Koenigsbrunner Zeitung

Süchtig hinter Gittern

Vor 20 Jahren wurden erstmals externe Suchtberat­er in bayerische Gefängniss­e gelassen. Manchmal retten sie Leben. Manchmal müssen sie zusehen, wie Häftlinge in ihr Verderben rennen

- VON MICHAEL BÖHM Symbolfoto: Patrick Pleul, dpa *Name von der Redaktion geändert

Augsburg

Der Knast hat ihm das Leben gerettet. Vor allem diese Frau, die er dort kennengele­rnt hat. Da ist sich Jürgen Lehmann* sicher. Denn als er im vergangene­n Jahr festgenomm­en wurde, war der heute

36-Jährige „drauf“. Alkohol, Kokain, Heroin – jahrelang trank, schnupfte und spritzte Lehmann alles Mögliche, um „high“zu werden. Seine Drogenkarr­iere begann, als sich seine Eltern scheiden ließen. Mit elf Jahren landete er mit einer Alkoholver­giftung erstmals im Krankenhau­s. Er begann zu rauchen, zu kiffen, härtere Drogen folgten.

„Sechs Jahre lang war ich zwischenze­itlich clean, 2012 bin ich rückfällig geworden und dann so richtig abgestürzt. Wäre ich nicht im Knast gelandet, wäre ich gestorben“, sagt er heute. Ein Gericht hatte den gebürtigen Allgäuer wegen Körperverl­etzung unter Drogeneinf­luss zu einer 20-monatigen Haftstrafe verurteilt.

So landete er in der Justizvoll­zugsanstal­t in Kaisheim (Landkreis Donau-Ries) und traf dort auf Anicèe Jakob. „Wäre sie nicht gewesen, wäre ich heute tot“, sagt Lehmann und schiebt mit fester Stimme noch ein „hundertpro­zentig“hinterher. Jakob ist eine von vier Suchtberat­erinnen der Drogenhilf­e Schwaben und betreut im Schnitt rund 50 süchtige Häftlinge in den Gefängniss­en in Kaisheim und Gablingen (Landkreis Augsburg). Vor 20 Jahren wurde es externen Suchtberat­ern erstmals erlaubt, Drogenabhä­ngige in bayerische­n Justizvoll­zugsanstal­ten zu besuchen. Mittlerwei­le werden bayernweit mehr als

55 Vollzeitst­ellen vom Gesundheit­sministeri­um finanziert.

Wie notwendig das ist, zeigt folgende Zahl: Experten gehen davon aus, dass rund 80 Prozent aller Häftlinge schon mal Erfahrunge­n mit Drogen gemacht haben. Und allein der Aufenthalt im Gefängnis bedeutet noch lange nicht das Ende der Drogenkarr­iere. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts hat sich jeder dritte süchtige Häftling schon einmal hinter Gittern Drogen gespritzt. „Wer will, kriegt auch im Knast alles, was er braucht“, weiß Lehmann. Der Rauschgift­handel innerhalb der Gefängnism­auern sei ein einträglic­hes Geschäft. „Was draußen zehn Euro kostet, kostet drin

600 Euro“, erzählt Lehmann – die Nachfrage bestimmt auch im Knast das Angebot. Mangels Bargeld wird für die Bezahlung auf andere Währungen gesetzt. Tabak ist die Nummer eins. Auch Kaffee oder handwerkli­ch hergestell­te Produkte sind Oder das Geld fließt über Umwege und Überweisun­gen an Dritte. „Da können sich die Wärter noch so anstrengen, den Handel mit Drogen werden sie nicht verhindern können“, sagt Lehmann.

Auch Anicèe Jakob weiß das. Auch sie kann gegen den Konsum hinter Gittern nichts tun. Es ist aber auch nicht ihr Job. Der besteht vielmehr darin, den Süchtigen zu helfen. Beim Umgang mit der Sucht. Bei der Suche nach ärztlicher Hilfe. Beim Stellen von Anträgen. Beim Anmelden für eine Therapie. Gleichzeit­ig haben sie und ihre Kolleginne­n die vom Ministeriu­m und den Kostenträg­ern auferlegte Aufgabe, herauszufi­nden, wer für eine Therapie tatsächlic­h geeignet ist, wer es ernst meint oder wer darin nur eine Möglichkei­t sieht, schneller aus dem Gefängnis herauszuko­mmen. „Wir lernen die Häftlinge in vielen Gesprächen sehr gut kennen“, erzählt Jakob. Das ist einerseits nötig, um den Süchtigen auch wirklich helfen zu können. Anderersei­ts aber auch schwierig, wenn Emotionen ins Spiel kommen.

„Viele Häftlinge erzählen uns ihre ganze Lebensgesc­hichte, vertrauen uns Dinge an, die sie sonst niemandem erzählen würden. Das lässt einen nicht kalt“, erzählt Suchtberat­erin Sonja von Klipstein, ebenfalls von der Drogenhilf­e Schwaben, und erinnert sich an den Fall eines 40 Jahre alten Vaters. Monatelang habe sie ihn auf eine Therapie vorbereite­t – kaum war er raus aus dem Gefängnis, wurde er an einem Augsburger Bahnhof schon wieder von der Polizei aufgegriff­en. Vollkommen zugedröhnt. Einige Tage später starb er im Kaisheimer Gefängnis. Offenbar an einer Überdosis. „Da habe ich zwei Wochen lang geheult“, gibt von Klipstein zu.

Vor Enttäuschu­ngen wie diesen sind die Suchterber­ater nie gefeit. „Sucht ist eine lebenslang­e Krankheit. Wäre es unser Anspruch, jeden Süchtigen zu heilen, würden wir schon lange unter Burn-out leiden“, sagt von Klipstein. Ihr Ziel sei es dabeliebt. her, den Häftlingen beizustehe­n, ihnen zuzuhören, sich für sie einzusetze­n und ihnen zu zeigen, welche Möglichkei­ten es für sie gibt. Wenn einer ihrer Klienten eines Tages rückfällig werde, starte er im Bestfall zumindest nicht mehr bei null. „Er dreht dann eben eine Extrarunde – aber die Richtung stimmt schon mal“, erklärt von Klipstein.

Jürgen Lehmann dreht derweil bereits seine dritte Extrarunde. Zwei Therapien hat er in der Vergangenh­eit bereits abgebroche­n, eine half ihm, sechs Jahre lang clean zu bleiben. Aktuell absolviert er seine vierte. Vor allem, weil Anicèe Jakob ihm „in den Hintern getreten“habe. Dieses Mal will er es endlich schaffen, von den Drogen wegzukomme­n. Auch, um eines Tages seinen Sohn wiederzuse­hen. Der ist acht Jahre alt. „Momentan habe ich keinen Kontakt zu ihm. Ich muss mich komplett auf mich selbst konzentrie­ren und darf mich von nichts ablenken lassen“, sagt Lehmann. Anicèe Jakob sitzt ihm gegenüber. Sie nickt und sieht ihn mit einem eindringli­chen Blick an.

Manchmal kommen auch die Profis an ihre Grenzen

 ??  ?? Hinter Gittern floriert der Drogenhand­el, das wissen auch die Suchtberat­er der Drogenhilf­e Schwaben. Wer Rauschgift will, be kommt es auch – allerdings muss er dafür teuer bezahlen.
Hinter Gittern floriert der Drogenhand­el, das wissen auch die Suchtberat­er der Drogenhilf­e Schwaben. Wer Rauschgift will, be kommt es auch – allerdings muss er dafür teuer bezahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany