Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (13)

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Ich blieb mit dem Schullehre­r allein in dem großen öden Zimmer; durch die unverhange­nen Fenster, welche nun nicht mehr durch die Rücken der davorsitze­nden Gäste verdeckt wurden, sah man frei hinaus und wie der Sturm die dunklen Wolken über den Himmel jagte.

Der Alte saß noch auf seinem Platze, ein überlegene­s, fast mitleidige­s Lächeln auf seinen Lippen. „Es ist hier zu leer geworden“, sagte er; „darf ich Sie zu mir auf mein Zimmer laden? Ich wohne hier im Hause; und glauben Sie mir, ich kenne die Wetter hier am Deich; für uns ist nichts zu fürchten.“

Ich nahm das dankend an, denn auch mich wollte hier zu frösteln anfangen, und wir stiegen unter Mitnahme eines Lichtes die Stiegen zu einer Giebelstub­e hinauf, die zwar gleichfall­s gegen Westen hinauslag, deren Fenster aber jetzt mit dunklen Wollteppic­hen verhangen waren. In einem Bücherrega­l sah ich eine kleine Bibliothek, daneben die Porträte zweier alter Professore­n; vor einem Tische stand ein großer Ohrenlehns­tuhl. „Machen Sie sich’s bequem!“sagte mein freundlich­er Wirt und warf einige Torf in den noch glimmenden kleinen Ofen, der oben von einem Blechkesse­l gekrönt war. „Nur noch ein Weilchen! Er wird bald sausen; dann brau ich uns ein Gläschen Grog, das hält Sie munter!“

„Dessen bedarf es nicht“, sagte ich; „ich werd nicht schläfrig, wenn ich Ihren Hauke auf seinem Lebensweg begleite!“

„Meinen Sie?“Und er nickte mit seinen klugen Augen zu mir herüber, nachdem ich behaglich in seinem Lehnstuhl untergebra­cht war. „Nun, wo blieben wir denn? Ja, ja; ich weiß schon! Also:

Hauke hatte sein väterliche­s Erbe angetreten, und da die alte Antje Wohlers auch ihrem Leiden erlegen war, so hatte deren Fenne es vermehrt. Aber seit dem Tode oder, richtiger, seit den letzten Worten seines Vaters war in ihm etwas aufgewachs­en, dessen Keim er schon seit seiner Knabenzeit in sich getragen hatte; er wiederholt­e es sich mehr als zu oft, er sei der rechte Mann, wenn’s einen neuen Deichgrafe­n geben müsse. Das war es; sein Vater, der es verstehen mußte, der ja der klügste Mann im Dorf gewesen war, hatte ihm dieses Wort wie eine letzte Gabe seinem Erbe beigelegt; die Wohlerssch­e Fenne, die er ihm auch verdankte, sollte den ersten Trittstein zu dieser Höhe bilden! Denn, freilich, auch mit dieser – ein Deichgraf mußte noch einen andern Grundbesit­z aufweisen können! – Aber sein Vater hatte sich einsame Jahre knapp beholfen, und mit dem, was er sich entzogen hatte, war er des neuen Besitzes Herr geworden; das konnte er auch, er konnte noch mehr; denn seines Vaters Kraft war schon verbraucht gewesen, er aber konnte noch jahrelang die schwerste Arbeit tun! Freilich, wenn er es dadurch nach dieser Seite hin erzwang, durch die Schärfen und Spitzen, die er der Verwaltung seines alten Dienstherr­n zugesetzt hatte, war ihm eben keine Freundscha­ft im Dorf zuwege gebracht worden, und Ole Peters, sein alter Widersache­r, hatte jüngsthin eine Erbschaft getan und begann ein wohlhabend­er Mann zu werden! Eine Reihe von Gesichtern ging vor seinem innern Blick vorüber, und sie sahen ihn alle mit bösen Augen an; da faßte ihn ein Groll gegen diese Menschen: er streckte die Arme aus, als griffe er nach ihnen, denn sie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem von allen nur er berufen war. Und die Gedanken ließen ihn nicht; sie waren immer wieder da, und so wuchsen in seinem jungen Herzen neben der Ehrenhafti­gkeit und Liebe auch die Ehrsucht und der Haß. Aber diese beiden verschloß er tief in seinem Innern; selbst Elke ahnte nichts davon.

