Koenigsbrunner Zeitung

Polizisten spielen tödlichen Einsatz nach

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Warum das Gericht im Prozess gegen den „Reichsbürg­er“von Georgensgm­ünd zu ungewöhnli­chen Mitteln greift

Georgensgm­ünd Blaulicht und Martinshor­n mitten in der Nacht: Manch ein Anwohner im beschaulic­hen Georgensgm­ünd fühlte sich am Mittwoch wohl unangenehm zurückvers­etzt an den frühen Oktobermor­gen vor knapp einem Jahr. Diesmal fielen jedoch keine Schüsse, niemand wurde verletzt. Im Mordprozes­s gegen den sogenannte­n Reichsbürg­er machten sich die Mitglieder der Strafkamme­r des Landgerich­ts Nürnberg-Fürth ein eigenes Bild vom Tatort – um 5.30 Uhr.

Der frühe Termin wurde gewählt, um eine möglichst ähnliche Lichtsitua­tion wie bei dem tödlich endenden Polizeiein­satz zu haben. Sogar die Straßenlat­erne links vor dem Haus war dafür ausgeschal­tet. Bei dem Einsatz war sie defekt. Die zentrale Frage beim Ortstermin: Wie gut war das Blaulicht am zivilen Einsatzfah­rzeug vor dem Haus zu sehen? War das Martinshor­n auch innen gut zu hören? Können die Richter davon ausgehen, dass der 50 Jahre alte Angeklagte wusste, dass gerade die Polizei in sein Haus eindringt und nicht etwa Einbrecher?

Wolfgang P.s Anwältin Susanne Koller berichtet im Anschluss: Das Blaulicht sei im Haus nicht zu sehen gewesen. Im Treppenhau­s und direkt vor der Wohnungstü­r des 50-Jährigen habe sie sechs Lichtquell­en gezählt, sagt Koller – vor allem durch die Lampen an den Waffen der Einsatzkrä­fte. „Sie nehmen das Blaulicht nicht mehr wahr.“Ihrer Ansicht nach ist bei dem ganzen Lärm damals auch das Martinshor­n nicht zu hören gewesen. „Das Haus hat gewackelt“, sagt Koller und bezieht sich dabei auf frühere Zeugenauss­agen in dem Verfahren. Überall sei Lärm gewesen, durch Schreie, das Öffnen der Türen und zersplitte­rndes Glas. Da habe ihr Mandant auch die „Polizei“-Rufe der Spezialein­satzkräfte (SEK) nicht als solche erkannt. Schon bei Prozessbeg­inn sagte Koller, ihr Mandant habe geglaubt, sich gegen Einbrecher verteidige­n zu müssen. Bei dem Einsatz am 19. Oktober 2016 hatte der 50-Jährige laut Anklage auf SEKBeamte geschossen. Ein Polizist wurde getötet, zwei weitere verletzt. Der 50-Jährige muss sich unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes an Polizisten verantwort­en. Die Waffen des Mannes sollten beschlagna­hmt werden, weil er bei den Behörden als nicht mehr zuverlässi­g galt.

„Reichsbürg­er“erkennen die Bundesrepu­blik nicht als Staat an. Sie sprechen dem Grundgeset­z, Behörden und Gerichten die Legitimitä­t ab. Beim Ortstermin sind Richter, Staatsanwa­lt und Verteidigu­ng in der Wohnung des 50-Jährigen – und auch der Angeklagte. Als er in Handschell­en und mit Fußfesseln aus dem Polizeiaut­o steigt und von mehreren Kameraleut­en gefilmt wird, sagt P., er komme sich vor „wie ein Vergewalti­gungsopfer“, das in der Öffentlich­keit vorgeführt werde. Seine Anwältin sagt, der Termin habe ihn stark mitgenomme­n. Er sei damals im Bett vom SEK „überfallen“worden. „Das war ein Schock.“Der Termin nun sei wie eine Wiederholu­ng des Ganzen. Der damalige Einsatz wird teilweise nachgestel­lt – der gleiche Einsatzwag­en mit der gleichen Besatzung steht nach Angaben von Gerichtssp­recher Friedrich Weitner mit Blaulicht vor dem Haus, SEKBeamte gehen hinein, kurz wird das Martinshor­n eingeschal­tet. Es gab zwar bereits ein Lichtgutac­hten, doch die Kammer konnte sich die Situation im Haus nicht gut genug vorstellen. Cathérine Simon, dpa

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