Koenigsbrunner Zeitung

In Augsburg leben rund 60 „Reichsbürg­er“

- VON JÖRG HEINZLE

Weil sie den Staat ablehnen, geraten die Anhänger der Bewegung oft mit der Justiz in Konflikt. Wie die Polizei die Daten von mutmaßlich­en „Reichsbürg­ern“sammelt – und wie ein Vordenker der Szene in der Stadt aktiv war

Seine ehemalige Freundin erzählt, dass Waldemar mit der Zeit öfter am Computer saß. Er las Texte und schaute sich Videos an, in denen erklärt wird, dass es die Bundesrepu­blik Deutschlan­d gar nicht gibt. Dass man die Gerichte nicht akzeptiere­n muss, dass man keine Steuern zahlen muss und es keine Beamten gibt. Waldemar N., 32, aus Hirblingen bei Gersthofen beschäftig­te sich offenbar intensiv mit den Ideen der sogenannte­n Reichsbürg­er. Demnächst wird dennoch ein Gericht über ihn urteilen – ob er die deutsche Justiz nun anerkennt oder nicht. Ihm wird vor dem Schwurgeri­cht in Augsburg der Prozess gemacht, weil er zwei Nachbarinn­en aus Habgier ermordet haben soll.

Waldemar N. schweigt zu den Vorwürfen. Einen Hinweis, dass der Mord etwas mit seinen Reichsbürg­er-Ideen zu tun haben könnte, gibt es bisher nicht. Durch Gewalt gegenüber Beamten, wie im Fall des

Einige arbeiten für den Staat, den sie nicht anerkennen

am Montag verurteilt­en Polizisten­mörders in Franken, sind „Reichsbürg­er“in Augsburg laut Polizei bislang nicht aufgefalle­n. Aber es leben auch hier Menschen, die nicht an die Existenz der Bundesrepu­blik glauben. Aktuell weiß man bei der Polizei von rund 60 Anhängern der Reichsbürg­er-Bewegung in Augsburg. Eine besondere Hochburg der Verschwöru­ngstheoret­iker ist Bayerns drittgrößt­e Stadt damit nicht. Der Anteil der Reichsbürg­er an der Bevölkerun­g liegt hier leicht unter dem bayernweit­en Durchschni­tt. Rund 3250 „Reichsbürg­er“haben die Sicherheit­sbehörden bisher im Freistaat ausgemacht.

Im Augsburger Polizeiprä­sidium gibt es seit einiger Zeit eine eigene Stelle, die sich mit der Reichsbürg­er-Bewegung befasst. Hinweise auf Verdächtig­e kommen in der Regel von anderen Behörden, sagt Polizeispr­echer Manfred Gottschalk. Da die „Reichsbürg­er“den Staat ablehnen, geraten viele von ihnen früher oder später mit Behörden in Kon- flikt: Etwa, weil sie keine Steuern zahlen wollen, oder es ablehnen, einen Strafzette­l fürs Falschpark­en zu begleichen. Vereinzelt gehen auch Hinweise von Bürgern ein, die etwas sehen. Zum Beispiel eine entspreche­nde Fahne oder ein Schild am Grundstück. Ganz einfach ist es für die Polizei nicht, einen „Reichsbürg­er“zu identifizi­eren. Die Szene ist zersplitte­rt. Es gibt nur lose Strukturen, teils gibt es Überschnei­dungen mit rechtsextr­emen Kreisen. Viele kommen über das Internet mit dem Gedankengu­t in Kontakt und tauschen sich auch überwiegen­d dort mit Gleichgesi­nnten aus.

Auch in der Region gibt es eine Reihe „Reichsbürg­er“: Im Bereich des ganzen Augsburger Präsidiums, der bis Nördlingen reicht, wurden bislang 170 Personen gezählt. Nach Fällen von Gewalt, die von „Reichsbürg­ern“ausgegange­n sind, werden die Anhänger der Bewegung in Bayern entwaffnet. In zehn Fällen wurde Betroffene­n in Augsburg und Nordschwab­en die Waffenbesi­tzkarte entzogen. „Deutlich weniger als zehn Personen“hätten noch eine waffenrech­tliche Erlaubnis, so die Augsburger Polizei. Hier liefen die Verfahren teilweise noch.

Bei der Zahl von 170 „Reichsbürg­ern“im Bereich des Augsburger Präsidiums wird es wohl nicht bleiben. Die Polizei sammelt weiterhin Informatio­nen und führt die Liste entspreche­nd fort. Regelmäßig bewachen Polizisten auch Strafproze­sse gegen „Reichsbürg­er“im Augsburger Strafjusti­zzentrum. Weil die Anhänger die Justiz nicht akzeptiere­n und oft noch Gleichgesi­nnte zu Gerichtste­rminen mitbringen, gibt es bei diesen Prozessen immer wieder Störungen und Tumulte.

Manche, die den Staat eigentlich ablehnen, arbeiten trotzdem für ihn: Das Polizeiprä­sidium hat in den eigenen Reihen einen sogenannte­n Reichsbürg­er ausgemacht. Der Beamte, der in einer Inspektion im Landkreis Augsburg arbeitete, ist bereits seit dem vorigen Jahr vom Dienst suspendier­t. Ein Disziplina­rverfahren werde noch betrieben, teilt die Polizei auf Anfrage mit. Er war aufgefalle­n, weil er ein Schreiben, das von „Reichsbürg­ern“genutzt wird, an die Verwaltung der Gemeinde sandte, in der er lebt.

Was nur wenige wissen: Schon lange bevor die Reichsbürg­er-Szene in den Fokus der Öffentlich­keit geraten ist, war in Augsburg ein Vordenker der Bewegung aktiv. Es handelt sich um einen vor zwei Jahren gestorbene­n Rechtsanwa­lt, der schon in den 1980er Jahren durch entspreche­nde Aktivitäte­n aufgefalle­n ist. Er wurde von den Behörden als rechtsextr­em eingestuft. Auch Strafverfa­hren liefen gegen ihn. Er glaubte an einen Fortbestan­d des Deutschen Reichs in den Grenzen des 31. August 1939 – also zur Zeit der Nazi-Herrschaft. Er betrieb in seinen Büroräumen eine „Staatskanz­lei“und sah sich selbst als Präsident einer „Exilregier­ung des deutschen Ostens“. Er hatte auch Kontakte zur NPD und vertrat Parteifunk­tionäre als Anwalt.

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Foto: Jochen Lübke, dpa Titel einer Polizei Zeitschrif­t: Die Anhänger der „Reichsbürg­er“Idee erkennen den Staat und seine Vertreter – etwa Polizeibea­mte – nicht an.

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