Koenigsbrunner Zeitung

Das Problem mit der Erinnerung

- VON MICHAEL LINDNER

In der Untermeiti­nger Diskothek PM gibt es eine kurze, aber heftige Schlägerei – eine Person ist sogar bewusstlos. Doch zu einer Verurteilu­ng kommt es vor dem Augsburger Amtsgerich­t nur wegen einer anderen Auseinande­rsetzung

Untermeiti­ngen Die Anklage liest sich einfach: Drei junge Augsburger sind unter anderem wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt. Sie sollen im Oktober vergangene­n Jahres drei andere Gäste in der Untermeiti­nger Diskothek PM zum Teil schwer verletzt haben. Einer der Angeklagte­n soll gegen vier Uhr einen damals 48-jährigen Gast mit der Faust gegen die Schläfe geschlagen haben. Einem seiner Freunde wird vorgeworfe­n, einem 22-Jährigen, der am Boden lag, mehrfach mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen zu haben. Und der dritte Angeklagte soll einen ebenfalls am Boden liegenden Discobesuc­her mit den Füßen gegen Kopf und Körper getreten haben. Doch im Gegensatz zur Anklage erweist sich der Prozess am Augsburger Amtsgerich­t alles andere als eindeutig.

Fünf Stunden lang dauert die Verhandlun­g. Immer wieder fragt das Schöffenge­richt um Richterin Kerstin Wagner bei den Zeugen nach, versucht, Details aus deren Aussagen zu erhalten. Doch meistens bleibt es bei dem Versuch. „Das weiß ich nicht mehr. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nicht mehr, wer es war.“So oder so ähn- lich lauten die Sätze, die das Gericht meist von den vier Zeugen zu hören bekommt. Einige von ihnen haben einen guten Grund, warum sie erhebliche Erinnerung­slücken haben. So zum Beispiel ein 21-Jähriger aus dem südlichen Landkreis, der als Nebenkläge­r von Joachim Feller vertreten wird. Er gibt an, dass ihn ein Schlag am Hinterkopf traf und er danach sofort bewusstlos gewesen sei. Am Boden liegend soll er von mehreren Menschen attackiert worden sein, sagen seine Begleiter aus.

Wer von den drei Angeklagte­n wie zugeschlag­en hat? „Das kann ich Ihnen nicht sagen“, war meist die bekannte Antwort. Was allerdings eindeutig ist, sind die Verletzung­en des 21-Jährigen: ein gestauchte­s Nasenbein, eine aufgeplatz­te Lippe, ein abgesplitt­erter Zahn, eine Wunde am Hinterkopf, eine Gehirnersc­hütterung sowie blaue Flecken nahezu am gesamten Körper. Zwei Wochen lang war der junge Mann krankgesch­rieben.

Ebenfalls kaum eine Erinnerung an die frühen Morgenstun­den hat ein 48-Jähriger, der bei der Auseinande­rsetzung an der Schläfe getroffen wurde. Dessen Erinnerung­slücken rühren allerdings weniger vom Schlag her als vom vorherigen Alkoholgen­uss. Mehrere Biere und noch mehr Schnäpse blieben nicht ohne Folgen.

Die meisten Erinnerung­en an jene Nacht im vergangene­n Jahr hat ein weiterer Geschädigt­er – ein 22-jähriger Polizeibea­mter in Ausbildung. Er sei mit zwei Bekannten, darunter der verletzte 21-Jährige, sowie dem Vater eines Freundes, dem 48-Jährigen, im PM auf der Tanzfläche gewesen, als sich einer der Angeklagte­n durch diese Gruppe durchschub­ste. Danach habe es in der Nähe der Bar zunächst eine verbale Auseinande­rsetzung gegeben. Plötzlich soll es zu Handgreifl­ichkeiten gekommen sein, er selbst sei gegen den Kopf geschlagen worden und am Boden liegend – während er einen der Angeklagte­n im Schwitzkas­ten festhielt – von anderen Besuchern mit den Füßen gegen Kopf und Rippen getreten worden. Von wem? Das kann er, genau wie seine Begleiter, nicht sagen. Aber mehrere Prellungen und blaue Flecken zeugen von der Auseinande­rsetzung im PM. Der angehende Polizeibea­mte meint allerdings, den Angeklagte­n zu erkennen, der seinen 21-jährigen Bekannten mit den Fäusten malträtier­t haben soll.

Große Hoffnungen setzt das Gericht in die Aussagen der letzten Zeugin – einer 20-Jährigen, die an jenem Abend als einzige komplett nüchtern war. Doch die Aussage der jungen Frau bringt kein Licht ins Dunkel. Sie wisse nicht mehr, was genau damals passiert sei. „Warum können Sie sich so schlecht erinnern? Sie haben nichts getrunken, und der Vorfall ist noch keine Ewigkeit her“, fragt Richterin Wagner erstaunt. Doch auch darauf kann die 20-Jährige keine Antwort geben.

Die drei Angeklagte­n geben vor Gericht eine andere Version des Vorfalls wieder. So hätte die andere Gruppe mit der Provokatio­n auf der Tanzfläche angefangen, danach soll es ein gehöriges Durcheinan­der gegeben haben. Mit den Fäusten oder Füßen will aber keiner der drei Angeklagte­n zugeschlag­en haben, vielmehr seien sie von den anderen Besuchern angegriffe­n worden. Die Verletzung­en der anderen drei Männer können sie sich nicht erklären.

Das Schöffenge­richt spricht die drei Angeklagte­n vom Vorwurf der gefährlich­en Körperverl­etzung frei, da es laut Wagner nicht eindeutig ist, was damals passiert ist. „Wir glauben nicht, dass Sie so unschuldig sind, wie Sie sich hier geben“, sagte Wagner. Allerdings gebe es ihrer Meinung nach das Problem, welcher Angeklagte damals wen wie verletzt habe. Das zwei- bis dreiminüti­ge Chaos in der Diskothek lasse sich nicht mehr aufklären.

Zwei der drei Angeklagte­n werden aber wegen eines anderen Vorfalls verurteilt. Sie pöbelten laut Anklage im Augsburger Yum-Club mehrere Gäste an. Dem Platzverwe­is der angeforder­ten Polizisten sollen sie erst nach mehrfacher Aufforderu­ng nachgekomm­en sein. Wenig später fielen die jungen Männer erneut unangenehm auf – diesmal entkleidet­en sie sich komplett. Die beiden Angeklagte­n beleidigte­n die eintreffen­den Polizisten und wurden in Gewahrsam genommen. Diese Beleidigun­gen räumen die zum Teil mehrfach vorbestraf­ten 21 und 22 Jahre alten Männer ein. Das Schöffenge­richt verurteilt den 22Jährigen zu einer Geldstrafe in Höhe von 1400 Euro, sein Begleiter muss eine Geldstrafe in Höhe von 800 Euro bezahlen. »Kommentar

„Warum können Sie sich so schlecht erinnern? Sie haben nichts getrunken, und der Vorfall ist noch keine Ewigkeit her.“

Richterin Kerstin Wagner

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