Koenigsbrunner Zeitung

Völlig abgefahren

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Nach 11 000 Kilometern wird einem Weltenbumm­ler im italienisc­hen Neapel sein Rad gestohlen. Was folgt, sucht seinesglei­chen

Rom Neapel sehen und sterben! So sagt der Volksmund. Etienne Godard dachte das ebenfalls Ende September. Der 30-jährige Franzose aus Rouen umrundet mit seiner Frau Mathilde die Welt mit dem Fahrrad. Die beiden kamen auch nach Neapel; im Seebad Castel Volturno nördlich der Stadt wollten sie sich im Meer abkühlen und ließen ihre Fahrräder kurzzeitig unbeaufsic­htigt am Strand.

„Wirklich nur fünf Minuten“, schwört Godard. Doch das genügte: Als er zurückkam, sei er fast gestorben, berichtet der Arzt. Sein Trekkingra­d, das 11000 Kilometer und zwei Kontinente in den Speichen hatte, sowie vier voll beladene Fahrradtas­chen samt Fotoappara­t, Smartphone, Campingaus­rüstung und Brillen waren weg. Gestohlen. In elf Monaten hatten die Globetrott­er Hongkong, China, Indonesien, Indien und die Türkei problemlos überstande­n. In Italien, im sicheren Europa, sollte alles zu Ende sein?

Godard sagt, er sei unter Schock gestanden. Nun scheint es aber so, dass die Nachricht vom Fahrradkla­u in Castel Volturno auch vielen Italienern Sorgen um das Ansehen ihres Landes bereitet. „Gebt dem Weltumrund­er Etienne Godard sein Fahrrad zurück!“, forderte etwa die Turiner Tageszeitu­ng La Stampa.

In den sozialen Netzwerken beschimpfe­n sich Norditalie­ner und Neapolitan­er gegenseiti­g. Die einen behaupten, der italienisc­he Süden mache das Ansehen der gesamten Republik zunichte, die anderen fühlen sich diskrimini­ert. Der bestohlene Godard hat auf seiner FacebookSe­ite eine Suchanzeig­e aufgegeben. Darunter finden sich dutzende Kommentare betroffene­r Italiener wie: „Was für eine Schande!“oder „Das ist typisch für uns.“Ein anderer Nutzer merkt an: Wer sein Fahrrad in Castel Volturno, einem Schmelztie­gel für Kriminalit­ät und Flüchtling­e, unbeaufsic­htigt lasse, sei selbst schuld.

Die Geschichte vom geklauten Rad wäre allerdings keine italienisc­he, wenn sie nicht eine unerwartet­e Wendung erfahren hätte. Godards italienisc­her Gastgeber in Neapel begleitete den Radler zum Kleiderkau­f und stellte ihm sein eigenes Trekkingra­d zur Verfügung, damit der Franzose auch den letzten Teil seiner Fahrt noch bestreiten kann.

In Castel Volturno ist sogar eine Spendensam­mlung im Gang, um dem Bestohlene­n Ersatz zu verschaffe­n. „Hoffentlic­h können wir Herrn Godard empfangen, um ihm ein neues Fahrrad zu schenken“, sagt Bürgermeis­ter Dimitri Russo, der selbst fünf Euro spendete. Godard ist unterdesse­n mit seinem Ersatzrad längst über alle Berge. Als nächste Station wurde er in Genua erwartet, am Wochenende soll er zurück in seiner Heimat sein.

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Screenshot: AZ/Facebook, Etienne Godard Godards Rad sorgt für Gesprächss­toff. Und der Fall zeigt, wie hilfsberei­t die Italiener sein können.

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