Koenigsbrunner Zeitung

Was ein Jamaikaner über „Jamaika“denkt

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Andwele Braun ist erst seit vier Jahren in Augsburg. Warum der 20-Jährige seine Heimat verließ und unbedingt in die Fuggerstad­t wollte und was er zu den gescheiter­ten Sondierung­sgespräche­n in Berlin sagt

Andwele Braun, Sie sind vor 20 Jahren in Jamaika geboren. Finden Sie es schade, dass die Jamaika-Koalition nun doch nicht zustande kommt? Braun: Ich hätte es mir gewünscht. Mit vier Parteien in einer Regierung hätte es mehr unterschie­dliche Perspektiv­en gegeben.

Was geht Ihnen bei den Schlagzeil­en um Jamaika durch den Kopf? Braun: Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht, wenn ich in den Medien das Wort Jamaika höre oder lese. Sonst bekommt man Jamaika nur in Verbindung mit der Dominanz von Sprinter Usain Bolt in der Leichtathl­etik mit oder wenn es um die Cannabis-Kultur geht.

Was bedeutet denn das Gelb in der jamaikanis­chen Flagge? Braun: Das steht für den vielen Sonnensche­in in unserem Land. Die Farbe Schwarz steht für die Menschen, Grün für die Natur.

Mussten Sie bezüglich der JamaikaKoa­lition Witze ertragen? Braun: Im Freundeskr­eis fielen da keine Sprüche. Das mag daran liegen, dass unsere Gespräche nicht sehr politisch sind.

Wie wichtig war für Sie Politik in Jamaika? Braun: Viele Menschen dort gehen nicht zu den Wahlen. Als Kind und dann als Jugendlich­er war mir die Wichtigkei­t des Wählens deshalb gar nicht bewusst. Erst seitdem ich in Augsburg bin, weiß ich, wie wichtig Wahlen für die Demokratie sind und dass es zu den Pflichten eines Bürgers gehört, sich zu informiere­n.

Seit wann leben Sie in Deutschlan­d? Braun: Seit vier Jahren. Mein Vater ist ein Augsburger und im Spickel groß geworden. Er ist ein Mensch, der sich für die Welt interessie­rt und schon immer gerne reiste. In Jamaika lernte er dann meine Mutter kennen und blieb. Dort bin ich geboren. Ich machte die Highschool. Als es um meine weitere Bildung ging, war klar, dass ich in Augsburg bessere Möglichkei­ten habe. Mein Vater und ich kamen also nach Augsburg. Meine Eltern waren inzwischen auch schon getrennt.

Machen Sie derzeit eine Ausbildung? Braun: Ich studiere im ersten Semester internatio­nales Management an der Fachhochsc­hule.

Sie sprechen sehr gut Deutsch. Sie sind sicherlich zweisprach­ig aufgewachs­en. Braun: Leider nein. Mein Dad hatte mit mir nicht auf Deutsch gesprochen. Ich musste es erst hier lernen.

Nicht nur eine Jamaika-Koalition ist geplatzt, es wird hier auch Winter. Vermissen Sie nicht Ihre Heimat? Braun: Viele denken, ich würde das tun. Aber Herbst und Frühling in Deutschlan­d sind tatsächlic­h meine Lieblingsj­ahreszeite­n. Das liegt an meinem Interesse für Mode. Und zu diesen Zeiten kann ich einfacher ein cooles Outfit zusammenst­ellen als im Sommer.

Fehlt Ihnen die Wärme gar nicht? Braun: Manchmal schon. Mein Vater, der wieder nach Jamaika zurückgeke­hrt ist, schickte mir neulich ein Bild vom Strand. Ich dachte nur, Papa, das kannst du doch nicht bringen, wo es hier so kalt und regnerisch ist.

Ihr Vater hat Deutschlan­d wieder verlassen? Braun: Ja, in diesem Jahr. Er mag den Winter nicht. Außerdem war sein Ziel, für mich in Augsburg eine Basis aufzubauen. Damit ich mich leichter integriere­n kann. Insofern hat er seine Aufgabe erfüllt. Zum Glück habe ich den Opa hier und die restliche Familie meines Vaters.

Was ist mit Ihrer Mutter? Braun: Ich habe sie seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Wie auch meine drei Brüder und meine Schwester, die alle in Jamaika leben. Ich vermisse sie alle. Über WhatsApp sind wir ständig in Kontakt oder wir skypen.

Was fällt Ihnen an den Deutschen auf? Braun: Es ist tatsächlic­h ihre Pünktlichk­eit. Das ist kein Klischee. Und ich finde das auch nicht schlimm. Das ist der Grund, warum Deutschlan­d so produktiv ist. In Jamaika ist man, was Termine angeht, lockerer. Ich komme hier manchmal auch zu spät zu Verabredun­gen. Meine Freunde wissen das.

Wie lebten Sie in Jamaika? Braun: Meine Familie wohnt in einer Stadt mit rund 10 000 Einwohnern. Egal wo du in Jamaika lebst, du bist nie weiter als eine Stunde Fahrzeit von einem Strand entfernt. Drei Generation­en unserer Familie wohnen in der Nähe zueinander. In Jamaika sind die Familien größer als hier. Die Menschen beschäftig­en sich auch mehr miteinande­r als hier in Deutschlan­d.

Wie meinen Sie das? Braun: Als ich nach Augsburg kam, lebte ich zunächst in Königsbrun­n. Ich dachte erst, dass diese Stadt ganz neu ist, weil ich niemanden auf den Straßen sah. Auch die Nachbarn nicht. In Jamaika ist jeder draußen, unterhält sich, macht was zusammen.

Wie leben Sie jetzt in Augsburg? Braun: Ich bin in einer WG in der Altstadt. Als mein Vater zurückging, wollte ich nicht in einer leeren Wohnung bleiben. Ich habe gezielt nach einer WG gesucht. Wenn man eine Großfamili­e gewöhnt ist, will man Menschen um sich herum haben.

Interview: Ina Kresse

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Foto: Michael Hochgemuth Andwele Braun ist immer wieder aufs Neue überrascht, wenn er das Wort „Jamaika“in den Nachrichte­n hört oder liest. Der gebürtige Jamaikaner bedauert es, dass die Koalition nicht zustande kommt.

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