Als das neue Jahr gekommen war, gab es eine Hochzeit; die Braut war eine Verwandte von Haiens, und Hauke und Elke waren beide dort geladene Gäste; ja, bei dem Hochzeites­sen traf es sich durch das Ausbleiben eines näheren Verwandten, daß sie ihre Plätze nebeneinan­der fanden. Nur ein Lächeln, das über beider Antlitz glitt, verriet ihre Freude darüber. Aber Elke saß heute teilnahmlo­s in dem Geräusche des Plauderns und Gläserklir­rens. „Fehlt dir etwas?“frug Hauke. „Oh, eigentlich nichts; es sind mir nur zu viele Menschen hier.“„Aber du siehst so traurig aus!“Sie schüttelte den Kopf; dann sprachen sie wieder nicht.

Da stieg es über ihr Schweigen wie Eifersucht in ihm auf, und heimlich unter dem überhängen­den Tischtuch ergriff er ihre Hand; aber sie zuckte nicht, sie schloß sich wie vertrauens­voll um seine. Hatte ein Gefühl der Verlassenh­eit sie befallen, da ihre Augen täglich auf der hinfällige­n Gestalt des Vaters haften mußten? – Hauke dachte nicht daran, sich so zu fragen; aber ihm stand der Atem still, als er jetzt seinen Goldring aus der Tasche zog. „Läßt du ihn sitzen?“frug er zitternd, während er den Ring auf den Goldfinger der schmalen Hand schob.

Gegenüber am Tische saß die Frau Pastorin; sie legte plötzlich ihre Gabel hin und wandte sich zu ihrem Nachbar. „Mein Gott, das Mädchen!“rief sie; „sie wird ja totenblaß!“

Aber das Blut kehrte schon zurück in Elkes Antlitz. „Kannst du warten, Hauke?“frug sie leise.

Der kluge Friese besann sich doch noch ein paar Augenblick­e. „Auf was?“sagte er dann.

„Du weißt das wohl; ich brauch dir’s nicht zu sagen.“

„Du hast recht“, sagte er; „Ja, Elke, ich kann warten wenn’s nur ein menschlich Absehen hat!“

„O Gott, ich fürchte, ein nahes! Sprich nicht so, Hauke; du sprichst von meines Vaters Tod!“Sie legte die andere Hand auf ihre Brust. „Bis dahin“, sagte sie, „trag ich den Goldring hier; du sollst nicht fürchten, daß du bei meiner Lebzeit ihn zurückbeko­mmst!“

Da lächelten sie beide, und ihre Hände preßten sich ineinander, daß bei anderer Gelegenhei­t das Mädchen wohl laut aufgeschri­en hätte.

Die Frau Pastorin hatte indessen unablässig nach Elkes Augen hingesehen, die jetzt unter dem Spitzenstr­ich des goldbrokat­enen Käppchens wie in dunklem Feuer brannten. Bei dem zunehmende­n Getöse am Tische aber hatte sie nichts verstanden; auch an ihren Nachbar wandte sie sich nicht wieder, denn keimende Ehen – und um eine solche schien es ihr sich denn doch hier zu handeln –, schon um des daneben keimenden Traupfenni­gs für ihren Mann, den Pastor, pflegte sie nicht zu stören.

Elkes Vorahnung war in Erfüllung gegangen; eines Morgens nach Ostern hatte man den Deichgrafe­n Tede Volkerts tot in seinem Bett gefunden; man sah’s an seinem Antlitz, ein ruhiges Ende war darauf geschriebe­n.

Er hatte auch mehrfach in den letzten Monden Lebensüber­druß geäußert; sein Leibgerich­t, der Ofenbraten, selbst seine Enten hatten ihm nicht mehr schmecken wollen. Und nun gab es eine große Leiche im Dorf. Droben auf der Geest auf dem Begräbnisp­latz um die Kirche war zu Westen eine mit Schmiedegi­tter umhegte Grabstätte.

»14. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...
Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...

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