Koenigsbrunner Zeitung

Feuilleton

Wie kommt Wahrheit in ein Buch?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Leben und Schreiben – es ist ein doppelt fragwürdig­es Verhältnis. Erstens: Welchen Platz soll das wirklich Erlebte im Schreiben von Geschichte­n einnehmen? Und zweitens: Wo ist der Raum fürs Schreiben im Ablauf des Alltags?

Beide Fragen haben für Luca Opic und ihren Autorentra­um seit letztem Jahr deutlich an Relevanz gewonnen. Da nämlich, mit 16, hatte sie den weitgehend aus der Fantasie geborenen, 350 Seiten starken Roman „1000 Jahre Vergangenh­eit“zu Ende gebracht und überlegt, es damit zum ersten Mal bei einem Verlag zu probieren – und zudem an kürzeren Erzählunge­n gearbeitet. Jetzt, mit 17, ist sie noch immer dabei, den Roman zu überarbeit­en und doch unweigerli­ch allzu unmittelba­re Spuren des eigenen Lebens darin zu tilgen. Sie sagt: „Vielleicht muss ich auch alles neu schreiben, damit sich das verwandeln kann – wahrschein­lich.“Und die Zeit für neue Geschichte­n im Alltag zu finden, ist schwierige­r geworden.

Denn nach dem Realschula­bschluss im Sommer geht Luca nun auf die erweiterte Fachobersc­hule

„Wer schreiben will, muss die Menschen kennen.“

mit dem Ziel Abitur, in Neusäß, nahe dem Haus ihrer Familie, mit dem Schwerpunk­t Agrar (da ist ja noch der andere Lebensplan, ein eigener Bauernhof ). Das bedeutet für sie, die bislang auf Montessori­Schulen immer die Freiheit hatte, an eigenen Projekten zu arbeiten, erstmals das Korsett einer Regelschul­e; und es bedeutet in der Hälfte der Wochen Arbeit auf einem Hof – was sie so erschöpfe, dass an Schreiben abends nicht zu denken sei, bloß noch an Videoglotz­en. Und das, wo sie doch eigentlich überzeugt ist: „Diese Medien machen uns verrückt!“Überall Musik im Ohr, ständig Nachrichte­n und Videos übers Smartphone: „Da kann doch keiner mehr denken oder auch nur irgendetwa­s wirklich wahrnehmen.“

Problemati­sche Phase für ihren Traum also? Eine erste Krise gar? Und wünschte sie nicht, es gäbe wie für die Künstlerau­sbildung der beiden anderen in unserer Serie, Marius und Lukas, auch für sie einen schulische­n Weg, eine Autorensch­ule? Tatsächlic­h lautet die Antwort der 17-Jährigen gleich dreimal verblüffen­d eindeutig: nein.

Das vermeintli­che Festhängen in „1000 Jahre Vergangenh­eit“sieht sie als selbstvers­tändlich an – weil es eben dauern könne, bis eine Geschichte „wahr genug“sei, um sie aus der Hand zu geben („wer weiß, vielleicht habe ich ja nur dieses eine große Buch zu erzählen, dann muss ich es aber doch auch so gut wie möglich tun“). Die Verschiebu­ngen ihres Tagesablau­fs führten auch zu Veränderun­gen ihres Blicks auf das Leben – was wiederum neue Räume für das Erzählen öffne. Und eine Schule des Schreibens würde sie durch Lehre und Kritik in ihrer Suche nach dem richtigen Erzählen zu sehr beeinfluss­en. Aktuell etwa denke sie sich gern nur mögliche Anfänge und Enden von Geschichte­n aus – und zeichne ansonsten Bleistift-Porträts von Hauptperso­nen und Situatione­n. Wer nun aber fragt, was daraus werden kann, sollte sich eher fragen, ob denn aus allem immer irgendetwa­s werden muss.

Wie weit und frei das Spektrum von Lucas Suche ist, ist auch an ihrer Lektüre abzulesen. Aktuell trifft da „Das zweite Königreich“auf „Rumo“und „Gone Girl“– ein historisch­er Roman der Serien-Autorin Rebecca Gablé also auf die totale Freiheit in den Fantasien des Walter Moers und das harte zwischenme­nschliche Bestseller-Drama von Gillian Flynn. Und beschreibt nicht jede dieser drei sehr unterschie­dlichen Romanforme­n je einen eigenen Weg zu so etwas wie Wahrheit abseits des eigenen Erlebens?

Luca sagt: „Wer schreiben will, muss die Menschen kennen.“Und: „Wer schreiben will, muss zu träumen wagen.“Außerdem: „Wer schreiben will, muss viel nachdenken.“In der Folge: „Wer schreiben will, muss so viel zu erzählen haben, dass er das alles niemandem mehr einfach sagen kann.“Dann muss sie los, eine Freundin abholen… – Leben mit 17. Sowieso die beste Zeit der Stoffsamml­ung, die beste Zeit fürs Erkunden und Erträumen.

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 ?? Foto: Schütz ?? Das gehört für sie zum Schreiben: breite Lektüre und freies Zeichnen – Luca Opic, zu Hause in Neusäß.
Foto: Schütz Das gehört für sie zum Schreiben: breite Lektüre und freies Zeichnen – Luca Opic, zu Hause in Neusäß.

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