Laut wird es erklingen
Das Requiem von Giuseppe Verdi stellt hohe Anforderungen an seine Interpreten, vor allem auch im Hinblick auf die Intention des Werks. Konnten Domonkos Héja und seine Mitstreiter das einlösen?
Wenn von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“behauptet wird, hier handle es sich um Oper im Gewand der Liturgie, dann ist das in gewissem Grade Humbug: Wenn Oper institutionalisierten Prunk und künstlerische Prätention meint, dann geht das völlig am Requiem vorbei. Und doch, von einem bestimmten Blickwinkel aus betrachtet, zielt der Opern-Vergleich nicht daneben: Denn wie kein anderer Komponist hat der italienische Meister die altlateinische Totenmesse auf den Menschen, auf sein Fühlen und seine Ängste gespiegelt – Bereiche, die seit jeher den Kern guter Opernmusik bilden und in deren Ausgestaltung Verdi einer der Größten war. Der bange Mensch im Angesicht des Unfassbaren, das vor allem – neben manch eindrücklich tönendem Höllenbrand – hat der Komponist in seinem Requiem zu Klang werden lassen. Und mit der Fähigkeit, eben dies herauszumodellieren, steht und fällt jede Aufführung des Werks.
Insofern müsste eigentlich schon der Beginn, die Bitte um ewige Ruhe, die Verdi den Chor sotto voce, gewissermaßen im Flüsterton singen lässt – müsste dieses einleitende „requiem aeternam“schon etwas mitteilen vom Mysterium des Todes, von den Schauern, die die Lebenden beim Gedanken an das Nach-dem-Leben befallen. Am Montagabend, im PhilharmonikerSinfoniekonzert in der fast komplett belegten Kongresshalle, erklingen die Eingangsworte friedvoll, füllig und sonor – einfach zu schön, um etwas mitzuteilen von der Erschütterung des Daseins. Und so war es in vielen weiteren Momenten während der folgenden 90 Minuten. Vom Orchester musiziert, vom Chor gesun- gen war das alles ohne Mängel; doch der Abgrund, die Kluft zwischen Leben und Tod, die existenzielle Spannung, das wollte sich nicht einstellen – von Ausnahmen abgesehen, von denen noch zu reden ist.
Der Aufwand, der zu betreiben ist für eine Aufführung dieses Verdi-Spätwerks, ist immens. So sind fürs Orchester nicht nur üppige vier Trompeten gefordert, sondern gleich noch einmal dieselbe Anzahl für die Ferninstrumente im „Tuba mirum“, die von den rückwärtigen Saal-Balkonen erklangen, symbolisierend die in alle Richtungen hinausgeblasene Verkündigung des Gerichtstags. Auch für den Chor ist Stimmpräsenz gefordert beim Requiem, und so haben sich der Philharmonische Chor, einstudiert von Wolfgang Reß, und der Opernchor des Theaters (Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) zu einem Verdi-JointVenture zusammengeschlossen, bei dem sich keine Nahtstellen bemerkbar machen. Von der Homogenität profitieren die großen chorischen Herausforderungen wie die Doppelfuge des „Sanctus“oder der chromatische Abwärtstaumel des „Dies irae“, berühmtester Teil des Requiems. Und doch erweist sich die schiere Power der rund hundert Sängerinnen und Sänger als stellenweise fatal: Die Klanggewalt drückt immer wieder das Orchester nieder, übertüncht das detailreiche instrumentale Tableau, sogar den umfangreichen Apparat der Blechbläser – das Sechzehntel-Gezüngel der Trompeten im „Dies irae“etwa geht komplett unter. Hier und an vergleichbaren Stellen hätte Generalmusikdirektor Domonkos Héja eingreifen, zurückhalten, gestalten müssen. Die Klangmasse sollte wohl auf Überwältigung zielen; doch die stellt sich nun mal weniger durch schiere Lautstärke ein als durch Erkenntnis stiftendes Hineinleuchten in die Partitur.
Außergewöhnliches hat Verdi im Requiem nicht nur für Chor und Orchester, sondern auch für die Vokalsolisten geschrieben – kaum ein Abschnitt der Messe, der nicht mit eindrucksvollen Soli oder Ensembles aufwartet. Stanislav Sergeev (Bass) gibt dem „Mors stupebit“die nötige Desillusion mit, Tenor Paulo Ferreira war leider indisponiert und wurde im gestrigen Wiederholungskonzert durch Dean Power ersetzt. Der Mezzosopranistin Rita Kapfhammer und Sopranistin Sally du Randt hingegen ist es zu verdanken, dass sich die für das Werk zentrale Geste menschlich-existenzieller Bedrängnis zumindest in einigen solistischen Abschnitten auf die Aufführung niedersenkte. Das „Recordare“etwa, ein Duett beider Frauenstimmen, ist einer dieser Höhepunkte, ein Bittgesang von anrührender Schlichtheit. Und es ist Sally du Randt, die im finalen „Libera me“durch fahle Sprachdeklamation und gewollt blassfarbenen Ton daran erinnert, dass Verdis Totenmesse eines ganz und gar nicht beabsichtigt: dass wir Menschen uns unserer Sache mit dem Jenseits sicher sein können.