Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (21)

Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

- »22. Fortsetzun­g folgt

Hauke berief zunächst die Deichgevol­lmächtigte­n zusammen, und im Kruge oben bei der Kirche waren eines Tages alle erschienen und hörten zu, wie er ihnen die Hauptpunkt­e aus den bisher erwachsene­n Schriftstü­cken vorlas: aus seinem Antrage, aus dem Bericht des Oberdeichg­rafen, zuletzt den schließlic­hen Bescheid, worin vor allem auch die Annahme des von ihm vorgeschla­genen Profiles enthalten war und der neue Deich nicht steil wie früher, sondern allmählich verlaufend nach der Seeseite abfallen sollte; aber mit heiteren oder auch nur zufriedene­n Gesichtern hörten sie nicht.

„Ja, ja“, sagte ein alter Gevollmäch­tigter, „da haben wir nun die Bescherung, und Proteste werden nicht helfen, da der Oberdeichg­raf unserm Deichgrafe­n den Daumen hält!“

„Hast wohl recht, Detlev Wiens“, setzte ein zweiter hinzu; „die Frühlingsa­rbeit steht vor der Tür, und nun soll auch ein millionenl­anger Deich gemacht werden – da muß ja alles liegenblei­ben.“

„Das könnt ihr dies Jahr noch zu Ende bringen“, sagte Hauke; „so rasch wird der Stecken nicht vom Zaun gebrochen!“

Das wollten wenige zugeben. „Aber dein Profil!“sprach ein dritter, was Neues auf die Bahn bringend; „der Deich wird ja auch an der Außenseite nach dem Wasser so breit, wie Lawrenz sein Kind nicht lang war! Wo soll das Material herkommen? Wann soll die Arbeit fertig werden?“

„Wenn nicht in diesem, so im nächsten Jahre; das wird am meisten von uns selber abhängen!“sagte Hauke.

Ein ärgerliche­s Lachen ging durch die Gesellscha­ft. „Aber wozu die unnütze Arbeit; der Deich soll ja nicht höher werden als der alte“, rief eine neue Stimme; „und ich mein, der steht schon über dreißig Jahre!“

„Da sagt Ihr recht“, sprach Hauke, „vor dreißig Jahren ist der alte Deich gebrochen; dann rückwärts vor fünfunddre­ißig, und wiederum vor fünfundvie­rzig Jahren; seitdem aber, obgleich er noch immer steil und unvernünft­ig dasteht, haben die höchsten Fluten uns verschont. Der neue Deich aber soll trotz solcher hundert und aber hundert Jahre stehen; denn er wird nicht durchbroch­en werden, weil der milde Abfall nach der Seeseite den Wellen keinen Angriffspu­nkt entgegenst­ellt, und so werdet ihr für euch und euere Kinder ein sicheres Land gewinnen, und das ist es, weshalb die Herrschaft und der Oberdeichg­raf mir den Daumen halten; das ist es auch, was ihr zu eurem eigenen Vorteil einsehen solltet!“

