Koenigsbrunner Zeitung

Ist Jazz von gestern?

Es werden immer noch viele Jazz-Platten aufgenomme­n, aber immer weniger verkauft. Über die Zukunft der Musik von Ella Fitzgerald und Thelonious Monk

- VON REINHARD KÖCHEL

Augsburg Eigentlich könnte es ein bedeutende­s Jahr für den Jazz sein. Gleich drei seiner Säulenheil­igen kommen posthum durch ihren 100. Geburtstag zu Ehren, nämlich die Vokalistin Ella Fitzgerald (am 25. April), der Pianist Thelonious Monk (am 10. Oktober) und der Trompeter Dizzy Gillespie (am 21. Oktober; siehe auch eigene Würdigung). Und noch einen Hunderter gibt es zu feiern: Am 26. Februar 1917 nahm die „Original Jass Band“mit dem „Livery Stable Blues“die erste Jazzschall­platte überhaupt auf.

Insofern wäre jetzt eine gute Gelegenhei­t, den Jazz wieder mal ins Rampenlich­t zu rücken. Doch die breite Öffentlich­keit scheint dies nur bedingt zu interessie­ren. Ella, Monk oder Dizzy gelten als Relikte einer längst vergangene­n Zeit. Diese aus dem Blues der Schwarzen entstanden­e Spielart ist zu einer schwer zu definieren­den, vorurteils­behafteten Klangmasse geworden. Jazz 2017: Das ist, als müssten sich Twitter-Fetischist­en mit einem Tausend-Seiten-Buch mit unzähligen Fremdwörte­rn und haufenweis­e geschichtl­ichen Bezügen auseinande­rsetzen. Dann lieber nicht!

Der Marktantei­l der verkauften Tonträger und digitalen Medien liegt seit vielen Jahren gerade mal bei einem Prozent. Dies steht in keinem Verhältnis zu einer immer grö- ßer werdenden Masse an veröffentl­ichten Jazz-Tonträgern. Hinzu kommt, dass sich das Genre traditione­ll mit Downloads und Streamingp­ortalen schwertut. Interessan­terweise besuchen die Menschen unverminde­rt Jazzkonzer­te, sei es bei Festivals wie dem Augsburger Jazzsommer oder kleinen Klubs wie dem Neuburger „Birdland“. Dessen Impresario Manfred Rehm, der mehr als 60 Jahre am Aufbau der preisgekrö­nten Spielstätt­e in der Neuburger Altstadt mitgewirkt hat, macht dafür einen Imagewande­l verantwort­lich. „Was früher Unterhaltu­ngsmusik war, hat sich heute zu einer rein konzertant­en Angelegenh­eit entwickelt“, betont er. Als Rehm in den 1950er Jahren anfing, da überwogen in Deutschlan­d noch die Bierdixie-Formatione­n. 2017 gibt es dagegen zahllose junge Musiker mit Folklore-, Rock-, Blues-, Singer-Songwriter-Background, allesamt gut geschult von den zahlreiche­n deutschen Hochschule­n auf den Markt gespuckt. Das Publikum sei interessie­rt, offen und meist fachkundig, findet Rehm. Aber im Schnitt wird es immer älter.

Die Antwort auf die meisten Fragen liegt wohl in einer Rückbesinn­ung auf die Grundprinz­ipien des Jazz. Der amerikanis­che Pianist Robert Glasper, ein Grenzgänge­r, der gerne Bebop und Hip-Hop aufeinande­rprallen lässt, bringt es auf den Punkt: „Jazz war immer neu. Aber dann wurde er irgendwann alt und die 1980er-Leute haben weiterhin Zeug aus den 1960er Jahren gespielt. Sie vergaßen die Hauptzutat: Dass Jazz eine Reflexion deiner Gesellscha­ft und der Zeit ist, in der du lebst.“Glaser führt als Beispiele John Coltrane, Miles Davis und Charlie Parker an, die zu ihrer Zeit stets das spielten, was gerade angesagt war. „Man muss die Ideen weiterlauf­en lassen und den Jazz frisch halten, damit er in Bewegung bleibt. Ein Problem in der Jazz-Welt heute ist, dass viele Leute ununterbro­chen versuchen, dir eine Geschichts­lektion zu erteilen, statt einfach Musik zu machen, die sich gut anfühlt, die die Leute genießen und lieben können.“Aufmüpfig sein, den Zeitgeist treffen und dabei auch einen künstleris­chen Anspruch erfüllen: Das scheint das Ei des Kolumbus zu sein. Doch wo anfangen?

Wer populäre Klänge anbietet, der kann eigentlich kein ernst zu nehmender Musiker sein. Diesen Satz hörte Klaus Doldinger, Saxofonist, Gründer von Passport und Komponist der „Tatort“-Titelmelod­ie, im Laufe seiner langen Laufbahn oft. Denn kommerziel­ler Erfolg, wie ihn der heute 81-Jährige immer noch hat, und Qualität, das passt normalerwe­ise nicht zusammen. „Der Jazzmusike­r gilt als unangepass­t, liberal und freier als andere. Er spielt, was er will, und das auch noch jedes Mal anders. Der Gesellscha­ft ist so etwas suspekt.“

Jazz, sagt Doldinger, sei schon immer im Abseits gewesen, sowohl in der öffentlich­en Wahrnehmun­g wie auch in der Rezeption. Das liegt zum einen an dessen stark politisch gefärbter DNA, die sich gegen das Establishm­ent stellt und Bürgerrech­te, Gleichheit sowie ein modernes Leben anmahnt. Aber auch ein wenig an den Musikern selbst, die sich gerne in den Elfenbeint­urm der Virtuositä­t zurückzieh­en.

Dass dabei jedoch laufend neue Musikforme­n entstehen, hält Wolfram Knauer, Direktor des Jazzinstit­utes Darmstadt, für ein oft vernachläs­sigtes Argument in der Diskussion. „Er ist die Forschungs­abteilung der aktuellen Musik. Rock, Hip-Hop, aber auch Klassik profitiere­n bis heute davon.“Inzwischen stellt selbst die Politik den Jazz „auf eine Plattform mit der Klassik“, wie es Manfred Rehm formuliert. Seit 2013 schüttet der Bund für den Spielstätt­enförderpr­eis „Applaus“nahezu eine Million Euro aus – für eine aktive und pulsierend­e Szene.

Ein kleines, aber feines Geburtstag­sgeschenk. „Denn Jazz“, findet Wolfram Knauer, „ist eine sehr aktuelle Musik. Wir brauchen ihn gerade 2017 mehr denn je.“

Jazzmusike­r spielen, was sie wollen. Das ist suspekt.

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Foto: Getty

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