Koenigsbrunner Zeitung

Wo fängt Mobbing an?

Nicht nur seit dem Kinostart von „Fack Ju Göthe 3“ist Mobbing wieder ein Thema. Diplom-Sozialpäda­goge Andreas Knapp von der Fachstelle Jugendsozi­alarbeit im Landratsam­t Augsburg kennt Gründe und nennt Lösungen

- VON SVEN KOUKAL

Lösbarer Konflikt oder schon Mobbing? Das ist nicht leicht zu beantworte­n. Dabei gebe es klare Anzeichen, erklärt Sozialpäda­goge Andreas Knapp.

Landkreis Die Schulkomöd­ie „Fack Ju Göhte 3“begeistert derzeit viele Kinogänger. Obwohl der Film vor allem unterhalte­n soll, beschäftig­t er sich über weite Stücke mit einem ernsten Thema: Mobbing an Schulen. Andreas Knapp ist als DiplomSozi­alpädagoge Experte auf diesem Gebiet und kommt mit dem Thema täglich in Kontakt. In der Fachstelle Jugendsozi­alarbeit des Landratsam­ts Augsburg berät der 40-Jährige Betroffene und weiß, wann überhaupt von Mobbing gesprochen wird und welche Ursachen und Lösungsans­ätze es gibt.

Wo fängt Mobbing an?

Wenn Schüler durch einen oder mehrere Mitschüler über einen längeren Zeitraum negativen Handlungen ausgesetzt sind, dann werde von Mobbing gesprochen, erklärt Andreas Knapp. Zwischen den Personen gibt es immer ein Macht- gefälle, und dieses Ungleichge­wicht der Kräfte kann sich auf körperlich­e oder psychische Stärke beziehen.

Welche Formen von Mobbing gibt es?

Mobbing kann direkt stattfinde­n: hänseln, beschimpfe­n, lächerlich machen, Geld oder Eigentum wegnehmen, bedrohen oder schlagen. Die Liste lässt sich weiterführ­en. Wenn sich das Ganze im Internet abspielt, nennt man es Cybermobbi­ng.

Wie wirkt sich die Schikane auf die betroffene­n Schüler aus?

Bei jedem anders und generell sehr vielfältig, erklärt der Sozialpäda­goge. Seien es Schlafstör­ungen, Albträume, Panikanfäl­le, Depression­en, Kopf- oder Bauchschme­rzen, Appetitlos­igkeit, Essstörung­en oder Aggressivi­tät gegen sich selbst und andere. Auch wenn die schulische Leistung plötzlich oder allmählich nachlässt, kann das ein Anzeichen sein. Die Opfer scheinen oft hilflos, niedergesc­hlagen und den Tränen nahe. Sie suchen in den Pausen gerne die Nähe zu Erwachsene­n. Es kann sogar so weit führen, dass die Betroffene­n mit Suizidgeda­nken zu kämpfen haben.

Wie häufig ist das Phänomen in Schulen anzutreffe­n?

Das Kultusmini­sterium spricht davon, dass etwa 15 Prozent der Schüler an weiterführ­enden Schulen als Mobbing-Opfer bezeichnet werden können. Im Grundschul­bereich liegt diese Zahl niedriger. Dem Jugendamt sind aus dem Jahr 2016 insgesamt 16 Fälle offiziell bekannt geworden. Bei schätzungs­weise 24 000 Schülern liegt die offizielle Zahl erheblich unterhalb des Durchschni­ttes. „Aber jeder einzelne Fall ist einer zu viel“, sagt Andreas Knapp deutlich. Man müsse bedenken: Es gibt Fälle, in denen sich das Opfer noch keine Unterstütz­ung geholt hat.

Welche Ursachen gibt es?

