Koenigsbrunner Zeitung

Augsburgs Platz auf der Landkarte des Protestant­ismus

- VON HANSKARL VON NEUBECK

In der Wittenberg­er Schlosskir­che ist die Zirbelnuss an prominente­r Stelle zu sehen

Die Augsburger Zirbelnuss hat einen weithin sichtbaren Platz auf der „Landkarte des Protestant­ismus“. Vielleicht hat der eine oder andere Augsburgs Stadtwappe­n bei den Kameraschw­enks der Live-Übertragun­g des Jubiläumsg­ottesdiens­tes aus Wittenberg gesehen. Am Reformatio­nstag 2017 stand die Schlosskir­che Wittenberg mit der Thesentür noch stärker im Blickpunkt als sonst schon. Denn am Dienstag vor genau 500 Jahren veröffentl­ichte Martin Luther dort seine 95 Thesen.

Als die Hohenzolle­rn, also das deutsche Kaiserhaus, die Schlosskir­che Ende des 19. Jahrhunder­ts umgestalte­n ließen, wurde alles entfaltet, was an gründerzei­tlicher Pracht möglich war. Eine Kommission legte in akribische­r Arbeit fest, welche „Glaubens- und Geisteshel­den“der Reformatio­nsgeschich­te mit Stand- bildern oder Adelswappe­n geehrt werden sollen.

Aber auch die wichtige Rolle des Bürgertums sollte ins Licht gerückt werden, was dadurch geschah, dass man fast 200 Städten, darunter an vorderster Stelle Augsburg, Wappenfens­ter widmete, die auf beiden Seiten des Kirchensch­iffs eingesetzt wurden. Der Wittenberg­er Theologe Friedrich Schorlemme­r bezeichnet­e die Fensterfol­ge als eine Landkarte des Protestant­ismus. Sie reicht über die Grenzen des heutigen Deutschlan­d weit hinaus, Danzig beispielsw­eise ist mit einem Wappenfens­ter vertreten. Zum 500. Jahrestag des Thesenansc­hlags wurde diese „Landkarte“mit großem Aufwand in Ordnung gebracht.

Die Augsburger Zirbelnuss bekam 1892 verdienter­maßen einen Spitzenpla­tz auf der Südseite, zwischen den Wappen von Nürnberg und Speyer. Um deutlich zu ma- chen, welch immense Bedeutung Augsburg für den Erfolg der Reformatio­n hatte, genügen zwei Jahreszahl­en: 1518 stand Luther in Augsburg dem Kardinal Cajetan gegenüber, und 1530 wurde Karl V. hier die Confessio Augustana überreicht.

Was nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Fenstern der Schlosskir­che Wittenberg geschah, ist umstritten. Die Darstellun­g, die DDR habe die Wappen von westdeutsc­hen Städten gezielt in die Tonne geklopft, dürfte eine Mär sein. Fakt ist: Zu DDRZeiten verschwand­en 70 Wappen, vermutlich weil sie beschädigt waren. Diese Scheiben wurden durch einfaches Fenstergla­s ersetzt.

Fortan fiel das Tageslicht ungedämpft ins Kirchensch­iff. Es überstrahl­te, wenn die Sonne schien, Luthers Grab, was ein erwünschte­r Nebeneffek­t gewesen sein könnte: So genau, meinten die DDR-Oberen lange Jahre, brauche man Luthers Grab nicht zu sehen. Wichtig war eines: Die restlichen Scheiben von 1892 wurden neu gemischt und verquer platziert (Leipzig direkt neben Danzig), um die Erinnerung an Deutschlan­ds alte Provinzen und Regionen auszulösch­en.

Jetzt ist die Landkarte des Protestant­ismus wieder weitgehend komplett, was nicht zuletzt dem Glasatelie­r Schneemelc­her in Quedlinbur­g zu verdanken ist. Das hat in den 1960er Jahren, als viele Scheiben ausgebaut wurden, das historisch­e Material nicht entsorgt, sondern ins Depot gelegt – in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Deswegen war es möglich, zum diesjährig­en Reformatio­nsjubiläum auch die dekorative­n Scheiben im Umfeld der Stadtwappe­n zu rekonstrui­eren. Und ganz oben erstrahlt Augsburg. Einen Artikel über die Reformatio­nsfeier in Wittenberg lesen Sie auf der Seite Feuilleton.

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Foto: Hanskarl von Neubeck Die große Bedeutung, die Augsburg für den Erfolg der Reformatio­n hatte, wurde 1892 in der Schlosskir­che Wittenberg mit einem Wappenfens­ter gewürdigt.

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