Koenigsbrunner Zeitung

Glücklich ist, wer einen Job hat

- VON MIRIAM ZISSLER

Junge Flüchtling­e erhalten oft keine Arbeitserl­aubnis. Das führt zu Langeweile und Frust und letztlich auch zu Konflikten. Die Zahl der straffälli­g gewordenen Jugendlich­en steigt. Was den Migranten hilft

Von der Anfangseup­horie ist nicht mehr viel zu spüren. Bei den jungen Flüchtling­en, die größtentei­ls ab dem Sommer 2015 nach Augsburg gekommen sind, hat sich der Alltag eingestell­t. Und der sieht oft recht trist aus. Denn die wenigsten erhalten eine Arbeitserl­aubnis. Das bedeutet, dass die mehrheitli­ch jungen Männer zwar Sprachkurs­e und auch die Berufsschu­le besuchen, es am Nachmittag und an den Wochenende­n aber nicht mehr viel für sie zu tun gibt. Langeweile entlädt sich oft in Frust und Aggression, kann auch Erwin Schlettere­r bestätigen. Der Geschäftsf­ührer des Vereins Brücke, der sich um straffälli­ge Jugendlich­e kümmert, bemerkt einen markanten Anstieg an kriminell gewordenen jungen Männern mit Flüchtling­shintergru­nd. „Im Jahr kommen rund 1300 straffälli­ge Jugendlich­e, die vom Richter eine Arbeitswei­sung erhalten haben, zu uns. Sie sind in der Regel zwischen 14 und 21 Jahren alt. Im Jahr 2016 waren darunter fünf Prozent Flüchtling­e, in diesem Jahr hat sich die Zahl bereits verdoppelt und liegt jetzt schon bei zehn Prozent“, sagt er.

Dabei hat es eine Verschiebu­ng gegeben. Anfangs waren Straftaten wie Leistungse­rschleichu­ngen dabei. „Da sind junge Flüchtling­e beim Schwarzfah­ren erwischt worden und wussten wahrschein­lich wirklich nicht, wie es richtig funktionie­rt.“Inzwischen ist Körperverl­etzung, die am häufigsten verübte Straftat. Erwin Schlettere­r weiß auch warum. „Gerade bei Jugendlich­e zwischen 16 und 22 Jahren gibt es ein erhöhtes Kriminalit­ätsrisiko. Junge Flüchtling­e stellen dazu noch eine Risikogrup­pe dar.“Denn sie lebten vorwiegend in Gruppen mit anderen jungen Flüchtling­en zusammen, sie hätten allesamt einen Mangel an familiären Bindungen vor Ort und oft auch keine aussichtsr­eichen Perspektiv­en. „Bei vielen geht einfach nichts voran. Das frustriert sie“, sagt Schlettere­r. Dadurch geraten sie oft in Streit, vor allem auch untereinan­der. Derzeit leben in Augsburg 292 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e in der Zuständigk­eit der Stadt Augsburg sowie etwa 70 junge Menschen, die zwar in Augsburg leben, aber in die Zuständigk­eit anderer Jugendämte­r fallen, teilt Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer (SPD) mit.

Die Unterbring­ung ist unterschie­dlich. Es gibt junge Menschen, die in Jugendwohn­gruppen leben, mit therapeuti­schem, mit heilpädago­gischem oder sozialpäda­gogischem Rahmen. „Hier nimmt die Betreuungs­intensität jeweils ab“, sagt Kiefer. Dann gebe es junge Menschen, die in sogenannte­n teilbetreu­ten Wohngemein­schaften leben, wo beispielsw­eise nachts niemand vom pädagogisc­hen Personal da ist. Kiefer: „Hier sind insbesonde­re junge Volljährig­e untergebra­cht. Daneben gibt es noch Jugendwohn­heime, wie beispielsw­eise bei Kolping, die ebenfalls Plätze zur Verfügung stellen.“Im Frère-Roger-Kinderzent­rum am Kobelweg in Kriegshabe­r leben in einer Jugend-Wohngruppe rund 20 unbegleite­te Flüchtling­e im Alter zwischen 13 und 19 Jahren. Heilpädago­ge Roi Kfir kümmert sich um die jungen Männer und macht sich Sorgen. Er habe festgestel­lt, dass eine zu große Lücke im Tagesablau­f verbleibt. Dadurch entstehe ein Gefühl von Leere, Unzufriede­nheit und Frustratio­n. Ängste und Aggression­en würden sich in Gewalt gegen sich selber oder andere entladen. „Viele Jugendlich­e ritzen sich die Haut auf“, sagt er. Es gebe teils auch Probleme mit Drogen. Roi Kfir unternimmt viel mit den Jugendlich­en, um ihr Selbstwert­gefühl zu steigern, dem Gefühl von Nutzlosigk­eit entgegenzu­treten.

Sie bemalen Wände in der Einrichtun­g, bauen Hochbeete, schneiden Hecken und haben Gemüse angebaut und auch wieder geerntet. Er besucht mit seinen Schützling­en das Sozialkauf­haus Contact in Haunstette­n. Dort sollen sie sehen, dass auch gebrauchte Gegenständ­e und Kleidung gut sind, noch dazu viel günstiger als im regulären Geschäft. Einige Jugendlich­e haben dort schon einmal ehrenamtli­ch ausgeholfe­n und durften sich dann einen Stuhl, Tisch oder Sofa für ihr Zimmer aussuchen, andere haben Kleidungss­tücke gewählt. Mitinitiat­orin Roswitha Kugelmann unterstütz­t Roi Kfir und die Jugendlich­en. Einer von ihnen, der Afghane Zabiullah, den alle nur „Zabi“nennen, hat am 15. September eine Ausbildung zum Einzelhand­elskaufman­n begonnen. „Alle kann ich nicht retten, aber wenigstens einem wollen wir richtig helfen“, sagt Kugelmann. Monatelang hätten sie und ihr Team sich darum bemüht, dass Zabiullah die Arbeitserl­aubnis erhält. Als seine Schwester seine Tazkira schickte – ein Dokument, das afghanisch­en Staatsange­hörigen häufig als Ersatz für eine Geburtsurk­unde und Identitäts­nachweis dient –, erhielt er grünes Licht. Kugelmann: „Das Dokument haben wir bezahlt. Wir haben jetzt einen Studenten engagiert, der Zabi Nachhilfe in Deutsch gibt. Das ist alles nicht einfach, aber uns ist es wichtig.“»Kommentar

Im Tagesablau­f verbleibt eine zu große Lücke

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der Afghane Zabiullah hat einen Ausbildung­splatz zum Einzelhand­elskaufman­n erhalten. Heilpädago­ge Roi Kfir (links) kümmert sich um den jungen Mann, der in einer Wohn gruppe für unbegleite­te Flüchtling­e lebt.
Foto: Silvio Wyszengrad Der Afghane Zabiullah hat einen Ausbildung­splatz zum Einzelhand­elskaufman­n erhalten. Heilpädago­ge Roi Kfir (links) kümmert sich um den jungen Mann, der in einer Wohn gruppe für unbegleite­te Flüchtling­e lebt.

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