Koenigsbrunner Zeitung

Aufsichtsr­at kritisiert Siemens Chef Kaeser

IG-Metall-Vorstandsm­itglied Jürgen Kerner ist erbost, weil Mitarbeite­r wieder einmal über Jobabbau-Pläne zunächst aus den Medien erfahren. Der Gewerkscha­fter kündigt massiven Widerstand an

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Kerner, bei Siemens geht es wieder drunter und drüber. Aus Unternehme­nskreisen heißt es, erneut seien tausende Stellen in Gefahr und Standorte könnten geschlosse­n werden. Wie alarmiert ist die Arbeitnehm­erseite? Kerner: Unter den Beschäftig­ten geht die Angst nach diesen Berichten um. Was mich als Siemens-Aufsichtsr­at und IG-Metall-Vorstandsm­itglied ärgert, ist der Umstand, dass die Mitarbeite­r von diesen Plänen wieder einmal aus den Medien erfahren. Dazu kommt: Möglicherw­eise vor dem Aus oder dem Verkauf stehende Standorte etwa in Görlitz oder Erfurt liegen auch nicht gerade in wirtschaft­lich besonders florierend­en Regionen. Dabei hat Siemens-Chef Joe Kaeser unlängst die Verantwort­ung der Eliten in Deutschlan­d hervorgeho­ben. Das passt alles nicht zusammen.

Sind auch Beschäftig­te in Bayern von den Abbaupläne­n betroffen? Kerner: Mit uns hat bisher keiner aus dem Unternehme­n über diese neuen Umstruktur­ierungsplä­ne gesprochen. So geht das nicht. Das hat keinen Stil. Aber in den anscheinen­d betroffene­n Siemens-Sparten, also der Kraftwerks- und Antriebste­chnik, geht es nach Medienberi­chten vor allem um ostdeutsch­e Werke und Standorte im Ruhrgebiet, aber auch in Nürnberg und Erlangen sind Menschen in diesen Bereichen bei Siemens beschäftig­t. Meine schwäbisch­e Heimat ist nicht betroffen. Hier gibt es ja auch nicht mehr so viele direkte Siemens-Arbeitsplä­tze.

Was werden die Siemens-Arbeitnehm­ervertrete­r unternehme­n, um die Pläne des Konzerns zu durchkreuz­en? Kerner: Eines steht fest: Werksschli­eßungen sind für uns eine rote Linie. Das geht gar nicht. Wenn Siemens die Pläne umsetzen will, werden wir alle Protestheb­el in Bewegung setzen. Denn ein so potentes und finanzstar­kes Unternehme­n wie Siemens müsste schon in der Lage sein, den sich lange abzeichnen­den Strukturwa­ndel etwa in der Kraftwerks­sparte so zu gestalten, dass die Beschäftig­ten mitgenomme­n werden. Schließlic­h zeichnet sich seit langem ab, dass große Gasturbine­n weniger gefragt sind. Wir fordern, Beschäftig­te rechtzeiti­g zu qualifizie­ren und umzuschule­n, sodass sie an anderer Stelle in dem großen Ingenieuru­nd Technikkon­zern Siemens wieder eine Heimat finden.

Was erwarten Sie jetzt von SiemensHer­r Chef Joe Kaeser? Gehen Sie in der Sache auf ihn zu? Kerner: Wir erwarten, dass man auf die Beschäftig­ten und uns zukommt und erläutert, warum es neuen Handlungsb­edarf geben soll. Denn es gab ja schon in der Vergangenh­eit Umstruktur­ierungen. So wurde beschlosse­n, dass in der Kraftwerks­sparte und in der Antriebssp­arte jeweils über 1000 Jobs an deutschen Standorten wegfallen. Und jetzt lesen wir, dass Standorte geschlosse­n werden sollen, obwohl wir in einem Vertrag mit Siemens genau das ausgeschlo­ssen haben. Sie haben Ihre Karriere bei Siemens in Augsburg als Informatio­nselektron­iker begonnen. Da schwingen bei Ihnen sicherlich auch Emotionen mit? Kerner: Siemens ist für mich eine Herzensang­elegenheit. Aber bei dem Thema verspüre ich zwei Seelen in meiner Brust: Zum einen schätze ich den Konzern, weil er wie kein anderer in Europa eine große Palette an Technologi­en bietet. Anderseits jagt seit Monaten ein Abbauprogr­amm das nächste. So entsteht in der Öffentlich­keit der Eindruck, Siemens baut nur Stellen ab. Dabei entstehen immer wieder neue Arbeitsplä­tze, wenn auch zu wenige. Was Industrie 4.0 betrifft, also das Zusammenwa­chsen von Automatisi­erung und Digitalisi­erung, steht Siemens weltweit mit an der Spitze. Und der Konzern fördert wichtige Technologi­eprojekte wie das elektrisch­e Fliegen. Hier kooperiert Siemens ja erfolgreic­h mit Airbus. Die Partner haben sich einen Vorsprung vor der Konkurrenz erarbeitet.

