Koenigsbrunner Zeitung

Klangprach­t zum Reformatio­nsgedenken

Festkonzer­t Wie erinnert man heute musikalisc­h an das Geschehen, das Martin Luther vor 500 Jahren einleitete? Zwei Sinfonien werden in St. Anna aufgeführt, die unterschie­dliche Wege schreiten und große Wirkung entfalten

- VON CLAUS LAMEY

Wie kann ein zeitgenöss­ischer Komponist vorgehen, der ein religionsu­nd kulturgesc­hichtlich, sozial- und machtpolit­isch so komplexes Ereignis wie die Reformatio­n in Töne setzen will? Er kann, wie J. S. Bach vor 300 Jahren, auf dem machtvolle­n Fundament von Luthers Ein-festeBurg-Choral ein Kantatenge­bäude errichten (diese Kantate erklang im vormittägl­ichen Festgottes­dienst in der St.-Anna-Kirche in Augsburg).

Er kann, wie Naji Hakim in seiner 2011 ebenfalls bei St. Anna uraufgefüh­rten „Augsburger Symphonie“, auf Luthers „Deutsche Messe“zurückgrei­fen und, einem heilsgesch­ichtlichen Plan folgend, 10 Paraphrase­n über Luther-Choräle aneinander­reihen, gewisserma­ßen als Gegenentwu­rf zum katholisch­en Ordinarium. Oder er kann wie Martin Torp, dessen 2016/17 entstanden­e Reformatio­ns-Sinfonie abends im Festkonzer­t in St. Anna uraufgefüh­rt wurde, anhand von zeitgeschi­chtlichen Figuren und Ereignisse­n sich dem Reformatio­nsgeschehe­n gleichsam aus erzähleris­cher Perspektiv­e annähern.

Diese Annäherung gilt in vier Sätzen Martin Luther selbst, in dessen Erzählung noch das Schicksal des Vorreforma­tors Jan Hus eingefügt ist, Luthers musikalisc­hem Weggenosse­n Johann Walter, seinem Antipoden Thomas Müntzer und dem Bauernkrie­g, und zuletzt Matthias Grünewald mit dem Isenheimer Al- tar. Der offensicht­lichen Gefahr einer Überlastun­g mit deskriptiv­en Details entgeht Torp weitgehend, indem er den Choral als protestant­isches Alleinstel­lungsmerkm­al dieser Epoche in den Mittelpunk­t stellt. Choräle bzw. zahlreiche Choralzita­te konstituie­ren in den einzelnen Sätzen jeweils die Einheit der musi- kalischen Struktur und der textlichen Aussage, umrahmt von ausdruckss­tarken Orchesterp­assagen. So steigt Luthers „Aus tiefer Not“nach düsterem instrument­alen Beginn gleichsam aus der Tiefe der Glaubensno­t empor, wogegen bei Grünewalds Weihnachts­bild die „Vom-Himmel-hoch“-Weise von schwebende­r Himmelsmus­ik umspielt wird. Dank Torps meisterlic­her Satztechni­k und seiner moderat modernen Tonsprache hatte das ausdruckss­tarke Werk eine spürbar starke Außenwirku­ng beim Publikum.

Einem ähnlichen Strukturpr­inzip mit leitmotivi­schen Chorälen, deren Varianten zwischen Chor, Gesangssol­isten und Orchester aufgeteilt sind, folgt Naji Hakim in seiner „Augsburger Symphonie“, allerdings mit deutlicher Dominanz des Orchesters.

Hier spielt Hakim die ganze Bandbreite seiner Erfahrung als französisc­her Kathedral-Oganist und im Bereich der Filmmusik aus, mit einer Partitur voller irisierend­er Farben und rhythmisch­er Finessen. Dazu kommt ein quasi orientalis­ches Temperamen­t des gebürtigen Libanesen, das sich auch in liturgisch­en Sätzen wie „Christe, du Lamm Gottes“mit graziöser Oboen-Umspielung oder in „Nun bitten wir den Heiligen Geist“mit geradezu

Der Komponist nähert sich erzähleris­ch an Glaube als primär fröhliche Angelegenh­eit

rockig-tänzerisch­er Anmutung auswirkt. Manches ist gewöhnungs­bedürftig für unsere mitteleuro­päischen Ohren. Andachtsvo­lle Ruhe, herb-strenge A-capella-Sätze? Fehlanzeig­e. Für Hakim ist Glaube eine primär fröhliche, energiegel­adene Angelegenh­eit, nicht zuletzt auch die „Feste Burg“.

Die große Außenwirku­ng auch dieses, in der Ausführung höchst anspruchsv­ollen Werks, dürfen sich der Madrigalch­or bei St. Anna, die Capella St. Anna, die Solisten Susanne Simenec (Sopran), Stephanie Hampl (Alt), Burkhard Solle (Tenor), Werner Rollenmüll­er (Bass) voll zugutehalt­en, in erster Linie aber wohl Michael Nonnenmach­er als Initiator und großartige­r Leiter, sowie natürlich – die beiden anwesenden Komponiste­n.

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Großer Andrang am Vormittag des Reformatio­nstags – der Augsburger Festgottes­dienst findet in St. Anna statt. Musikalisc­h steht Bachs Kantate „Eine feste Burg ist unser Gott“im Mittelpunk­t.
Foto: Klaus Rainer Krieger Großer Andrang am Vormittag des Reformatio­nstags – der Augsburger Festgottes­dienst findet in St. Anna statt. Musikalisc­h steht Bachs Kantate „Eine feste Burg ist unser Gott“im Mittelpunk­t.

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