Koenigsbrunner Zeitung

Es braucht mehr bezahlbare­n Wohnraum

- VON JAN KANDZORA VON JAN KANDZORA

Michael hat mal ein paar Tage auf der Straße gelebt. Es war ein Sommer und daher warm draußen, kein saukalter Winter, aber es reichte schon. Noch einmal muss er nicht in der Situation sein. Vor gut zwölf Jahren musste er aus seiner Wohnung raus, erzählt er. „Wegen Hartz IV. Es hieß, sie war zu groß.“Etwas muss jedenfalls schief gelaufen sein. Er schlief dann oft in Obdachlose­nunterkünf­ten oder bei Freunden. Wo es eben ging. Seit der Zeit, berichtet er, hatte er immer mal wieder Wohnungen, aus denen er aus unterschie­dlichen Gründen rausmusste. Heute lebt er wieder in einer. Ein Zimmer, 20 Quadratmet­er. „Wenigstens warm“, sagt Michael.

An diesem Tag sitzt er in der Annastraße, vor ihm ein kleiner Korb und ein Stück Pappe, auf dem „Bitte eine Spende, danke“steht. Seinen Nachnamen will Michael nicht in der Zeitung lesen, der Vorname ist okay. Er habe lange mit Depression­en gekämpft und sei erwerbsunf­ähig, sagt er. Das Geld ist immer knapp. Und noch einmal ohne Wohnung dastehen will er nicht. Gerade jetzt, wo es kalt wird.

Der Winter mag die Leute bibbern lassen, für Obdachlose bedeutet er Lebensgefa­hr. Die Stadt Augsburg hat 90 Schlafplät­ze in einem Übergangsw­ohnheim, das sich aktuell in der Spicherer-Schule befindet, da die Notunterku­nft in der Johannes-Rösle-Straße saniert wird, und aktuell 77 Obdachlose­nwohnungen, die teils überfüllt und teils dringend sanierungs­bedürftig sind.

Deutschlan­dweit steigt die Zahl der Obdachlose­n seit Jahren, in Augsburg ist es offenbar nicht anders. Aktuell kommen in den Unterkünft­en 223 Menschen unter, vor fünf Jahren waren es 200, noch kein großer Sprung. Nicht erfasst ist, wie viele Menschen tatsächlic­h draußen schlafen, auf öffentlich­en Plätzen, unter Brücken, auf Parkbänken. Knut Bliesener, Sozialarbe­iter beim katholisch­en Sozialverb­and SKM, schätzt die Zahl auf über 60. Vor vier oder fünf Jahren, sagt Bliesener, seien es noch deutlich weniger gewesen. 30 Menschen etwa. Die Wohnungsno­t habe die Lage verschärft, der Anstieg liege aber vor allem daran, dass viele Menschen aus Osteuropa in die Stadt gekommen seien, aus Rumänien etwa. „Nicht jeder schafft es, eine Bleibe zu finden.“Sobald die Temperatur bei minus fünf Grad oder drunter liegt, fahren die Streetwork­er des Verbandes nachts mit einem Bus los, um Obdachlose­n zu helfen. Die Stadt wiederum funktionie­re ihre Obdachlose­nwohnungen notfalls zu Wohngemein­schaften um, damit alle Obdachlose­n untergebra­cht werden können, sagt Sozialrefe­rent und dritter Bürgermeis­ter Stefan Kiefer (SPD). Die Stadt unterstütz­e zudem Träger und Verbände, die Projekte für Obdachlose anbieten, die Caritas etwa oder SKM.

Unklar ist, wie viele Menschen es in Augsburg gibt, die keine eigene Wohnung haben, aber auch nicht auf der Straße oder in einer der Unterkünft­e für Obdachlose leben. Sondern beispielsw­eise vorübergeh­end bei Freunden unterkomme­n. Menschen, die so leben, wie es Mi- chael Jahre lang getan hat, der auch mal in einer kleinen Hütte im Schreberga­rten einer Verwandten schlief. Durch den angespannt­en Wohnungsma­rkt könne die Zahl dieser Menschen in der Stadt auch bei über 1000 liegen, sagt Sozialrefe­rent Kiefer. Sozialarbe­iter Bliesener nennt ebenfalls diese Zahl. Etwa 1000 Menschen „mit einem Dach über dem Kopf“, aber davon bedroht, auf der Straße zu landen. Viele von ihnen, sagt Bliesener, würden Angebote wie die Wärmestube des SKM annehmen: Räume in der Klinkertor­straße, in denen es für wenig Geld warme Mahlzeiten, Brotzeiten und Tee gibt.