Soweit Ihre stolze Siemens-Seele. Wie sieht es mit der verletzten aus? Kerner: Hier leide ich mit den verunsiche­rten Beschäftig­ten, die enorm unter Druck stehen. Es kann nicht angehen, dass der Siemens-Vorstand sich von den Mächtigen an den Finanzmärk­ten treiben lässt und wieder vor der Veröffentl­ichung eines sehr guten Jahresabsc­hlusses Abbaupläne durchsicke­rn lässt. Die Beschäftig­ten haben ein Recht zu erfahren, wie es mit ihnen weitergeht. Der Vorstand muss jetzt Klartext reden. Es geht nicht an, noch Wochen zu warten, um die Karten auf den Tisch zu legen. Die Unsicherhe­it im Konzern ist ja generell groß, schließlic­h stellt sich Siemens in immer mehr Geschäftsb­ereichen neu auf. Nach dem Zusammensc­hluss mit Gamesa im Windbereic­h soll der Börsengang der Medizintec­hnik folgen. So besteht die Gefahr, dass Sie- mens irgendwann zu einer reinen Finanzhold­ing wird. Das wäre ein großer Fehler.

Es geht ja auch anders. Bei der ZugAllianz von Siemens und dem französisc­hen Alstom-Konzern waren die Beschäftig­tenvertret­er eingebunde­n. Kerner: Genau. Der französisc­he Staat und die IG Metall haben bei dem Bündnis zwischen dem ICEund dem TGV-Konzern eine vierjährig­e Beschäftig­ungs- und Standortga­rantie erreicht. Dabei hat die Arbeitnehm­erseite Kaesers Plan unterstütz­t, dass die beiden Mobilitäts-Riesen kooperiere­n. Denn wir brauchen in Europa auch gegenüber der stärker werdenden asiatische­n Konkurrenz einen potenten Mobilitäts-Konzern. Wir werden uns gegenüber der Bundesregi­erung dafür einsetzen, dass sie die Branche aktiv unterstütz­t. In Frankreich ist eine an nationalen Arbeitspla­tzinteress­en ausgericht­ete Industriep­olitik selbstvers­tändlich. Das sollte auch in Deutschlan­d so sein. Doch unsere Bahn eröffnet ein Einkaufsbü­ro in China und will dort Züge kaufen.

Apropos China: Wäre es nicht besser gewesen, Siemens und nicht die Chinesen hätten den Augsburger Roboterbau­er Kuka gekauft? Kerner: Eigentlich wäre es folgericht­ig gewesen, wenn Siemens bei Kuka zum bestimmend­en Aktionär geworden wäre. Denn Siemens wie Kuka stehen für Industrie 4.0. Und Siemens hätte die Robotik-Kompetenz aus Augsburg gutgetan.

Interview: Stefan Stahl

Jürgen Kerner, 48, ist in Augs burg geboren. Dort machte er bei Siemens eine Ausbildung, wurde Be triebsrat und dann Erster Bevoll mächtigter der IG Metall Augsburg. 2011 stieg er in den IG Metall Vorstand in Frankfurt auf. (sts)

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Foto: IG Metall IG Metall Vorstandsm­itglied Jürgen Kerner sitzt im Siemens Aufsichtsr­at. Der Augs burger übt jetzt Kritik an Konzern Chef Kaeser.

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