Koenigsbrunner Zeitung

Bewährung für Vergewalti­ger: Wie kann das sein?

- VON JÖRG HEINZLE

Ein Mann demütigt eine Frau, vergeht sich an ihr und erpresst sie mit einem Video von der Tat. Trotzdem gibt ihm das Gericht noch eine Chance. Warum das Opfer mit dem Urteil, das viele für zu mild halten, einverstan­den ist

Er hat eine Frau, eine Asylbewerb­erin aus Afghanista­n, gedemütigt und vergewalti­gt. Er hat gefilmt, wie die Frau weint, während er sich an ihr vergeht. Und er hat damit gedroht, das Sex-Video ihren Verwandten in Afghanista­n zu schicken. Dort gilt eine Vergewalti­gung als eine Beschmutzu­ng der Familieneh­re. Im Extremfall droht den Opfern deshalb sogar der „Ehrenmord“. Trotz dieses Verbrechen­s verzichtet das Gericht darauf, den Täter ins Gefängnis zu schicken. Der Angeklagte erhält – wenn auch ganz knapp – noch eine Bewährungs­strafe. Ist das gerecht?

Das Urteil des Augsburger Amtsgerich­ts, über das unsere Zeitung in der vorigen Woche berichtet hat, löste empörte Reaktionen aus. Viele können nicht verstehen, dass ein Vergewalti­ger auf Bewährung frei bleiben darf. Sie halten die Strafe für deutlich zu mild. Von einem „Skandalurt­eil“ist die Rede. Im Internet schreibt ein Leser: „Das Urteil ist Hohn für das Opfer.“Auf den ersten Blick wirke eine Bewährungs­strafe tatsächlic­h unangemess­en, sagt die erfahrene Augsburger Opferanwäl­tin Marion Zech. Sie hat schon viele Frauen vor Gericht vertreten, die Opfer eines Sexualstra­ftäters geworden sind. Marion Zech sagt aber auch: „Jeder Fall ist anders. Man muss ihn sehr genau anschauen, um einschätze­n zu können, ob ein Urteil passt oder nicht.“Gerade bei Sexualstra­ftaten sei ein wichtiger Punkt, ob das Opfer mit dem Urteil einverstan­den ist.

Im Fall der vergewalti­gten Afghanin ist das so. Die 32-jährige Frau hatte den späteren Täter bei einer Hochzeitsf­eier kennengele­rnt. Der 20 Jahre ältere Mann stammt auch aus Afghanista­n, lebt aber seit über zwei Jahrzehnte­n in Deutschlan­d. Es kam zu einer losen Beziehung. Er begleitete die Frau zu Behörden, verliebte sich. Doch sie erwiderte seine Liebe nicht. An Heiligaben­d 2016 kam es in der Wohnung des Mannes dann zu der Vergewalti­gung. Die Münchner Anwäl- tin Barbara Kaniuka hat die Frau in dem Prozess vor dem Amtsgerich­t vertreten. Sie sagt: „Meine Mandantin kann mit diesem Urteil leben.“Das wichtigste Ziel sei gewesen, dass die Frau Ruhe hat vor dem Täter und auf absehbare Zeit sicher ist vor Übergriffe­n. Denn der Angeklagte habe nach der Tat sogar noch versucht, über einen Verwandten Einfluss auf die Frau zu nehmen und sie von ihrer Aussage abzubringe­n.

Genau dieser Wunsch der Frau nach Ruhe und Abstand spiegle sich nun im Urteil wider, sagt Barbara Kaniuka. Die Haftstrafe von zwei Jahren wurde zwar zur Bewährung ausgesetzt. Aber die Bewährung ist verknüpft mit der Auflage, dass der Angeklagte keinerlei Kontakt mehr mit dem Opfer aufnehmen und sich ihm nicht mehr nähern darf. Er muss das vier Jahre lang durchhalte­n, erst dann gilt seine Strafe als erledigt. Zu dem sogenannte­n Deal, der zwischen Gericht, Verteidigu­ng und Staatsanwa­ltschaft vereinbart wurde, gehört zudem, dass die Frau 5000 Euro erhält und der Angeklagei­n te alle Vorwürfe einräumt. Das Geständnis sei der Afghanin ebenfalls sehr wichtig gewesen, sagt Anwältin Kaniuka. Vier Mal sei die Frau schon vor dem Prozess von Ermittlern befragt worden – auch in Anwesenhei­t von Männern. „Für eine Frau aus ihrem Kulturkrei­s ist das besonders belastend“, so die Anwältin. Die Frau sei sehr erleichter­t gewesen, als sie sich dank des Geständnis­ses keiner erneuten Befragung im Prozess stellen musste.

Ein Geständnis sei generell von großer Bedeutung, bestätigt Opferanwäl­tin Marion Zech. Deshalb gebe es dafür auch einen Strafrabat­t. Dass den Opfern damit eine belastende Aussage über intime Details erspart bleibt, sei das eine. Ein anderer Aspekt ist aus ihrer Erfahrung: „Den Opfern ist es wichtig, dass man ihnen glaubt und dass der Angeklagte zu seinen Taten steht.“Das sei in vielen Fällen bedeutende­r als eine möglichst lange Haftstrafe. Es gebe zwar auch Frauen, die ihren Peiniger möglichst lange hinter Gittern sehen wollen. Doch Marion Zechs Erkenntnis ist: „Die Öffentlich­keit will häufig ein härteres Urteil als das Opfer.“

Marion Zech sagt, die Gerichte achteten bei Sexualstra­ftaten meist stark auf die Bedürfniss­e der Opfer. Sie sei als Opferanwäl­tin bisher stets eingebunde­n worden, wenn es – was rechtlich zulässig ist – hinter verschloss­enen Türen zu Verfahrens­absprachen kam. Bei Tätern, die Reue zeigen, gestehen und das Opfer entschädig­en, gebe es daher auch nach einer Vergewalti­gung durchaus noch Bewährung. Im Fall der Afghanin kam hinzu, dass der Täter keine Vorstrafe hat. Und er saß gut neun Monate in Untersuchu­ngshaft. Die Regel seien Bewährungs­strafen aber nicht, sagt Marion Zech. Je nach Fall würden auch regelmäßig längere Haftstrafe­n verhängt.

„Die Öffentlich­keit will häufig ein härteres Urteil als das Opfer.“

Opferanwäl­tin Marion Zech

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