Koenigsbrunner Zeitung

Werden die Grünen zu einer ganz normalen Partei?

Sie wollten unbedingt regieren, wurden aber ausgebrems­t. Jetzt gibt es zu wenige einflussre­iche Ämter für zu viele ehrgeizige Politiker. Die Proporzreg­eln verhindern unkonventi­onelle Lösungen. Doch das kann sich ändern

- VON MARTIN FERBER Fotos: dpa

Sie wollten Jamaika. Unbedingt. Und sie waren bereit, dafür sogar einen hohen Preis zu zahlen. Nach zwölf langen Jahren auf den harten Bänken der Opposition, wo sie in den letzten vier Jahren von der alles dominieren­den 80-ProzentMeh­rheit der Großen Koalition buchstäbli­ch erdrückt wurden, wollten die Grünen endlich wieder regieren. Jamaika war die einzige Chance, da es für Rot-Rot-Grün nicht reichte. An ihnen, das war die klare interne Absprache bei den Grünen, sollte das auf Bundeseben­e neue politische Bündnis mit der Union und den Liberalen nicht scheitern. In der letzten Verhandlun­gsrunde akzeptiert­en sie sogar die Obergrenze bei der Zuwanderun­g.

Doch dann ließ FDP-Chef Christian Lindner die Jamaika-Sondierung­en platzen. Und seitdem haben die Grünen ein Problem: Es stehen viel zu wenige einflussre­iche Ämter für viel zu viele ehrgeizige Politiker in ihren Reihen zur Verfügung. Die Konkurrenz ist groß, zudem ertönt an der Basis der Ruf nach einer personelle­n Erneuerung an den Spitzen von Partei und Fraktion. Immerhin: Da der bisherige Parteichef Cem Özdemir bereits vor längerem angekündig­t hat, auf der Bundesdele­giertenkon­ferenz Ende Januar in Hannover nicht mehr antreten zu wollen, wird ein Platz frei.

Damit allerdings fangen die Probleme der Grünen erst an. Zum einen ist völlig offen, was aus dem anatolisch­en Schwaben wird, der zu den profiliert­esten Grünen gehört und als Spitzenkan­didat ein achtbares Ergebnis einfuhr, zum anderen tobt ein Kampf um seine Nachfolge an der Parteispit­ze. Wieder einmal erweist sich das Dogma von der doppelten Quotierung aller Posten (Mann/Frau, Realo/Fundi) als äußerst hinderlich­e Fußfessel. Zwar sorgt es für einen internen Ausgleich der Geschlecht­er und Flügel, verhindert aber auch unkonventi­onelle Lösungen.

In der Fraktion gelten die bisherigen Chefs Katrin Göring-Eckart (Frau/Reala) und Anton Hofreiter (Mann/Fundi) als gesetzt. Warum eigentlich? Neue Gesichter soll es allenfalls bei den Stellvertr­etern geben, so könnte durch den Verzicht von Kerstin Andreae der Platz für Agnieszka Brugger vom linken Flügel frei werden.

Reichlich komplizier­ter sieht es dagegen bei der Partei aus. Um den Vorsitz bewerben sich nach bisherigem Stand der schleswig-holsteinis­che Vize-Ministerpr­äsident Robert Habeck, die brandenbur­gische Landeschef­in Annalena Baerbock, die beide dem Realo-Lager zugerechne­t werden, sowie die bisherige CoChefin Simone Peter vom linken Flügel. Habeck gilt als Liebling der Partei. Um seine Wahl möglich zu machen, muss allerdings vorab die Satzung mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Denn als Minister darf er nicht gleichzeit­ig ein Parteiamt bekleiden.

Würde der Realo-Mann Habeck gewählt, müsste im Gegenzug die Fundi-Frau Peter bestätigt werden, damit die Doppelquot­e erfüllt ist. Doch Peter gilt als schwach und blass, selbst im linken Lager hat sie nur noch wenige Anhänger. Ein Duo Habeck/Baerbock hingegen verspräche einen wirklichen Neuanfang mit neuen Gesichtern und neuen Ideen, gerade weil beide verspreche­n, flügelüber­greifend agieren zu wollen.

Die Grünen müssen sich entscheide­n: Quote oder Qualität, Dogma oder Durchbruch? Schon bei der Urwahl zur Bestimmung der Spitzenkan­didaten haben sie gezeigt, dass das alte Flügeldenk­en nicht mehr so dominant ist wie früher, zumal es den Linken an geeignetem Führungspe­rsonal mangelt. Eine Frau und ein Mann, das muss sein, aber die Flügelzuge­hörigkeit scheint nicht mehr so wichtig zu sein.

Schon gibt es Überlegung­en, zusätzlich stellvertr­etende Parteichef­s zu wählen, um den linken Flügel im Falle einer Wahl von Habeck und Baerbock mit einem Vize-Posten zu beglücken. Das kennt man von CDU, CSU, SDP und FDP zur Genüge. Womit bewiesen wäre, dass auch die Grünen längst eine ganz normale Partei sind. Auch ohne Jamaika.

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Favoriten für die Parteispit­ze (von links): der Kieler Minister Robert Habeck, die Ab geordnete Annalena Baerbock und die bisherige Co Chefin Simone Peter.

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