Feuilleton
Wie kommt Wahrheit in ein Buch?
Leben und Schreiben – es ist ein doppelt fragwürdiges Verhältnis. Erstens: Welchen Platz soll das wirklich Erlebte im Schreiben von Geschichten einnehmen? Und zweitens: Wo ist der Raum fürs Schreiben im Ablauf des Alltags?
Beide Fragen haben für Luca Opic und ihren Autorentraum seit letztem Jahr deutlich an Relevanz gewonnen. Da nämlich, mit 16, hatte sie den weitgehend aus der Fantasie geborenen, 350 Seiten starken Roman „1000 Jahre Vergangenheit“zu Ende gebracht und überlegt, es damit zum ersten Mal bei einem Verlag zu probieren – und zudem an kürzeren Erzählungen gearbeitet. Jetzt, mit 17, ist sie noch immer dabei, den Roman zu überarbeiten und doch unweigerlich allzu unmittelbare Spuren des eigenen Lebens darin zu tilgen. Sie sagt: „Vielleicht muss ich auch alles neu schreiben, damit sich das verwandeln kann – wahrscheinlich.“Und die Zeit für neue Geschichten im Alltag zu finden, ist schwieriger geworden.
Denn nach dem Realschulabschluss im Sommer geht Luca nun auf die erweiterte Fachoberschule
„Wer schreiben will, muss die Menschen kennen.“
mit dem Ziel Abitur, in Neusäß, nahe dem Haus ihrer Familie, mit dem Schwerpunkt Agrar (da ist ja noch der andere Lebensplan, ein eigener Bauernhof ). Das bedeutet für sie, die bislang auf MontessoriSchulen immer die Freiheit hatte, an eigenen Projekten zu arbeiten, erstmals das Korsett einer Regelschule; und es bedeutet in der Hälfte der Wochen Arbeit auf einem Hof – was sie so erschöpfe, dass an Schreiben abends nicht zu denken sei, bloß noch an Videoglotzen. Und das, wo sie doch eigentlich überzeugt ist: „Diese Medien machen uns verrückt!“Überall Musik im Ohr, ständig Nachrichten und Videos übers Smartphone: „Da kann doch keiner mehr denken oder auch nur irgendetwas wirklich wahrnehmen.“
Problematische Phase für ihren Traum also? Eine erste Krise gar? Und wünschte sie nicht, es gäbe wie für die Künstlerausbildung der beiden anderen in unserer Serie, Marius und Lukas, auch für sie einen schulischen Weg, eine Autorenschule? Tatsächlich lautet die Antwort der 17-Jährigen gleich dreimal verblüffend eindeutig: nein.
Das vermeintliche Festhängen in „1000 Jahre Vergangenheit“sieht sie als selbstverständlich an – weil es eben dauern könne, bis eine Geschichte „wahr genug“sei, um sie aus der Hand zu geben („wer weiß, vielleicht habe ich ja nur dieses eine große Buch zu erzählen, dann muss ich es aber doch auch so gut wie möglich tun“). Die Verschiebungen ihres Tagesablaufs führten auch zu Veränderungen ihres Blicks auf das Leben – was wiederum neue Räume für das Erzählen öffne. Und eine Schule des Schreibens würde sie durch Lehre und Kritik in ihrer Suche nach dem richtigen Erzählen zu sehr beeinflussen. Aktuell etwa denke sie sich gern nur mögliche Anfänge und Enden von Geschichten aus – und zeichne ansonsten Bleistift-Porträts von Hauptpersonen und Situationen. Wer nun aber fragt, was daraus werden kann, sollte sich eher fragen, ob denn aus allem immer irgendetwas werden muss.
Wie weit und frei das Spektrum von Lucas Suche ist, ist auch an ihrer Lektüre abzulesen. Aktuell trifft da „Das zweite Königreich“auf „Rumo“und „Gone Girl“– ein historischer Roman der Serien-Autorin Rebecca Gablé also auf die totale Freiheit in den Fantasien des Walter Moers und das harte zwischenmenschliche Bestseller-Drama von Gillian Flynn. Und beschreibt nicht jede dieser drei sehr unterschiedlichen Romanformen je einen eigenen Weg zu so etwas wie Wahrheit abseits des eigenen Erlebens?
Luca sagt: „Wer schreiben will, muss die Menschen kennen.“Und: „Wer schreiben will, muss zu träumen wagen.“Außerdem: „Wer schreiben will, muss viel nachdenken.“In der Folge: „Wer schreiben will, muss so viel zu erzählen haben, dass er das alles niemandem mehr einfach sagen kann.“Dann muss sie los, eine Freundin abholen… – Leben mit 17. Sowieso die beste Zeit der Stoffsammlung, die beste Zeit fürs Erkunden und Erträumen.