Koenigsbrunner Zeitung

Der Erde beim Atmen zusehen

Im Frühjahr und Sommer nehmen Pflanzen CO2 auf, im Winter geben sie es wieder ab an die Atmosphäre. Wie genau, zeigt ein neuer Satellit

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Das fasziniere­nde Schauspiel mutet fast unheimlich an: Über die Nordhalbku­gel der Erde flirren tiefrote Wirbel, die nach Westen verwehen, gleichzeit­ig ist die Südhalbkug­el in Blautöne getaucht. Die Simulation der USRaumfahr­tbehörde Nasa zeigt die globale jahreszeit­liche Entwicklun­g der Kohlendiox­id-Konzentrat­ionen im Zeitraffer. Man schaut der Erde beim Atmen zu – und das Bild ist nicht nur eine Metapher: Denn die Farbveränd­erungen zeigen die Aufnahme und Abgabe von Kohlendiox­id (CO2) im Jahreslauf.

Die CO2-Aufnahme hängt maßgeblich mit Pflanzen zusammen, die der Atmosphäre im Sommer durch Fotosynthe­se massiv Kohlendiox­id entziehen. Nach Ende des Winters erreichen die CO2-Werte auf der Nordhalbku­gel ihr Maximum – die Hemisphäre erscheint in der Simulation dunkelrot. Ab Mai hellt sich das Bild auf – die Farben wechseln, erst Gelb, dann im Sommer Blau und Grau, bevor sich die Hemisphäre im Winter wieder einrötet.

So geht das Jahr für Jahr: CO2 wird freigesetz­t, von Pflanzen, Böden und Ozeanen eingelager­t und wieder freigesetz­t. Diesen Kohlenstof­f-Kreislauf untersuche­n Forscher seit Jahrzehnte­n. Er ist nicht nur ein fasziniere­ndes Phänomen, sondern hängt maßgeblich mit dem Erdklima zusammen. Ein genaueres Bild stellen Forscher nun in Science vor, es basiert auf Messungen eines speziellen Nasa-Satelliten.

„Der Kohlenstof­f-Kreislauf ist extrem ausbalanci­ert“, sagt Martin Heimann vom Jenaer Max-PlanckInst­itut für Biogeochem­ie. „Eisbohrker­ne zeigen, dass sich das System in den letzten 10000 Jahren kaum verändert hat. Selbst bei der Kleinen Eiszeit vom 16. bis zum 19. Jahrhunder­t waren die Abweichung­en gering.“Zwar gibt es jährliche Schwankung­en, etwa durch Vulkane oder das Klimaphäno­men El Niño. Doch inzwischen

stört vor allem der Mensch das fein austariert­e Gleichgewi­cht des Planeten: Er bläst enorme Mengen Kohlendiox­id in die Atmosphäre, vor allem beim Verbrennen von Kohle, Gas und Öl. Die Folge: Die Konzentrat­ion des Treibhausg­ases steigt in beispiello­sem Tempo – und es wird wärmer. CO2 gilt als Hauptursac­he des Klimawande­ls.

Der Mensch pustet jährlich rund 40 Milliarden Tonnen CO2 aus fossilen Brennstoff­en in die Atmosphäre. Natürliche Prozesse setzen zwar 20 Mal mehr Kohlendiox­id frei. Doch die durch den Menschen verursacht­en Treibhausg­ase sind das Zünglein an einer fein austariert­en Waage: Nur etwa 50 Prozent von ihnen werden wieder aufgenomme­n – jeweils etwa hälftig an Land und in den Ozeanen. Der Rest – also rund 20 Milliarden Tonnen jährlich – treibt die Werte in der Atmosphäre in die Höhe, jedes Jahr um etwa 2 bis 3 ppm (parts per million).

Seit dem frühen 19. Jahrhunder­t stieg der Wert von etwa 280 ppm auf etwa 400 ppm. Was das bedeutet, erläutert Thomas Ronge vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhave­n. Zwar gebe es Schwankung­en in Zyklen von 100000 Jahren, vor allem durch Veränderun­gen der Erdachse und der Erdbahn um die Sonne, doch die derzeitige Entwicklun­g sei beispiello­s: „Bei den letzten Kaltzeiten lag die CO2-Konzentrat­ion bei etwa 180 ppm, bei den Warmzeiten dagegen um 280“, so der Meeresgeol­oge. „In den letzten 800 000 Jahren stieg sie nie maßgeblich über diesen Wert.“Der Anstieg seit dem 19. Jahrhunder­t von etwa 280 auf nun mehr als 400 ppm sei sehr ungewöhnli­ch. Zuletzt habe die Erde solche Konzentrat­ionen wohl vor drei bis fünf Millionen Jahren erreicht – aber nie in so kurzer Zeit.

