Koenigsbrunner Zeitung

Italiens Katalonien?

Venetien und die Lombardei wollen mehr Eigenständ­igkeit

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Am 22. Oktober 1866 stimmte die Bevölkerun­g Venetiens mit überwältig­ender Mehrheit für den Anschluss an das damalige Königreich Italien. Exakt 151 Jahre später könnte sich die italienisc­he Region Venetien am Sonntag ein Stück weit von der Republik Italien emanzipier­en. Das ist zumindest die Hoffnung von Luca Zaia, dem Gouverneur der Region, der das Referendum zusammen mit seinem Kollegen Roberto Maroni in der Lombardei für den historisch­en Tag angesetzt hat. „Die Geschichte bietet uns ein unbeschrie­benes Blatt. Nun liegt es an uns, es zu beschreibe­n“, sagt Zaia pathetisch. Abspaltung­sbewegunge­n in Europa haben ja gerade Konjunktur, wie am Beispiel Katalonien zu sehen ist.

Mit der Kraftprobe zwischen Madrid und Barcelona haben die beiden Abstimmung­en in Venetien und der Lombardei jedoch nur wenig gemeinsam. Es geht nicht um ein Mandat zur Erklärung der staatliche­n Unabhängig­keit, sondern um das Bestreben der beiden Regionen nach mehr Autonomie vom italienisc­hen Zentralsta­at. „Willst Du, dass die Region Venetien zusätzlich­e Formen und spezielle Bedingunge­n von Autonomie erhält“, lautet die Frage, die etwa vier Millionen Veneter am Sonntag mit „Ja“oder „Nein“beantworte­n dürfen.

Die Abstimmung­sfrage in der Lombardei klingt komplizier­ter, ist aber ähnlich. Es sei etwa so, als ob man Kinder frage, ob sie Mama und Papa lieb haben, spöttelt der Politologe Luigi Pandolfi. Beinahe alle Parteien haben sich für das „Ja“ausgesproc­hen, der Sieg der Befürworte­r gilt als sicher.

Die Sorge, die Referenden könnten letztendli­ch einen institutio­nellen Konflikt wie in Katalonien auslösen, versuchten die Initiatore­n zu zerstreuen. „Wir fordern nur vom Gesetz vorgesehen­e Kompetenze­n und machen nichts Subversive­s, Gesellscha­ftszersetz­endes oder Illegales“, versichert Gouverneur Zaia.

Konkret geht es für Venetien und die Lombardei vor allem um mehr gesetzgebe­rischen Spielraum auf den Gebieten Bildung, Umwelt, Infrastruk­tur, Justiz und Kultur. Die Ankündigun­g der Initiatore­n, dass die Regionen bei einem Sieg der Befürworte­r mehr finanziell­en Spielraum bekommen, ist keineswegs garantiert.

Zaia und Maroni verfolgen aber auch ein Eigeninter­esse: Beide gehören der Lega Nord an, einer Partei, die mit ihrer Kritik am schwerfäll­igen Staatsappa­rat punktet. Ein positives Ergebnis könnte nicht nur den Autonomieb­estrebunge­n, sondern auch den Karrieren der beiden Gouverneur­e sowie der Lega Nord im Wahljahr 2018 zusätzlich­en Schub verleihen, so das Kalkül.

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