Rechenspiele der Macht
Die Landtags-CSU schlägt vor, die Stimmen bei Kommunalwahlen nach einem anderen Verfahren auszuzählen. Auch auf die Zusammensetzung des Augsburger Stadtrats hätte das Auswirkungen
Der Vorstoß der Landtags-CSU sorgte im Frühjahr für gehöriges Grummeln: Die Christsozialen wollten eine Änderung des Verfahrens zur Sitzverteilung in den Stadt- und Gemeinderäten sowie den Kreistagen. Profiteure wären tendenziell die Parteien, die ohnehin schon viele Sitze haben (so wie die CSU), benachteiligt wären kleine Parteien und Wählergruppen. Nach Gegenwind von Landtags-Opposition, Experten und CSU-Parteichef Horst Seehofer liegen die Bemühungen vorerst auf Eis (wir berichteten).
Eine Änderung des Auszählungsverfahrens hätte wohl auch in Augsburg Auswirkungen. Beispiel: Wäre 2014 schon nach dem jetzt von der Landtags-CSU gewünschten Verfahren ausgezählt worden, hätten CSU und SPD im 60 Stimmen um- fassenden Stadtrat jeweils einen Sitz mehr (24 statt 23 bzw. 14 statt 13) gehabt. Man kann darüber spekulieren, ob es bei einer Fast-Zwei-Drittel-Mehrheit von 39 Stimmen (inklusive OB-Stimme) noch zum großen Regierungsbündnis mit den Grünen gekommen wäre. Jeweils einen Sitz eingebüßt hätten die CSM (zwei statt drei) und die AfD (drei statt vier). Beide Gruppen sind im Stadtrat in dieser Stärke inzwischen nicht mehr vertreten, weil es Übertritte zu CSU und Pro Augsburg bzw. Austritte gab.
Die Landtags-CSU weist darauf hin, dass sich mit der Rückkehr zum früheren Verfahren die Zersplitterung der Kommunalparlamente besser verhindern lasse. In der Tat ist die Zahl von elf Parteien und Gruppierungen, die 2014 in den Stadtrat einzogen, ein Rekordwert, was aber nicht am Sitzverteilungssystem, sondern an der Zahl der Bewerber lag. Fünf Gruppierungen zogen mit weniger als jeweils drei Stadträten in den Stadtrat ein.
Nur gut 800 Wähler waren in Augsburg bei 196 000 Wahlberechtigten und etwa 50 Prozent Wahlbeteiligung nötig, um einen Sitz im Stadtrat zu bekommen. Eine wirklich effektive Oppositionsarbeit ist angesichts der Übermacht des Regierungsbündnisses und der Kleinteiligkeit der Nicht-Regierungsparteien kaum möglich.
Grundsätzlich sind Sitzverteilungsverfahren bei allen Wahlen nötig, weil sich Stimmanteile nie exakt in Mandate umrechnen lassen. Also muss ein Weg gefunden werden, wie man damit umgeht, wenn eine Partei rechnerisch beispielsweise 5,4 Mandate bekommen würde. Einfaches Auf- und Abrunden sorgt für zu starke Verzerrungen. Mit mathematischen Verfahren wird darum versucht, den Wählerwillen bei der Zuteilung der Mandate möglichst genau abzubilden. Seit 2013 wird in Bayern nach dem sogenannten Ha- re-Niemeyer-Verfahren gerechnet. Zuvor war es das d’Hondt-Verfahren, zu dem die CSU jetzt wieder zurückkehren möchte.
Der Jurist Ferdinand Wollenschläger (Uni Augsburg) beriet den Landtag als Mitglied einer von den Grünen angeregten Expertenkommission. Eine Notwendigkeit zu einer Änderung des Kommunalwahlrechts sieht er nicht. Alle Verfahren seien verfassungsrechtlich bestätigt. Das Gutachten besagt auch, dass das von der CSU gewünschte d’HondtVerfahren am ungenauesten ist.
Zur Debatte steht nun, das beim Bundestag gebräuchliche Verfahren nach Sainte-Languë/Schepers in Bayern einzuführen. Wäre es 2014 schon angewendet worden, so eine Berechnung, die das städtische Wahlamt auf Anfrage unserer Zeitung anstellte, wäre der Augsburger Stadtrat identisch besetzt gewesen.
800 Wählerstimmen für einen Sitz im Stadtrat