse, in denen sich die CSU gut wiederfind­et und keine faulen Kompromiss­e. Dann kommt die Diskussion um die personelle Aufstellun­g. Interview: Uli Bachmeier

und Henry Stern

Barbara Stamm, 72, ist Landtags präsidenti­n und stellvertr­etende CSU Vorsitzend­e. Stamm ist verhei ratet und hat drei Kinder.

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Foto: Matthias Balk, dpa Will künftig wertkonser­vative CSU Wähler wieder mehr in den Blick nehmen: Barba ra Stamm.

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