Die Ursachen sind vielschich­tig. Macht ist ein wichtiger Faktor: Als Mobber erlebt man ein Gefühl der Stärke und es kann Spaß machen, in der dominanten Position zu sein. Zum anderen kann es ein Ventil sein, angestaute Aggression­en auszuleben. Von den Opfern ist meist keine Gegenwehr zu erwarten und sie erscheinen aus Sicht des Mobbers als eine geeignete Zielscheib­e. Fehlende Kommunikat­ion ist häufig ein Auslöser. Es kommt immer wieder vor, dass ehemals Gemobbte auch Täter werden, da sie selber nicht mehr in diese Situation kommen wollen.

Was können Schüler, Lehrer und Eltern dagegen unternehme­n?

Im Landkreis Augsburg gibt es flächendec­kend an allen Grund-, Mittelund Realschule­n Mitarbeite­r der Jugendhilf­e. Die Gymnasien können sich Unterstütz­ung über das Amt für Jugend und Familie im Landkreis Augsburg holen. Jugendsozi­alarbeiter sind bei Schülern, Eltern und Lehrern bekannt. Sie stellen sich den Eltern in der Regel bei den ersten Elternaben­den vor. Sie setzen möglichst früh an, um als Vertrauens­person wahrgenomm­en zu werden. Alle haben ein eigenes Büro, der als geschützte­r Raum für die Schüler dient. Sie stehen unter Schweigepf­licht und gehen sorgsam mit den Informatio­nen um. „Sie sprechen alle weiteren Schritte mit dem Betroffene­n ab“, so Knapp. Die Mobbing-Opfer sollen eine Selbstwirk­samkeit erleben. Falls Eltern einen Verdacht haben, können sie sich an die Jugendsozi­alarbeiter vor Ort wenden. Sie erhalten zudem zusammen mit den Kindern Beratung in den elf Familienbü­ros im Landkreis. Zudem gibt es noch die Erziehungs­beratungss­tellen und auch die Mitarbeite­r vom Amt für Jugend und Familie beraten gerne.

Was machen Schulen dagegen?

In den Schulen gibt es diverse Projekte gegen Mobbing. Zum Beispiel „f.i.t.“(Fair im Tun) in den fünften Klassen an den Realschule­n. Ziel ist guter Zusammenha­lt in den Klassen. An einigen Grundschul­en wird schon sehr früh die „Giraffensp­rache“, also gewaltfrei­e Kommunikat­ion, eingeführt. Auch die Demokratie­erziehung ist wichtig. An immer mehr Schulen wird daher der Klassenrat eingeführt. Die Schüler lernen soziale und demokratis­che Kompetenze­n. Ein erfolgreic­hes Projekt, welches an den meisten Schulen umgesetzt werden kann, ist der „No Blame Approach“: eine lösungsori­entierte Vorgehensw­eise, bei der auf Schuldzuwe­isungen und Strafen verzichtet wird.

Wie sieht das Angebot außerhalb der Schule aus?

Die Kinder und Jugendlich­en können schnell und unkomplizi­ert an 16 Standorten im Landkreis Hilfe erhalten. Dort gibt es die offene Jugendarbe­it sowie Jugendzent­ren. Fünf Streetwork­er sind im Landkreis für Jugendlich­e wichtige Ansprechpa­rtner.

Andreas Knapp hält fest: „Wichtig ist, dass in jedem Fall Grenzen gesetzt werden, Mobbing nicht akzeptiert wird und die Opfer wissen, dass sie nicht alleine sind und sie Unterstütz­ung bekommen.“

»Kommentar

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Der Stinkefing­er im Chat gehört noch zu den harmlosere­n Botschafte­n. Oft werden Mobbing Opfer so traktiert, dass sogar Suizidgeda­nken aufkommen.
Fotos: Marcus Merk Der Stinkefing­er im Chat gehört noch zu den harmlosere­n Botschafte­n. Oft werden Mobbing Opfer so traktiert, dass sogar Suizidgeda­nken aufkommen.
 ??  ?? Andreas Knapp
Andreas Knapp

Newspapers in German

Newspapers from Germany