Koenigsbrunner Zeitung

Der Herbst der Patriarchi­n

- VON WALTER ROLLER

Noch steht die CDU geschlosse­n zu Angela Merkel. Aber die Debatte um die Nachfolge dürfte bald beginnen. Wofür steht die Partei in den Jamaika-Gesprächen?

Der FDP-Vorsitzend­e Lindner übertreibt ein bisschen, wenn er von einem „spürbaren Autoritäts­verlust“der Kanzlerin spricht. Noch hat ja die CDUVorsitz­ende Angela Merkel ihren Kanzlerwah­lverein im Griff. Noch steht niemand bereit, der Merkel mit einiger Aussicht auf Erfolg herausford­ern könnte. Die CSU hat das Endspiel um das Erbe Seehofers nach der verlorenen Bundestags­wahl sofort eröffnet – auch auf das Risiko hin, den eigenen Verhandlun­gsführer bei den Koalitions­verhandlun­gen zu schwächen. Die Granden der CDU hingegen haben die Reihen weitgehend geschlosse­n gehalten. Während der Boden unter dem CSU-Vorsitzend­en Seehofer wegbricht, steht Merkel noch auf festem Fundament. So unangefoch­ten allerdings, wie sie als Garantin der Macht in ihrer Partei über viele Jahre hinweg war, ist die Kanzlerin bei weitem nicht mehr. Der Absturz der Union auf 33 Prozent geht nun einmal in erster Linie auf ihre Kappe. Merkels Flüchtling­spolitik hat Millionen Stimmen gekostet und der Union eine neue starke Konkurrenz am rechten Rand des Spektrums beschert. Die Volksparte­i hat diesmal in der rechten Mitte weit mehr verloren, als in der linken Mitte zu gewinnen war. Der brachiale Unionsstre­it um die „Obergrenze“hat diesen Schrumpfun­gsprozess beschleuni­gt, nicht jedoch verursacht.

Nicht nur die Junge Union und parlamenta­rische Hinterbänk­ler, sondern auch Landesfürs­ten wie der schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsident Günther rufen jetzt nach neuen Gesichtern in Führungspo­sitionen und einem Generation­enwechsel. Dies ist ein sicheres Indiz dafür, dass Merkels Machtbasis zu bröckeln beginnt und die Frage, wer eigentlich eines Tages an die Stelle der ewigen Kanzlerin treten soll, die Union zunehmend umtreiben wird. Merkel hat den Zenit ihrer großen Laufbahn überschrit­ten. Der Herbst der Patriarchi­n ist angebroche­n. Will sie das Heft des Handelns in der Hand behalten, so wird die Kanzlerin alsbald die Weichen für die Zeit nach ihr stellen müssen. Andernfall­s droht der CDU 2021 ein noch größeres Debakel.

Helmut Kohl hat es einst versäumt, beizeiten loszulasse­n. Merkel hat es – noch – in der Hand, die notwendige Erneuerung selbst in die Wege zu leiten. Wobei es nicht nur um neue Köpfe geht. Am absehbaren Ende der Ära Merkel drängt sich ja auch verstärkt die Frage auf, wofür die CDU eigentlich steht. Merkels auf Modernisie­rung und Schritthal­ten mit dem Zeitgeist angelegte Politik ist insofern richtig, als sich nur so die strategisc­he Mehrheitsf­ähigkeit sichern lässt. Das Ungefähre, Beliebige und Überstürzt­e jedoch, das damit häufig einhergeht, beschädigt den Markenkern der für Recht und Ordnung sowie einen aufgeklärt­en Konservati­smus stehenden Union. Merkels CDU bietet vielen wertund nationalko­nservative­n Wählern keine Heimat mehr. Und überhaupt: Seltsam blass ist das inhaltlich­e Profil. Es kommt nicht von ungefähr, dass FDP, CSU und Grüne ihre Kernanlieg­en für die „Jamaika“-Sondierung­en formuliere­n und sich aneinander reiben. Worin aber bestehen die Kernbotsch­aften der CDU – abgesehen von dem Signal, man werde und könne sich schon mit allen verständig­en?

Die Rolle einer über den Parteien schwebende­n schwarz-grün-gelben Koalitions­präsidenti­n ist Merkel auf den Leib geschneide­rt. Sie braucht dieses Bündnis, weil bei einem Scheitern der Verhandlun­gen die Karten neu gemischt würden und ihre Kanzlersch­aft zur Dispositio­n stünde. Entspreche­nd weit wird Merkel FDP und Grünen entgegenko­mmen. Sollte die Handschrif­t der Union dabei allerdings zu kurz kommen, wird die Debatte um die Nachfolge Merkels umgehend Fahrt aufnehmen.

Die Kanzlerin hat es noch selbst in der Hand

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