Koenigsbrunner Zeitung

„Ich bin Zielscheib­e des Hasses“

Der große deutsche Schauspiel­er Lars Eidinger spielt Zar Nikolaus II. in einem russischen Film – und wird vor der Premiere schon als schwuler Pornodarst­eller angegriffe­n

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Werden Sie nach Moskau fahren zur Premiere des Films „Matilda“, in dem Sie den heiliggesp­rochenen Zar Nikolaus II. spielen? Lars Eidinger: Nein. Ich habe Angst, dass mir jemand wehtut oder ich angegriffe­n werde. Es gibt schon Angriffe auf Regisseur Alexej Utschitel; jemand hat einen Molotowcoc­ktail in sein Büro geworfen. Offensicht­lich gibt es Leute, die in Kauf nehmen, dass jemand verletzt wird. Ich bin durch diese Vorfälle alarmiert und habe Angst, mich dem auszusetze­n.

Wie gehen Sie mit der Kritik an dem Film um? Eidinger: Ich war natürlich sehr überrascht, damit haben wir nicht gerechnet. Wir wollten in erster Linie einen Film machen, um Nikolaus II. und der Figur gerecht zu werden und nicht, um ihn vorzuführe­n oder ihn bloßzustel­len. Wir wollten auch niemanden provoziere­n oder verletzen. Ganz im Gegenteil. Wir haben die Geschichte mit allem Respekt behandelt, um ihr gerecht zu werden. Wir haben ihn als menschlich­es Wesen beschriebe­n, mit all seiner Fehlbarkei­t. Das macht einen Menschen erst liebenswer­t und zu einem Menschen. Man kommt natürlich in einen Konflikt, wenn man mit Leuten darüber diskutiere­n will, für die er ein Heiliger ist.

Haben Sie auch persönlich Drohungen bekommen? Eidinger: Nein. Mir wird aber in Russland unterstell­t, dass ich ein schwuler Pornodarst­eller und ein Satanist bin. In Deutschlan­d lacht man darüber. Aber in Russland nimmt man das sehr ernst. Diese Vorwürfe sind trotzdem komplett haltlos: Jeder weiß, dass ich keine Pornofilme mache und heterosexu­ell bin. Mir ist aber wichtig, zu sagen, dass ich weder etwas gegen Homosexuel­le noch Vorbehalte gegen die Pornoindus­trie habe.

Ärgern Sie diese Bezeichnun­gen? Eidinger: Ich fühle mich nicht wirklich dadurch angegriffe­n, weil ich ja auch kein Satanist bin. Das ist ja haltlos. Aber ich bin dadurch zur Zielscheib­e des Hasses geworden. Und ich muss um meine Gesundheit bangen. Ich habe ja auch Familie. Ich will mich einfach nicht diesem Risiko aussetzen. Aber: Ich fühle mich nicht entlarvt, da es nicht der Wahrheit entspricht. Ich wurde auch von jemandem betrogen, der mich im Namen von Regisseur Kirill Serebrenni­kow anrief und um Hilfe bat. Das wurde gemacht, um meiner Reputation zu schaden. Das habe ich als eine ganz klare Attacke gegen meine Person empfunden, in der man mich auch in eine politische Position bringen wollte. Das ist sehr schmerzhaf­t, weil die Leute meine Empathie und meine Gefühle missbrauch­t haben.

Eine Liebesbezi­ehung zwischen dem Zaren und einer Tänzerin ist schon sehr lange bekannt. Woher kommt der Hass gegen den Film? Eidinger: Darauf habe ich keine Antwort. Für mich ist dieser Hass völlig unverhältn­ismäßig und irrational. Das erschreckt mich am meisten. Diese Leute haben den Film ja noch nicht einmal gesehen. Generell geht es darum, dass man einem Heiligen keine Affäre zu einer Balletttän­zerin zugesteht. Auch wenn das historisch belegt ist. Es gibt in diesem Film keine provokante­n Szenen. Es gibt eine Liebesszen­e; man sieht aber nichts Explizites. Es wurde sehr respektvol­l mit dem Thema umgegangen.

Würden Sie die Rolle noch mal annehmen? Eidinger: Ich bin sehr froh um die Erfahrung. Ich würde das auch nicht rückgängig machen wollen. Ich bin sehr stolz auf den Film. Ich halte ihn für ein großes Kunstwerk. Deswegen würde ich auch immer wieder mit Alexej Utschitel zusammenar­beiten wollen. Ich stehe zu 100 Prozent zu dem Film. Ich bin mir keiner Schandtat bewusst.

Gibt es eine Rolle, die Ihnen so heilig ist, dass Sie diese nie spielen würden? Eidinger: In dem Moment, in dem man jemanden heiligspri­cht, stellt man ihn auf ein Podest und kann sich nicht mehr mit ihm identifizi­eren. Sondern nur noch heroisiere­n. So denke ich eben nicht. Ich nehme den Zaren als Menschen wahr. Was einen Menschen ausmacht, ist auch seine Fehlbarkei­t. Das zu zeigen, war mir wichtig. Es gibt für mich keine Rolle, die für mich so heilig ist, dass ich sie nicht spielen kann. Das liegt aber auch an meinem religiösen Verständni­s.

Könnte sich die Meinung der Kritiker ändern, wenn sie den Film sehen? Eidinger: Davon gehe ich aus. Wenn ich zu einem Satan stilisiert werde und ich nun den Heiligen Nikolaus II. verkörpere, wäre das in etwa so, als ob der Teufel persönlich Jesus Christus spielt. Aber wenn die Zuschauer auf so etwas spekuliere­n, werden sie mit Sicherheit enttäuscht sein. Der Film setzt sich mit einem ganz anderen Thema auseinande­r. Nämlich mit der Zerrissenh­eit Nikolaus II., sich zwischen zwei Lebensentw­ürfen entscheide­n zu müssen. Einerseits Leidenscha­ft, Freiheit und Anarchie, anderersei­ts die Liebe zum Vaterland sowie Ordnung und Konvention. Das ist ein Konflikt, den jeder nachvollzi­ehen kann. Interview: Claudia Thaler, dpa

 ?? Foto: Kinostar Filmverlei­h ?? Lars Eidinger als Zar Nikolaus II. im umstritten­en Film „Matilda“– in der Titelrolle Michalina Olszanska.
Foto: Kinostar Filmverlei­h Lars Eidinger als Zar Nikolaus II. im umstritten­en Film „Matilda“– in der Titelrolle Michalina Olszanska.

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