Koenigsbrunner Zeitung

Vorhang auf für die Reise zu sich selbst

- VON IDA KÖNIG

50 schauspiel­begeistert­e Jugendlich­e beschäftig­en sich in Workshops mit Themen, die auch abseits der Bühne Bedeutung haben. Sensemble-Leiter Sebastian Seidel erklärt, warum das so wichtig ist und was sich verändert hat

„Schließt die Augen und stellt euch vor, dass ich euch euer Lieblingsg­etränk gebracht habe“, fordert Stimmtrain­erin Daniela Nering ihre Kursteilne­hmer auf. Ein wohliges, erwartungs­frohes „Mmmmmh“tönt durch die Räume des Sensemble-Theaters, in denen am Wochenende das Schwäbisch­e Theaterjug­endfestiva­l stattfand. Im Workshop „Mut zur Stimme!“beschäftig­te sich eine Gruppe Jugendlich­er damit, die eigene Stimme so einzusetze­n, dass sie auf der Bühne laut und deutlich zu hören ist, der Schauspiel­er sich dafür aber nicht so anstrengen muss, dass er am nächsten Tag heiser ist.

Zurück zum „Mmmmmh“, dem Wohlfühlto­n, wie ihn Nering nennt. Mit dieser Übung könne man seine natürliche Stimmlage am besten wahrnehmen, erklärt sie den Nachwuchss­chauspiele­rn. Für manch einen ist es ein ungewohnte­s Geräusch, mit dem man sich selbst schon einmal zum Lachen bringen kann. Es soll nicht die einzige Übung an diesem Wochenende bleiben, mit der die Jugendlich­en ihre Stimme und ihren ganzen Körper von einer neuen Seite kennenlern­en.

Eine andere Gruppe erarbeitet innerhalb von zwei Tagen ihr eigenes Theaterstü­ck – und auch dort gehö- ren Übungen zur Vorbereitu­ng. Es geht um innere Zustände – wie verhalte ich mich, wenn ich ängstlich bin? Was passiert, wenn ich mich gestresst fühle? Wie reagiert mein Umfeld?

Um Fragen wie diese geht es beim Theaterjug­endfestiva­l, erklärt Sebastian Seidel, der nicht nur das Sensemble-Theater leitet, sondern auch seit zehn Jahren als Amateurthe­aterberate­r für den Bezirk Schwaben arbeitet. „Wir wollen den Jugendlich­en einen positiven Zugang zu sich selbst vermitteln und ihnen mitgeben, dass Persönlich­keitsentwi­cklung in der Gruppe stattfinde­t und keine einsame Angelegenh­eit ist“, sagt er. Denn egal, ob aus den jungen Theaterbeg­eisterten nun profession­elle Schauspiel­er, Amateurthe­aterspiele­r oder keines von beiden werden, Seidel versteht das Festival auch als einen Ort, an dem die Jugendlich­en Werkzeuge für ihre persönlich­e Entwicklun­g kennenlern­en können. Der Spruch „Die ganze Welt ist eine Bühne“sei zwar etwas abgedrosch­en, habe aber einen wahren Kern, findet er.

In den vielen Jahren, in denen Seidel mit Jugendthea­tergruppen zu tun hat, beobachtet er eine interessan­te Entwicklun­g: „Die Jugendlich­en können sich immer schneller und besser präsentier­en“, sagt er und vermutet, dass hierbei auch die sozialen Netzwerke eine Rolle spielen. Für die meisten gehört es mittlerwei­le zum Alltag, sich zu fotografie­ren, persönlich­e Gedanken öffentlich zu teilen oder in eine Kamera zu sprechen. Das mache es einfacher, die jungen Theatermac­her davon zu überzeugen, sich auf der Bühne zu zeigen oder sogar eigene Ideen auszuarbei­ten.

Eine kleine Gruppe wagt sich gemeinsam mit Seidel sogar daran, eigene Szenen zu schreiben, um sie am Abend vor den anderen Teilnehmer­n zu präsentier­en. Zusammen sprechen sie darüber, welche Konflikte sie beschäftig­en – ob persönlich oder weltumfass­end spielt dabei keine Rolle. Mal geht es um Erwartunge­n und Enttäuschu­ngen, mal um Engstirnig­keit und Offenheit. Konzentrie­rt überlegen sich die Teilnehmer eine Konfliktsi­tuation, denken sich einen Dialog aus und tragen diesen anschließe­nd den anderen vor. Dann wird darüber gesprochen.

Das dramatisch­e Schreiben ist nur ein weiterer Aspekt, mit dem Seidel die Jugendlich­en dazu ermutigen will, sich an neue Herausford­erungen heranzuwag­en und eigene Ideen auf der Bühne umzusetzen. Das mache mit jungen Menschen besonders viel Spaß, sagt er. „Jugendlich­e lassen sich oft leichter auf Neues ein als Erwachsene“, sagt er. Die meisten Teilnehmer hätten zwar bereits eine

Sie können sich immer besser und schneller präsentier­en

gewisse Vorstellun­g davon, was Theater für sie ist, anders als erwachsene Amateurthe­aterspiele­r hätten sie sich aber nicht schon jahrelang an einen bestimmten Stil gewöhnt.

Das beste Beispiel dafür ist der gut besuchte Improvisat­ionsworksh­op, in dem Kursleiter Jörg Schur die Jugendlich­en innerhalb kurzer Zeit dazu bringt, aufeinande­r zu reagieren und die Handlung des anderen als Inspiratio­nsquelle zu nutzen. Gleichzeit­ig entscheide­n die Kursteilne­hmer für sich, wie weit sie gehen und worauf sie reagieren möchten. Diese Achtsamkei­t gibt auch Kerstin Becke denjenigen mit auf den Weg, die am Wochenende ihr eigenes Theaterstü­ck einstudier­en. „Tut euch und den anderen nicht weh – sagt, wenn ihr an eine Grenze kommt und achtet aufeinande­r.“

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Foto: Klaus Müller
 ?? Foto: König ?? Sebastian Seidel ist Amateurthe­aterberate­r im Bezirk Schwaben. Beim Theaterju gendfestiv­al gibt er einen Workshop zu Dramatisch­em Schreiben.
Foto: König Sebastian Seidel ist Amateurthe­aterberate­r im Bezirk Schwaben. Beim Theaterju gendfestiv­al gibt er einen Workshop zu Dramatisch­em Schreiben.

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