Große Planen gegen Gaffer
Die Gier nach Sensation macht vielen Einsatzkräften auch im Augsburger Land zu schaffen. Die Zahl der Gaffer scheint stetig zu steigen. Was Feuerwehr und Autobahnpolizei in ihrer täglichen Arbeit besonders bitter aufstößt
Immer öfter stellen Feuerwehren im Augsburger Land nach Unfällen große Planen als Sichtschutz auf. Warum das immer wichtiger wird, lesen Sie auf
Landkreis Augsburg
Für Stefan Weldishofer von der Freiwilligen Feuerwehr Zusmarshausen sind Gaffer ein „trauriges Thema“. Die Sensationsgier und Dreistigkeit einiger Leute hält der Kommandant für nicht nachvollziehbar: „Jeder will sehen, was beim Unfall passiert ist – aber keiner will helfen.“Er hat das Gefühl, dass die Zahl der Gaffer in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Seine Aussage speist sich aus der Erfahrung, die er zusammen mit seinen Kollegen regelmäßig bei Unglücksfällen sammelt.
Zuletzt am vergangenen Samstag auf der A8 zwischen Zusmarshausen und Adelsried, als ein 70-Jähriger zusammen mit seinem Enkel nach einer Kollision im Auto eingeklemmt war. „Selbst in den abgesperrten Bereich sind Schaulustige vorgedrungen“, erinnert sich Weldishofer. Mehrere dunkelgrüne Planen mussten die Helfer als Sichtschutz aufstellen. Wie Weldishofer berichtet, habe man sich bei der Zusmarshauser Wehr solche Planen beschafft und spezielle Vorrichtungen selbst gebaut. Für überschaubare Einsätze reiche eine kleine, 1,60 Meter hohe und mehrere Meter breite Wand. Bei größeren Unfällen komme die Plane mit den Maßen zwölf auf drei Meter zum Einsatz.
Seit nunmehr drei Jahren haben die Helfer aus Zusmarshausen die selbst gebaute Barriere auf jedem Einsatzfahrzeug mit dabei. Eine einheitliche Vorschrift für den Einsatz solcher mobiler Schutzwände gibt es nicht. Offiziell werden diese derzeit lediglich von den Autobahnmeistereien in Herrieden an der A6 und Münchberg an der A9 getestet. Die Feuerwehren im Landkreis Augsburg dagegen sind bei diesem Thema auf sich alleine gestellt.
„Es ist schon traurig, dass wir die Planen überhaupt einsetzen müssen. Das Problem aber ist, dass es zusätzlich Arbeit schafft“, erklärt der Kommandant. Er rechnet vor: Allein am Samstag seien zehn Feuerwehrmänner für den Sichtschutz verantwortlich gewesen. „Die Frage ist grundsätzlich, wer soll die Wände aufstellen. Wir sind ja mit unserem Einsatz beschäftigt“, erklärt er. Kritisch werde es insbesondere unter der Woche, wenn die Wehren personell nicht so stark besetzt sind. „Bisher funktioniert es nur so gut, weil alle Helfer gut zusammenarbeiten. Das Thema wird noch intensiver zu besprechen sein“, sagt Weldishofer.
Ein anderes Problem sieht Thorsten Hahn, 2. Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Königsbrunn. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren habe sich ein gefährlicher Trend entwickelt: Schaulustige greifen immer häufiger zum Smartphone und filmen die Unfallstelle. Für Hahn ist das „ein Unding“. „Das ist vor allem für die verletzten Personen nicht toll“, sagt er. Schaulustige müssen deshalb immer wieder des Platzes verwiesen werden. Hahn sagt, dass Autofahrer außerdem oft beim Vorbeifahren bremsen und dabei ihr Smartphone zücken. Das könne vor allem auf der B 17 zu gefährlichen Situationen führen.
Nicht nur filmende Menschen stören die Arbeit der Einsatzkräfte. Manchmal sei es schwer, überhaupt an den Unfallort zu kommen, erklärt Hahn. Autos und Menschenmengen versperren den Weg. Die Schaulustigen dann dazu zu bewegen, den Einsatzort zu verlassen koste wertvolle Zeit. Die entsprechenden Gesetze, Schaulustige zu bestrafen, gibt es laut Hahn schon. „Sie müssten nur mehr angewendet werden.“
Dass es ein neues Bewusstsein der Menschen für diese Thematik bedürfe, sagt Josef Sitterer. Der Chef der Gersthofer Autobahnpolizei beruft sich zwar auf die Erfolge der Prävention, sagt aber auch: „Man muss immer wieder auf die Thematik aufmerksam machen.“Vergleichbar sei der Aufwand mit dem Werben für die Rettungsgasse. „In letzter Zeit wurde viel dafür gemacht. Langsam ist es bei den Menschen angekommen“, sagt er. Daher habe er den Eindruck, dass es sich bessert. „Aber es ist ehrlich gesagt auch noch Luft nach oben“, so Sitterer.
In einem Punkt sind sich die Verantwortlichen einig: Die Strafen für diejenigen, die gaffen oder Rettungskräfte behindern, müssen hoch ausfallen – vielleicht sogar noch höher als es die jüngste Gesetzesänderung mit sich brachte (siehe Infokasten). Eine umfassende Lösung aber, die gebe es nicht. „Das Problem wird nicht einfach verschwinden, sondern uns weiter beschäftigen – trotz Sichtschutzwänden“, fasst Weldishofer zusammen. (mit ring) »Kommentar