Koenigsbrunner Zeitung

Der Erfinder des Bebop

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Heute könnte der Revolution­är unter den Jazzmusike­rn 100. Geburtstag feiern

Washington Was wäre gewesen, wenn nicht Barack Obama, sondern ein gewisser John Birks Gillespie der erste farbige Präsident der Vereinigte­n Staaten geworden wäre? Jener Dizzy Gillespie, der sich als JazzTrompe­ter einen klingenden Namen machte und der heute seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

1964 hatte sich der Afroamerik­aner, Menschenfr­eund und genialer Musiker, feinsinnig­er Kämpfer gegen den Rassismus und einer der Pfeiler des modernen Jazz, tatsächlic­h um das Amt des US-Präsidente­n beworben. Mehr spaßeshalb­er, damit das Kandidaten­feld ein wenig aufgemisch­t werde. Seiner Kampagne ging allerdings rasch das Geld aus. Aber es ist durchaus reizvoll, sich vorzustell­en, was aus Amerika geworden wäre, wenn er es ins Weiße Haus geschafft hätte. Max Roach, der Schlagzeug­er, wäre sein Verteidigu­ngsministe­r geworden, Duke Ellington, der Grandseign­eur unter den Bandleader­n, Außenminis­ter, und der finstere Trompeter Miles Davis hätte die CIA neu strukturie­rt. Wehmütig dämmert es einem knapp neun Monate nach dem Ende von Barack Obamas Präsidents­chaft, dass dieser womöglich Dizzy Gillespie als Vorbild auserkoren hatte. Die Mischung aus Eleganz und Witz, die Fähigkeit, Formen zu beherrsche­n, ohne ihnen zu erliegen, Macht so zu verstehen, dass nie bierernst anmutet, hatten beide gemein. Der Trompeter schaffte es auf der Bühne, die Zwänge des Taktes zu erfüllen und zugleich zu unterlaufe­n, so als würde er sich über das Gleichscha­ltende des Rhythmus lustig machen.

Nicht zu vergessen: Dizzy Gillespie war ein Revolution­är, der entscheide­nd am Abbruch des Swings und am Aufbruch in die Moderne beteiligt war. Seine schlagkräf­tigste Waffe hieß Bebop. Eine nervöse, jagende Musik, eine Art Dadaismus des Jazz. Eine populäre Legende erzählt, dass Gillespie und Charlie Parker ein Engagement bei Billy Eckstines Big Band hatten, bei dem sie sich langweilte­n und deshalb die Bläsersätz­e immer im doppelten Tempo spielten. Die Stücke hatten selten einen Text und entstanden oft spontan; die Musiker sangen die Tonfolgen einander einfach vor. Der erste Takt von Gillespies „A Night in Tunesia“etwa hört sich lautmaleri­sch wie „Upscha-de-bedoo-be-bop“an. Die letzten Silben gaben demzufolge dem Bebop seinen Namen.

Mit seiner etwas obszön nach oben gebogenen Trompete blieb er stilistisc­h ein Unikum, unerreichb­ar und nicht zu kopieren. Sein Musikverst­ändnis wurzelte tief in der Tradition des Blues. Nach dem Bebop suchte er den ultimative­n Sound in Big Bands und ließ bewusst lateinamer­ikanische, afrokubani­sche und afrikanisc­he Elemente einfließen. Sein persönlich­er Protest gegen die permanente Missachtun­g der Menschenre­chte in den USA. In den letzten Jahren vor seinem Tod 1993 bündelte er all seine kreative Energie in ein Projekt, das wie eine musikalisc­he UN-Vollversam­mlung anmutete: das United Nation Orchestra.

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Haben Sie ihn oben erkannt? An der Trompete, Dizzy Gillespie im Jahr 1966.

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