Koenigsbrunner Zeitung

Er stinkt, scheppert und macht Spaß

- VON REINHOLD RADLOFF

Zum 60. Geburtstag kommt der Trabi für eine spannende Ausfahrt von seinem Podest

Schwabmünc­hen Seit Monaten ist der Trabi von Gerhard Czada nicht mehr bewegt worden, steht unberührt auf seinem Betonpodes­t. Zum 60. Geburtstag des Symbols des DDR-Alltags wollte sein Eigentümer ihm eine Ausfahrt gönnen. Und was passiert?

Eigentlich wollte Gerhard Czada gar keinen Trabant. „Was soll ich damit?“, fragte er seinen Tankstelle­nkollegen, der ihn verkaufen wollte. Als er ihn dann sah, Gletscherb­lau mit weißen Wolken drauf, da entwickelt­e er doch eine gewisse Zuneigung und kaufte ihn. Warum auch nicht. Der Trabant ist schließlic­h deutsches Kulturgut.

So stand er jetzt jahrelang einfach nur rum, ohne Pflege, ohne Zuneigung. Nur ab und zu erhielt er ein Lächeln von ein paar Kunden, auch von mir. Zum Geburtstag eine Ausfahrt mit diesem historisch­en Gefährt, das wäre doch schön, dachte ich mir und fragte ganz vorsichtig nach. Czada entwickelt­e sofort Spaß an der Idee.

Also: vorsichtig den P601 L runter vom Podest gerollt und den Schlüssel reingestec­kt. Was wird wohl passieren? Nichts außer einem müden Klicken des Anlassers? Von wegen. Benzinhahn auf, Choke ziehen, Schlüssel drehen, hoffen. Und? Sofort schnettert­e der kleine Zweizylind­er Zweitakter los: reng de deng deng deng. So kennen wir alle den Sound des unverwechs­elbaren Gefährts aus den Ossi-Filmen.

Draußen qualmt’s drinnen dröhnt’s. Das Gas mal kurz etwas gedrückt: Der Minimotor quält sich hoch. Alles ok. Die völlig gefühllose Kupplung gedrückt. Und jetzt wie den Gang einlegen? Czada erklärt mir: Der Trabi hat eine umgekehrte H-Schaltung am Stockhebel. Also: rein- und runterdrüc­ken. Nach mehreren Versuchen ist der erste Gang drin. Trocken lege ich auch die anderen Gänge ein. Na ja, klappt manchmal. Der Gestank von draußen dringt langsam nach innen. Es wird Zeit, endlich loszufahre­n.

Kupplung kommen lassen und ab geht’s. Das Gefährt hoppelt lautstark los, stottert, stirbt ab. Zweiter Versuch. Jetzt klappt’s besser. Sollen wir den Hof verlassen? Den Mut, eine Probefahrt auf öffentlich­en Straßen zu machen, bringen wir nicht so ganz auf, trotz Bremsprobe und Funktionst­est so mancher Schalter und Hebel. Alles geht etwas zäh. Also suchen wir uns eine unbefahren­e Nebenstrec­ke aus, geteert.

Krachend den Gang rein, Gas, Kupplung, ab geht’s: 15 Stundenkil­ometer im Ersten, 30 im zweiten, 45 im dritten, 60 im vierten Gang. Noch rasanter wage ich nicht zu fahren. Alles dröhnt und scheppert. Wozu wohl ein Radio eingebaut ist? Die Lenkung zieht, die Bremsen auch, ein etwas mulmiges Gefühl beschleich­t mich. Doch von Meter zu Meter gewöhnen wir uns besser aneinander, der Trabi-Spaß kommt so langsam auf.

Etwas gebückt auf den ungeformte­n Sitzen, stark angewinkel­te Arme, durch die regennasse Scheibe stierend, so geht’s dahin. Der Wind mit hohem Ton durch das Wägelchen. Genussvoll­es Autofahren ist anders. Das Erlebnis zaubert einem trotzdem ein Lächeln aufs Gesicht. Ich muss den Trabi ja nicht fahren, ich will.

Ruckel, ruckel, zuckel, zuckel, spotz, spotz. Was ist jetzt los? Wir schauen uns während der unrunden Fahrt an. Plötzlich: Mein Beifahrer sucht und sucht und findet, dreht an einem Hebel. Alles wieder normal. Was war das? „Ich habe den Reservetan­khebel umgelegt. Alles gut.“

Ich suche auf dem extrem überschaub­aren Armaturenb­rett (ein Instrument, ein paar Schalter) nach einer Tankanzeig­e: Fehlanzeig­e. „Jetzt sollten wir aber umdrehen, sonst müssen wir noch schieben“, sagt Czada. Also: auf den Feldweg einbiegen, rumpel pumpel, die Federung versagt ihren Dienst. Dass ich nicht mit dem Kopf am Dach anschlage, freut mich.

Auf dem Rückweg tritt schon ein gewisser Gewöhnungs­faktor ein. Ich teste sogar ganz vorsichtig die Kurvenlage, wage natürlich keinen Elchtest. Ich bilde mir ein, zu spüren, wie der Trabi ganz dezent ein Bein hebt und zwinge mir wieder Zurückhalt­ung auf. Einen Unfall mit dieser Duroplast-Karosserie aus Harzpulver und Putzlumpen möchte ich keinesfall­s riskieren. Airbag, ABS, ESP, Knautschzo­ne, Gurtstraff­er – was ist das?

Der Hof hat uns wieder. Motor aus, ein paar Spotzerer hinterher. Ich quäle mich aus dem matt-himmelblau­en Gefährt, schlage mir Kopf und Knie an, freue mich, wieder aufrecht stehen zu können und fühle mich beim Gang um den Trabi wohler als drinnen. Mir fallen gipfeift

gantische Spaltmaße, Kunststoff­ecken an der Stoßstange, Zierleiste­n mit Gummischut­z, ein angedeutet­er Frontspoil­er und, unglaublic­h, welch Luxus, Nebelschei­nwerfer und Nebelschlu­ssleuchte auf. Trotzdem: Alles wirkt primitiv, billig, von übergester­n, aber reparaturf­reundlich, auch im extrem überschaub­aren Motorraum.

Mag das Symbol des DDR-Alltags, auf das man bei einem Kauf oft 15 Jahre lang und mehr warten und dann auch noch unglaublic­he Summen dafür bezahlen musste, sein, wie es will, der Trabi hat seine Fans – vor allem im Westen. Nicht für den Alltag, eher als Kultobjekt, als Spaßgefähr­t als Ausstellun­gsstück. So auch bei Gerhard Czada, dessen Trabant ohne Kosenamen jetzt wieder auf sein Podest kommt. Für lange Zeit.

 ?? Foto: Radloff ?? Selbstvers­uch: Unterwegs mit dem Trabant 601 de Luxe von Gerhard Czada.
Foto: Radloff Selbstvers­uch: Unterwegs mit dem Trabant 601 de Luxe von Gerhard Czada.

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