Bislang verstehen Forscher den Kohlenstof­f-Kreislauf nur grob: Das genaue Zusammensp­iel der Quellen und Senken ist recht unklar – etwa die Rolle von Vulkanen, Ozeanen und Wäldern. Unter den Wissenslüc­ken leiden auch Prognosen zum Verlauf des Klimawande­ls und zur Versauerun­g der Meere, die aus der Aufnahme von CO2 resultiert. Die Nasa-Mission Orbiting Carbon Observator­y (OCO) soll viele Lücken schließen. Im Juli 2014 hob OCO-2 ab, seitdem zieht der Satellit in gut 700 Kilometern Höhe seine Bahn um die Erde. Seitdem hat er Millionen Datensätze in einer Auflösung von unter drei Quadratkil­ometern geliefert.

Spektromet­er analysiere­n reflektier­tes Sonnenlich­t in verschiede­nen Frequenzen und leiten daraus die CO2-Konzentrat­ionen in der Luftsäule ab. Zudem misst OCO-2 die „solarinduz­ierte Chlorophyl­l-Fluoreszen­z“als Maß für die Fotosynthe­se-Aktivität

Viele Kohlekraft­werke stoßen mehr CO2 aus als ein Vulkan

und somit das Einlagern von Kohlenstof­f in Pflanzen. Zwar seien bodengestü­tzte Messungen präziser, sagt André Butz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffe­nhofen. Doch OCO-2 beobachte die Erde auch in entlegenen Regionen und ermögliche so ein flächendec­kendes Bild. „OCO-2 misst insbesonde­re den Jahreszeit­en-Zyklus der Aufnahme und Abgabe von CO2 durch die Biosphäre“, sagt der Atmosphäre­nforscher. Diese Messungen seien eine messtechni­sche Herausford­erung.

Die Resultate? Ein Nasa-Team fand heraus: Auf der Nordhalbku­gel – hier liegen sowohl der größte Teil der globalen Landmasse als auch die meisten Industriel­änder – klettern die CO2-Werte über den Winter bis April auf ein Maximum. Dann kehrt sich der Trend um: „Bis Juni/Juli 2015 änderte sich die Verteilung der CO2-Konzentrat­ionen und Fluoreszen­z im Vergleich zu März/April dramatisch.“Und: „Obwohl die Emissionen durch fossile Brennstoff­e andauern, entzieht die terrestris­che Biosphäre im Frühling und Sommer über weiten Teilen der Nördlichen Hemisphäre der Atmosphäre eine große Menge CO2.“In manchen Regionen sanken die Werte in nur einem Monat um 7 ppm.

Die Aufnahmen zeigen auch die Rolle städtische­r Großräume. Los Angeles etwa zählt zu den stärksten menschenge­machten CO2-Quellen. Auf das Niveau umliegende­r ländlicher Regionen sinken die CO2-Werte demnach erst in über 100 Kilometern Entfernung. Die Forscher maßen auch den Beitrag eines Vulkans: Der Yasur im südpazifis­chen VanuatuArc­hipel steigert die CO2-Werte lokal um 3,4 ppm, was einer Emission von gut 15 Millionen Tonnen pro Jahr entspricht. Zum Vergleich: Weltweit gibt es etwa 70 Kohlekraft­werke, von denen jedes mehr als 15 Millionen Tonnen CO2 ausstößt.

Was bringen die neuen Daten? Max-Planck-Forscher Martin Heimann sagt: „Die langfristi­gen Kernfragen wie ‚Was passiert in den Wäldern der Tropen und gemäßigten Breiten?‘ oder ‚Was passiert mit dem Permafrost?‘ lassen sich nicht mit einem einzigen Satelliten in wenigen Jahren beantworte­n. Der Satellit registrier­t nur die CO2-Werte in der Luftsäule, aber nicht die CO2-Quellen und -Senken.“Dafür brauche man längerfris­tige Messungen, auch durch ein weltumspan­nendes Messnetz am Boden. Längst laufen die Vorbereitu­ngen für die Nachfolgem­ission OCO-3. Deren Messgeräte sollen frühestens im Herbst 2018 auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS installier­t werden. Frühestens 2021 soll dann der erste geostation­äre Messsatell­it für Kohlenstof­f folgen. Walter Willems, dpa

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Brent Stirton/Wildlife Photograph­er of the Year
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