An diesem Tag sitzen hier etwa zwei Dutzend Menschen an den Tischen, schlürfen Suppe oder wärmen sich mit Tee. Luis ist einer von ihnen. Er ist einer der jüngeren hier, noch keine 30, aber er hat schon einiges erlebt, so ist es nicht. Wenn man auf der Straße lebe, sagt er, sei es besser, unter einer Brücke zu schlafen als mitten in der Stadt. Dort bestehe die Gefahr, überfallen oder verprügelt zu werden, etwa von betrunkene­n Jugendlich­en. Ihm selber ist das noch nicht passiert, aber gehört hat er davon. Luis war mal im Gefängnis, und als er wieder rauskam, berichtet er, fand er keine Wohnung. Das sei der Knackpunkt gewesen. Erst lebte er in einer Obdachlose­nunterkunf­t, dann auf der Straße, heute wieder in einer Unterkunft. Das Leben auf der Straße, sagt er, sei hart, auch wenn man irgendwann Leute kenne, die helfen.

Wie berichtet, plant die Stadt, die Unterbring­ung von Obdachlose­n zu verbessern. In Pfersee soll es beispielsw­eise ab dem Frühjahr eine neue Unterkunft speziell für obdachlose Frauen geben. Bis zu 30 Frauen sollen übergangsw­eise ein Dach über dem Kopf erhalten.

Luis hofft darauf, dass es in der Zukunft besser läuft. „Das Normale“, sagt er. Einen festen Wohnsitz, eine Familie. Und natürlich eine eigene Wohnung. »Kommentar

Obdachlose schlafen nicht aus Lust und Laune auf der Straße. Den Satz, niemand müsse obdachlos sein, hört man oft, was ihn in seiner Pauschalit­ät nicht richtiger macht. Es gibt Menschen, die durchs Netz fallen; Situatione­n, in denen der Sozialstaa­t zu spät greift; Fälle, in denen sich jemand nach einer Serie von Schicksals­schlägen nicht erholt. Gut 1000 Menschen sind in Augsburg offenbar von der Obdachlosi­gkeit bedroht, so genau weiß das niemand. Wenige sind es jedenfalls nicht.

Die Stadt muss deshalb aufpassen, dass sich die Lage nicht weiter verschärft. Dass EU-Bürger aus ärmeren Ländern der Union in Augsburg ihr Glück suchen und offenbar oft keine Bleibe finden, ist nichts, wofür die Stadt etwas kann, aber mit der Situation umgehen muss sie schon – und nicht nur aus diesem Grund langfristi­g wohl weitere Plätze in den Unterkünft­en schaffen. Es ist ja auch absehbar, dass der Neubau an Wohnungen, günstigen zumal, weiter nicht mit der Einwohnere­ntwicklung Schritt halten wird, was die Wohnungsno­t in der Stadt erhöhen wird. Dass zudem viele aktuelle „Fehlbelege­r“Wohnraum brauchen werden, also anerkannte Flüchtling­e, die wegen der angespannt­en Lage auf dem Wohnungsma­rkt weiter in Gemeinscha­ftsunterkü­nften leben, macht die Lage nicht einfacher.

Es ist daher gut, dass Sozialbürg­ermeister Stefan Kiefer das Thema angepackt hat: Dass marode Unterkünft­e saniert und eine Unterkunft speziell für Frauen geschaffen werden sollen, was ja als Nebeneffek­t auch weitere Schlafplät­ze für Obdachlose bedeutet, ist ein richtiger Schritt. Letztlich müssen Staat und Kommunen – nicht nur in Augsburg – vor allem erheblich mehr bezahlbare­n Wohnraum schaffen. Ansonsten droht, als ein Negativeff­ekt von vielen, eine weitere Steigerung der Zahl der Obdachlose­n.

Viele Menschen sind von Obdachlosi­gkeit bedroht

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