Das Problem mit der Erinnerung
In der Untermeitinger Diskothek PM gibt es eine kurze, aber heftige Schlägerei – eine Person ist sogar bewusstlos. Doch zu einer Verurteilung kommt es vor dem Augsburger Amtsgericht nur wegen einer anderen Auseinandersetzung
Untermeitingen Die Anklage liest sich einfach: Drei junge Augsburger sind unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sie sollen im Oktober vergangenen Jahres drei andere Gäste in der Untermeitinger Diskothek PM zum Teil schwer verletzt haben. Einer der Angeklagten soll gegen vier Uhr einen damals 48-jährigen Gast mit der Faust gegen die Schläfe geschlagen haben. Einem seiner Freunde wird vorgeworfen, einem 22-Jährigen, der am Boden lag, mehrfach mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen zu haben. Und der dritte Angeklagte soll einen ebenfalls am Boden liegenden Discobesucher mit den Füßen gegen Kopf und Körper getreten haben. Doch im Gegensatz zur Anklage erweist sich der Prozess am Augsburger Amtsgericht alles andere als eindeutig.
Fünf Stunden lang dauert die Verhandlung. Immer wieder fragt das Schöffengericht um Richterin Kerstin Wagner bei den Zeugen nach, versucht, Details aus deren Aussagen zu erhalten. Doch meistens bleibt es bei dem Versuch. „Das weiß ich nicht mehr. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nicht mehr, wer es war.“So oder so ähn- lich lauten die Sätze, die das Gericht meist von den vier Zeugen zu hören bekommt. Einige von ihnen haben einen guten Grund, warum sie erhebliche Erinnerungslücken haben. So zum Beispiel ein 21-Jähriger aus dem südlichen Landkreis, der als Nebenkläger von Joachim Feller vertreten wird. Er gibt an, dass ihn ein Schlag am Hinterkopf traf und er danach sofort bewusstlos gewesen sei. Am Boden liegend soll er von mehreren Menschen attackiert worden sein, sagen seine Begleiter aus.
Wer von den drei Angeklagten wie zugeschlagen hat? „Das kann ich Ihnen nicht sagen“, war meist die bekannte Antwort. Was allerdings eindeutig ist, sind die Verletzungen des 21-Jährigen: ein gestauchtes Nasenbein, eine aufgeplatzte Lippe, ein abgesplitterter Zahn, eine Wunde am Hinterkopf, eine Gehirnerschütterung sowie blaue Flecken nahezu am gesamten Körper. Zwei Wochen lang war der junge Mann krankgeschrieben.
Ebenfalls kaum eine Erinnerung an die frühen Morgenstunden hat ein 48-Jähriger, der bei der Auseinandersetzung an der Schläfe getroffen wurde. Dessen Erinnerungslücken rühren allerdings weniger vom Schlag her als vom vorherigen Alkoholgenuss. Mehrere Biere und noch mehr Schnäpse blieben nicht ohne Folgen.
Die meisten Erinnerungen an jene Nacht im vergangenen Jahr hat ein weiterer Geschädigter – ein 22-jähriger Polizeibeamter in Ausbildung. Er sei mit zwei Bekannten, darunter der verletzte 21-Jährige, sowie dem Vater eines Freundes, dem 48-Jährigen, im PM auf der Tanzfläche gewesen, als sich einer der Angeklagten durch diese Gruppe durchschubste. Danach habe es in der Nähe der Bar zunächst eine verbale Auseinandersetzung gegeben. Plötzlich soll es zu Handgreiflichkeiten gekommen sein, er selbst sei gegen den Kopf geschlagen worden und am Boden liegend – während er einen der Angeklagten im Schwitzkasten festhielt – von anderen Besuchern mit den Füßen gegen Kopf und Rippen getreten worden. Von wem? Das kann er, genau wie seine Begleiter, nicht sagen. Aber mehrere Prellungen und blaue Flecken zeugen von der Auseinandersetzung im PM. Der angehende Polizeibeamte meint allerdings, den Angeklagten zu erkennen, der seinen 21-jährigen Bekannten mit den Fäusten malträtiert haben soll.
Große Hoffnungen setzt das Gericht in die Aussagen der letzten Zeugin – einer 20-Jährigen, die an jenem Abend als einzige komplett nüchtern war. Doch die Aussage der jungen Frau bringt kein Licht ins Dunkel. Sie wisse nicht mehr, was genau damals passiert sei. „Warum können Sie sich so schlecht erinnern? Sie haben nichts getrunken, und der Vorfall ist noch keine Ewigkeit her“, fragt Richterin Wagner erstaunt. Doch auch darauf kann die 20-Jährige keine Antwort geben.
Die drei Angeklagten geben vor Gericht eine andere Version des Vorfalls wieder. So hätte die andere Gruppe mit der Provokation auf der Tanzfläche angefangen, danach soll es ein gehöriges Durcheinander gegeben haben. Mit den Fäusten oder Füßen will aber keiner der drei Angeklagten zugeschlagen haben, vielmehr seien sie von den anderen Besuchern angegriffen worden. Die Verletzungen der anderen drei Männer können sie sich nicht erklären.
Das Schöffengericht spricht die drei Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung frei, da es laut Wagner nicht eindeutig ist, was damals passiert ist. „Wir glauben nicht, dass Sie so unschuldig sind, wie Sie sich hier geben“, sagte Wagner. Allerdings gebe es ihrer Meinung nach das Problem, welcher Angeklagte damals wen wie verletzt habe. Das zwei- bis dreiminütige Chaos in der Diskothek lasse sich nicht mehr aufklären.
Zwei der drei Angeklagten werden aber wegen eines anderen Vorfalls verurteilt. Sie pöbelten laut Anklage im Augsburger Yum-Club mehrere Gäste an. Dem Platzverweis der angeforderten Polizisten sollen sie erst nach mehrfacher Aufforderung nachgekommen sein. Wenig später fielen die jungen Männer erneut unangenehm auf – diesmal entkleideten sie sich komplett. Die beiden Angeklagten beleidigten die eintreffenden Polizisten und wurden in Gewahrsam genommen. Diese Beleidigungen räumen die zum Teil mehrfach vorbestraften 21 und 22 Jahre alten Männer ein. Das Schöffengericht verurteilt den 22Jährigen zu einer Geldstrafe in Höhe von 1400 Euro, sein Begleiter muss eine Geldstrafe in Höhe von 800 Euro bezahlen. »Kommentar
„Warum können Sie sich so schlecht erinnern? Sie haben nichts getrunken, und der Vorfall ist noch keine Ewigkeit her.“
Richterin Kerstin Wagner