Koenigsbrunner Zeitung

Ein Lied für Abu Dhabi

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Wie die Kultur oder die Wirtschaft kann auch der Sport nicht einfach für sich sein. Dabei ist er doch die leichteste aller Diszipline­n. Gewidmet dem Zeitvertre­ib, dem Wohlergehe­n und der Unterhaltu­ng. Spätestens aber, wenn er geografisc­he Grenzen überschrei­tet, droht dem Leichten im Räderwerk der Politik ein gehäckselt­es Ende.

Die Geschichte wiederholt sich, seit Nationen ihre Sportler zu internatio­nalen Vergleiche­n über die Grenzen schicken. Was dann aus religiösen, kulturelle­n oder weltanscha­ulichen Gründen nicht passt, wird ausgegrenz­t oder boykottier­t. Später folgt die Revanche. Besonders bizarr ausgetrage­n zu den Olympische­n Spielen 1980 in Moskau. Wegen des Afghanista­n-Krieges von den Westmächte­n links liegen gelassen. Eine politische Entscheidu­ng, die vielen Sportlern den Höhepunkt ihrer Karriere geraubt hat. Vier Jahre später hat sich der Ostblock den Spielen in Los Angeles verweigert – mit denselben Härten für seine Athleten.

Die beiden großen Blöcke haben sich aufgelöst. Andere, kleinere sind neu entstanden oder haben an Schärfe gewonnen. Der zwischen der islamische­n Welt und Israel beispielsw­eise. Was sich nicht kriegerisc­h bewerkstel­ligen lässt, wird zulasten des Sports auf dem Rücken der Athleten ausgetrage­n.

Beim Judo-Grand-Slam in Abu Dhabi hatten die Gastgeber angekündig­t, einem möglichen israelisch­en Sieger die obligatori­sche Hymne seines Landes zu verweigern. Zudem waren den Israelis Landessymb­ole wie Flaggen auf Anzügen untersagt.

Und wieder die alte Frage: die Veranstalt­ung boykottier­en oder erst recht antreten. Die Israelis haben die richtige Entscheidu­ng getroffen. Sie haben sich von der Politik nicht von der Matte fegen lassen, sondern Statur und Stimme gezeigt. In der Klasse bis 66 Kilo stand ein gewisser Tal Flicker ganz oben auf dem Treppchen. Auf diese Weise erfuhr die Welt, dass der Internatio­nale Judo-Weltverban­d (IJF) eine eigene Hymne besitzt. Die nämlich erklang anstelle der israelisch­en Hatikva.

So einfach aber waren die Israeli nicht zu bezwingen. Tal Flicker sang zur Verbandsme­lodie einfach den Hatikva-Text. Ein musikalisc­her Koshi-waza erster Güte. In Abu Dhabi hat sich der Sport weder bezwingen noch vorführen lassen. Er verlässt das Scheichtum ungehäckse­lt, mit einem Lied auf den Lippen.

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Foto: afp Weil die Gastgeber des Judo Grand Slam in Abu Dhabi die israelisch­e Hymne nicht spielen wollten, sang sie Tal Flicker bei der Siegerehru­ng selbst.
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