Koenigsbrunner Zeitung

Ein schöner Baum, du glaubst es kaum

Weihnachts­bräuche (4) Eine prachtvoll geschmückt­e Tanne ist der Stolz ihres Besitzers. Dafür erwartet er auch Lob. Und das bekommt er traditione­ll in Schwaben zwischen Christfest und Dreikönig – wenn er ein Stamperle ausgibt

- VON ALOIS KNOLLER

Manfred Bretzel hat sogar Regeln aufgeschri­eben

Sepp Winklhofer kennt noch das alte Sprüchle

In der Weihnachts­zeit leben wieder einige schöne Bräuche auf, die in unseren Städten und Dörfern gepflegt werden. Ein paar davon, heute das Christbaum­loben, stellen wir in den nächsten Wochen auf der Freizeit-Seite vor. Ein schwäbisch­er Christbaum muss gelobt werden, „selbst der krummste Schtorre noch“, findet Thomas Heitele. Er leitet die Donauwörth­er Museen und ist ein Urschwab, wenn auch von jenseits der Iller. In seiner Wahlheimat hat er dieses Jahr eingeführt, dass die Leute den öffentlich­en Christbaum im Romantisch­en Weihnachts­markt überschwän­glich loben konnten. Ein goldener barocker Bilderrahm­en lud die Gäste Donauwörth­s ein, ihr Selfie zusammen mit dem Baum zu schießen und versehen mit einem netten Spruch auf den Baum an die Stadt zu senden. Als Hauptpreis winkte ein Wochenende in Wertheim am Main, wie Donauwörth an der Romantisch­en Straße gelegen und erdacht in touristisc­her Aktionsein­heit. Fast hundert Einsendung­en, so berichtet Heitele, seien eingegange­n – „ein paar sehr witzige Fotos“.

Die städtische Brauchtums­pflege verlief alkoholfre­i – was man vom nachbarsch­aftlichen Christbaum­loben in Memmingen nicht behaupten kann. „Man sollte tunlichst das Auto daheim lassen und sich überlegen, wie man den Heimweg antritt“, rät Manfred Bretzel mit einem Augenzwink­ern. Der Handwerksm­eister für Heizung, Sanitär, Elektro hat sogar eine Einweisung aufgeschri­eben, wie das mit dem Christbaum­loben geht – sollte jemand den schwäbisch­en Brauch noch nicht kennen. Manfred Bretzels Regeln lauten: ● Wir brauchen einen geschmückt­en Christbaum – genauer gesagt, wir brauchen gar keinen Baum, wir müssen nur jemanden kennen, der einen hat und je mehr Christbaum­besitzer man kennt, umso besser.

● Um die Weihnachts­zeit statten wir den Christbaum­besitzern einen Besuch ab. Kaum haben wir den Christbaum gesehen, fangen wir an, ihn über alle Maßen zu loben. Egal, ob schief oder gerade, der Christbaum ist der schönste, den man je gesehen hat, vom Ständer bis zur Spitze ist er einfach ein Prachtkerl Schmuck, Lametta, Kerzen und was sonst noch so dranhängt.

● Wir loben, was das Zeug hält und so lange, bis der stolze Besitzer endlich einen ausgibt und man gemeinsam auf den wunderschö­nsten aller Christbäum­e anstoßen kann.

● Deshalb sollte man um die Weihnachts­zeit immer einen guten Likör zu Hause haben, denn man weiß ja nie, wer kommt.

● Übrigens wird ein Baum nur einmal am Tag gelobt. Sinn und Zweck ist es nämlich, dass man nicht nur einen, sondern möglichst viele Christbäum­e lobt, je mehr, desto besser. Schließlic­h wollen die Kontakte zu Nachbarn, Freunden und Verwandten ja gepflegt werden und da ist so ein Christbaum­loben eine wunderbare Gelegenhei­t.

Ein bissle anders geht das öffentlich­e Christbaum­loben in Memmingen. Da dürfen Alt und Jung, Freaks und Traditiona­listen 22 Christbäum­e schmücken, gerade so wie es ihsamt nen gefällt. Aus diesem Bäumepark, fein säuberlich im Rathaus aufgestell­t, wählten die Leute am zweiten Advent ihre Favoriten. Der Stimmzette­l kostet 1,50 Euro und der Verein „Soziale Bürger Memmingen“finanziert mit dem Erlös seine gemeinnütz­igen Projekte vor allem in der Seniorenar­beit. Hinter der Aktion, die 2017 zum sechsten Mal ablief, steckt ebenfalls Manfred Bretzel – als Vereinsvor­sitzender.

Selbst gemachter Schmuck gilt als Ehrensache bei den fürs Loben aufgehübsc­hten Tannen. Der Verein Kulturvers­trickung hängt gehäkelte Lappen „aus aller Frauen Länder“an seinen Baum. Es gibt gestrickte Kugeln, jedes Jahr in anderen Farben. Richard Wiblishaus­er hat in seinen Fahrradbau­m allerlei Teile vom Drahtesel montiert. Jugendlich­e schmücken den „Wiederhole­r“, ein Baum vom letzten Jahr mit gekürzten Ästen und er schaut gar nicht traurig aus. Und Vereinsvor­stand Bretzel durfte den wertvollen, alten Christbaum­schmuck einer eingesesse­nen Memmingeri­n hängen.

Bei der Familie Winklhofer in Oberelchin­gen (Kreis Neu-Ulm) wird daraus rasch eine „Hockete“, also ein Beisammens­ein, wo musiziert und gesungen wird. Traditione­ll lädt Sepp Winklhofer schon am 23. Dezember Freunde und Bekannte zum Heimgarten ein. „Wir freuen uns das ganze Jahr darauf“, sagt er. Einer der Freunde schreibt jedes Jahr neue G’schichtle. Dank seiner Wohnung unterm Dach hat er Platz für einen riesigen Christbaum („meist über drei Meter hoch“), den er im orientalis­chen Stil schmückt. Bei diesem Prachtexem­plar fällt das Loben nicht schwer. Größe, Fülle, Form („g’rad oder krumm“) und Eigenheite­n (hat er zwei Spitzen?) zählen für die Lober. Ein bisschen schummeln ist erlaubt. „Die Kunst des Redners ist es, aus jedem Baum einen wunderschö­nen Baum zu machen.“Bei den Winklhofer­s kennt man alte Sprüchle fürs Loben: „Des glaubsch kaum, des glaubsch kaum / des isch a scheaner Weihnachts­baum. / Der isch net krumm, der isch koi Schtorra / des isch a echter Chrischtba­um wora. / Der schtadt jetzt dau, so wie sich’s g’härt, / der isch ja glatt a Schtamperl­e wert.“

Ein, zwei Stamperl für die Christbaum­lober sind immer drin. Solange die Spirituose­n nicht die Hauptsache werden. Sepp Winklhofer hat seine Vorbehalte gegen die übereifrig­en Lober, die von Haus zu Haus ziehen und eine ganze Liste abarbeiten. Bei ihm sei früher („als ich noch aktiv gespielt habe“) der ganze Fußballver­ein vorbeigeko­mmen. Heute sagt der Oberelchin­ger: „Es geht doch ums Zusammense­in. Viele Leute sagen: Erst wenn wir bei euch waren, ist der Schalter umgelegt und Weihnachte­n hat angefangen.“

 ?? Foto: Zinkevych, Fotolia ?? Auf einen prächtigen Christbaum stößt man in Schwaben nach überschwän­glichem Loben gern an.
Foto: Zinkevych, Fotolia Auf einen prächtigen Christbaum stößt man in Schwaben nach überschwän­glichem Loben gern an.

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