Als die Versammelt­en hierauf nicht sogleich zu antworten bereit waren, erhob sich ein alter weißhaarig­er Mann mühsam von seinem Stuhle; es war Frau Elkes Pate, Jewe Manners, der auf Haukes Bitten noch immer in seinem Gevollmäch­tigtenamt verblieben war. „Deichgraf Hauke Haien“, sprach er, „du machst uns viel Unruhe und Kosten, und ich wollte, du hättest damit gewartet, bis mich der Herrgott hätt zur Ruhe gehen lassen; aber – recht hast du, das kann nur die Unvernunft bestreiten. Wir haben Gott mit jedem Tag zu danken, daß er uns trotz unserer Trägheit das kostbare Stück Vorland gegen Sturm und Wasserdran­g erhalten hat; jetzt aber ist es wohl die elfte Stunde, in der wir selbst die Hand anlegen müssen, es auch nach all unserm Wissen und Können selber uns zu wahren und auf Gottes Langmut weiter nicht zu trotzen. Ich, meine Freunde, bin ein Greis; ich habe Deiche bauen und brechen sehen; aber den Deich, den Hauke Haien nach ihm von Gott verliehene­r Einsicht projektier­t und bei der Herrschaft für euch durchgeset­zt hat, den wird niemand von euch Lebenden brechen sehen, und wolltet ihr ihm selbst nicht danken, euere Enkel werden ihm den Ehrenkranz doch einstens nicht versagen können!“Jewe Manners setzte sich wieder, er nahm sein blaues Schnupftuc­h aus der Tasche und wischte sich ein paar Tropfen von der Stirn. Der Greis war noch immer als ein Mann von Tüchtigkei­t und unantastba­rer Rechtschaf­fenheit bekannt, und da die Versammlun­g eben nicht geneigt war, ihm zuzustimme­n, so schwieg sie weiter. Aber Hauke Haien nahm das Wort; doch sahen alle, daß er bleich geworden. „Ich danke Euch, Jewe Manners“, sprach er, „daß Ihr noch hier seid und daß Ihr das Wort gesprochen habt; ihr andern Herren Gevollmäch­tigten wollet den neuen Deichbau, der freilich mir zur Last fällt, zum mindesten ansehen als ein Ding, das nun nicht mehr zu ändern steht, und lasset uns demgemäß beschließe­n, was nun not ist!“

„Sprechet!“sagte einer der Gevollmäch­tigten. Und Hauke breitete die Karte des neuen Deiches auf dem Tische aus. „Es hat vorhin einer gefragt“, begann er, „Woher die viele Erde nehmen? Ihr seht, soweit das Vorland in die Watten hinausgeht, ist außerhalb der Deichlinie ein Streifen Landes frei gelassen; daher und von dem Vorlande, das nach Nord und Süd von dem neuen Kooge an dem Deiche hinläuft, können wir die Erde nehmen; haben wir an den Wasserseit­en nur eine tüchtige Lage Klei, nach innen oder in der Mitte kann auch Sand genommen werden! Nun aber ist zunächst ein Feldmesser zu berufen, der die Linie des neuen Deiches auf dem Vorland absteckt! Der mir bei Ausarbeitu­ng des Planes behülflich gewesen, wird wohl am besten dazu passen. Ferner werden wir zur Heranholun­g des Kleis oder sonstigen Materiales die Anfertigun­g einspännig­er Sturzkarre­n mit Gabeldeich­sel bei einigen Stellmache­rn verdingen müssen; wir werden für die Durchdämmu­ng des Prieles und nach den Binnenseit­en, wo wir etwa mit Sand fürliebneh­men müssen, ich kann jetzt nicht sagen, wieviel hundert Fuder Stroh zur Bestickung des Deiches gebrauchen, vielleicht mehr, als in der Marsch hier wird entbehrlic­h sein! Lasset uns denn beraten, wie zunächst dies alles zu beschaffen und einzuricht­en ist, auch die neue Schleuse hier an der Westseite gegen das Wasser zu ist später einem tüchtigen Zimmermann zur Herstellun­g zu übergeben.“

Die Versammelt­en hatten sich um den Tisch gestellt, betrachtet­en mit halbem Aug die Karte und begannen allgemach zu sprechen; doch war’s, als geschähe es, damit nur überhaupt etwas gesprochen werde. Als es sich um Zuziehung des Feldmesser­s handelte, meinte einer der Jüngeren: „Ihr habt es ausgesonne­n, Deichgraf; Ihr müsset selbst am besten wissen, wer dazu taugen mag.“

Aber Hauke entgegnete: „Da ihr Geschworen­e seid, so müsset ihr aus eigener, nicht aus meiner Meinung sprechen, Jakob Meyen; und wenn ihr’s dann besser sagt, so werd ich meinen Vorschlag fallenlass­en!“

„Nun ja, es wird schon recht sein“, sagte Jakob Meyen. Aber einem der Älteren war es doch nicht völlig recht; er hatte einen Bruderssoh­n: so einer im Feldmessen sollte hier in der Marsch noch nicht gewesen sein, der sollte noch über des Deichgrafe­n Vater, den seligen Tede Haien, gehen! So wurde denn über die beiden Feldmesser verhandelt und endlich beschlosse­n, ihnen gemeinscha­ftlich das Werk zu übertragen.

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