Beschwerden über Bettler nehmen zu
Der Ordnungsdienst meldet eine gestiegene Aggressivität: Zum Teil werden nach Angaben der Stadt Behinderungen vorgetäuscht und Kinder genutzt, um mehr Almosen zu bekommen. Wie Passanten reagieren
Die Zahl der Beschwerden über Bettler in Augsburg steigt. Auch wenn der Fall des neunjährigen Buben, der am Königsplatz von Bettlern bedroht und ausgeraubt wurde, ein Einzelfall sei: Aus Sicht des Ordnungsdienstes ist eine gestiegene Grundaggressivität bei Bettlerbanden festzustellen, sagt Stadtsprecherin Monika Harrer-Jalsovec. Die Beschwerden über Bettlergruppen aus Osteuropa in der Innenstadt seien auch 2017 erheblich. Der Ordnungsdienst der Stadt gehe konsequent gegen organisiertes und aggressives Betteln und das „Erschleichen von Almosen“vor. Grundsätzlich ist Betteln allerdings erlaubt. Wer in Not ist und um finanzielle Unterstützung bittet, darf das.
Bis zu 20 Bettler sind nach Erkenntnissen der Stadt gleichzeitig unterwegs. Dabei habe sich das Betteln mit Kindern und der Bettelbetrug, also das Erschleichen von Almosen, indem man eine Behinderung vortäuscht, merklich erhöht. Beides ist untersagt. Nicht nur in der Innenstadt sind die Gruppen tätig, vereinzelt organisiertes und aggressives Betteln gebe es auch in der Wertach- und Jakoberstraße sowie den Augsburger Friedhöfen. Auch wenn die Osteuropäer in der Regel jede Aussage verweigerten, wo sie wohnen, geht man bei der Stadt davon aus, dass sie in Bussen und Autos übernachten. Ob die Menschen beim Betteln singen, musizieren oder andere Tätigkeiten ausführen, ist aus Sicht der Stadt egal. Wenn der Ordnungsdienst ihnen aggressives oder organisiertes Betteln nachweisen könne, werde dagegen vorgegangen, so Harrer-Jalsovec.
Immer häufiger zu beobachten sind auch Osteuropäer, die versuchen, mit der Obdachlosenzeitung „Riss“etwas dazu zu verdienen. Daran sei im Grunde nichts auszusetzen, sagt die ehrenamtliche Redaktionsleiterin der Riss, Sylvia Hank. „Solange sich die Verkäufer an die Regeln halten, ist die Riss ja dafür gedacht, Menschen in Not zu unterstützen.“Die Regeln sind einfach: Jeder Verkäufer muss einen grünen Ausweis, der von Riss aus- wird, besitzen. Außerdem: keine Betrunkenen, Verkauf nur auf öffentlichen Flächen, kein Betteln und keine Belästigung. Bei den letzten beiden Punkten käme es am ehesten zu Konflikten. Ob man sich von einem lauten „Bitte“belästigt fühle, müsse jeder selbst wissen. Gebettelt werde, wenn die Zeitungen nur vorgezeigt würden, um Geld zu bekommen. Die Verkäufer bezahlen 70 Cent pro Heft und dürfen sie für 1,50 Euro weiterverkaufen. „Trinkgelder sind willkommen“, so Hank.
Auch die Polizei hat die organisierten Bettler im Blick, sagt Sprecher Manfred Gottschalk. „Die Bettler treten in Wellenbewegungen auf.“Jetzt zur Weihnachtszeit sei wieder vermehrt mit ihnen zu rechnen – und mit Taschendieben. „Es kann sich dabei um dieselben Gruppierungen handeln“, so Gottschalk. Zumeist würden die Gruppen aber unabhängig voneinander operieren. Wenn es um mutmaßlich Bettelban- aus Osteuropa ginge, kämen diese zumeist aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei. „Das sind eben die ärmsten Länder.“Ob die Bettler wirklich organisiert sind, sei schwer nachzuweisen. Eine bettelnde Familie sei noch keine Bande. Aber aggressives Betteln sei verboten. Von aggressivem Betteln spricht man, wenn die Bettler Menschen ansprechen, berühren oder ihnen gar den Weg versperren. „Wenn wir diesbezügliche Erkenntnisse haben, gibt es eine Anzeige und die Einnahmen der Bettler können sichergestellt werden“, erklärt Gottschalk.
Der Zwischenfall mit dem Buben am Königsplatz ist auch aus Sicht der Polizei eine absolute Ausnahme. „So etwas habe ich in Augsburg bisgestellt her noch nicht erlebt“, so Gottschalk. Die rumänische Familie war laut Polizei in den Tagen vor der Tat immer wieder aufgefallen, weil sie Passanten belästigt und teilweise bedroht hat. Im Verhältnis zu anderen Großstädten sei das Problem mit organisierten Bettlern in Augsburg gering. Zahlen dazu gibt es bei der Polizei nicht. Die Bettler würden im Rahmen des Streifendienstes kontrolliert. „Die Allermeisten sind still und unauffällig“, so Gottschalk.
Die Menschen in der Stadt reagieren unterschiedlich auf die Bettler. In der Annastraße sitzt eine Frau zusammengekauert gegenüber des Modeladens Bonita und singt immer wieder die gleiche Melodie. In der Hand hält sie einen Pappbecher für Münzen von den Passanten. BonitaFilialleiterin Mathilde Wensing fühlt sich nicht gestört. „Wir kriegen hier drinnen nicht viel mit von ihr – allerdings schimpfen die Kunden ziemlich“, sagt sie. Sie habe landen ge Zeit in Stuttgart gearbeitet, dort sei das Bettlerproblem viel schlimmer. „Ich fühle mich sicher in Augsburg“, so die Geschäftsinhaberin. Ein Stück die Straße hinunter kriecht ein Mann über den Boden, den Beinstumpf entblößt, und hält den Passanten einen Becher entgegen. Viele wenden sich ab, aber einige zücken auch den Geldbeutel.
Karin Karwath schüttelt den Kopf und geht schnell vorbei. „Für so etwas habe ich gar kein Verständnis“, sagt sie. „Ich spende gerne, aber diesen Menschen geht es in Deutschland nicht schlecht“, glaubt die Rentnerin aus Oberhausen. Kurz darauf kommt Raluka Sandner mit dem dreijährigen Nicolas vorbei. Der Bub will wissen, was der Mann da macht. „Wir hatten ja erst St. Martin und mein Sohn möchte jedem armen Menschen etwas abgeben“, erklärt die Mutter. Sie gebe ihm immer zehn Cent, die er dann den Bettlern bringen dürfe.
Die Polizei kann die Einnahmen sicherstellen