Koenigsbrunner Zeitung

Europas Einfallsto­r für Drogen

Zwischen Marokko und der spanischen Küste liegen nur ein paar Kilometer. Dort versuchen Schmuggler, jeden Tag Tonnen von Rauschgift übers Meer zu bringen. Auch ein spektakulä­rer Fall in Bayern hat die Fahnder in diese Gegend geführt

- VON RALPH SCHULZE UND SONJA KRELL

Madrid/Augsburg Der Hubschraub­er der spanischen Drogenfahn­der fliegt tief, nur wenige Meter über dem Meer. Er verfolgt ein Schlauchbo­ot, das über die Wellen prescht, gefüllt mit Rauschgift­paketen aus Marokko. Die Schmuggler rasen auf den Strand des südspanisc­hen Küstenorts La Línea zu. Ihr Boot hebt förmlich ab und landet hart im Sand. Drei Männer springen heraus, lassen ihr Schmuggelg­ut zurück und verschwind­en in den Gassen der Stadt.

Spektakulä­re Verfolgung­sjagden wie diese gehören zum Alltag der spanischen Anti-Drogen-Polizei, die mit Flugzeugen und Patrouille­nschiffen auf dem Meer gegen die Rauschgift­mafia kämpfen. Das sei manchmal „wie in Action-Filmen“, berichtet eine Fahnderin, die auf der Mittelmeer­insel Mallorca stationier­t ist und per Schnellboo­t die Gewässer zwischen Nordafrika und Spanien kontrollie­rt. Nahezu täglich versuchen Schmuggler, übers Meer Tonnen von Rauschgift nach Spanien zu bringen. Das Land ist das DrogenEinf­allstor Europas.

Einige der Boote können noch auf dem Wasser gestoppt werden. Andere werden aus der Luft verfolgt, um die Schmuggler und ihre Fracht an der Küste beim Entladen zu schnappen. Auch in den Häfen sind Anti-Drogen-Einheiten stationier­t, um per Schiff ankommende „heiße Fracht“aufzuspüre­n. In den meisten Fällen aber sind die Fahnder machtlos gegen die illegalen Machenscha­ften. Spaniens Behörden schätzen, dass höchstens jeder fünfte Rauschgift­transport übers Mittelmeer erwischt wird.

Allein die jüngsten Erfolge der dortigen Polizei zeigen, wie groß das Rauschgift-Problem im Süden Europas ist. Einen Riesenfund machten die Beamten vor kurzem im andalusisc­hen Küstenort Algeciras. Dort kamen den Fahndern sechs Bananen-Frachtcont­ainer, die gerade im Hafen gelandet waren, verdächtig vor. Die Polizisten hatten den richtigen Riecher. Sie entdeck- ten tausende Drogenpake­te, versteckt unter den Bananen. Allein in dieser Schiffslad­ung lagerten fast sechs Tonnen Kokain.

Es war der größte Kokainfund in Spanien seit Jahrzehnte­n, mit einem Marktwert von 210 Millionen Euro – und zugleich der schwerwieg­endste, den es je in Europa gegeben hat. Einige Tage zuvor hatten dortige Drogenfahn­der einen ähnlich spektakulä­ren Erfolg gelandet: Sie konnten im Hafen Barcelonas 330 Kilo Heroin mit einem Wert von 120 Millionen Euro sicherstel­len, das aus Afghanista­n und über die Türkei per Frachter nach Spanien geschmugge­lt worden war. Das Heroin war in Zementsäck­en versteckt gewesen.

Auch der Schmuggel mit Haschisch übers Mittelmeer floriert inzwischen derart, dass europäisch­e Sicherheit­sexperten von einer „Drogen-Autobahn nach Spanien“sprechen. Das liegt schon daran, dass Marokko neben Afghanista­n einer der größten Haschischp­roduzenten der Welt ist. Von Nordafrika zur andalusisc­hen Küste sind es an der schmalsten Stelle gerade einmal 14,5 Kilometer. Wie es im Innenminis­terium in Madrid heißt, hat sich das Mittelmeer inzwischen zur „heißesten Haschischr­oute Europas“entwickelt.

Nun könnte man ja sagen, Spanien ist weit weg. Jörg Beyser weiß, dass es anders ist. Dass ein Drogen- der in der Oberpfalz begonnen hat, auch zur spanischen Küste führen kann. Beyser, Dezernatsl­eiter für Rauschgift­delikte, sitzt in seinem Büro im Landeskrim­inalamt (LKA) in München und erzählt, wie seine Kollegen dem „Schreinerm­eister“auf die Schliche gekommen sind. 2014 werden LKA und Zollfahnde­r auf einen bekannten Wiener Drogenhänd­ler aufmerksam, der in Neumarkt 120 000 Euro übergibt an einen Unternehme­r, der mit Quad-Fahrzeugen und Anhängern handelt – „bis dato ein unbeschrie­benes Blatt“, sagt Beyser.

Als der Oberpfälze­r ein paar Monate später 80 Kilo Haschisch nach Wien liefert, werden beide schon von deutschen und österreich­ischen Behörden überwacht und kurz danach festgenomm­en. Es stellt sich heraus, dass sie Teil eines DrogenNetz­werks sind, das Millionen-Umsätze macht und europaweit agiert. Der Wiener bringt die Ermittler 2015 auf die Spur eines deutschen Schreinerm­eisters, der in Andalusien lebt und das Cannabis so präpariert, dass kein Spürhund es findet: Er taucht die Päckchen in Modellierw­achs, verdeckt sie mit Kohlepapie­r, verpackt sie in Holzpalett­en und verschickt sie dann im doppelten Boden des Transporte­rs nach Deutschlan­d. Der Schreinerm­eister selbst fährt in der Regel in einem zweiten Fahrzeug hinterher – samt Werkzeug, um die Drogen am Zielort ausbauen zu können.

Eine internatio­nale Ermittlerg­ruppe aus Deutschlan­d, Spanien, Frankreich bringt, unterstütz­t von Beamten in Italien und Österreich, immer mehr Teile des Drogennetz­werks ans Licht. Sie stoßen auf die Lieferante­n des Schreinerm­eisters: zwei Spanier, die das Rauschgift mit Schnellboo­ten von Marokko nach Spanien bringen ließen. Drei Lieferunge­n fangen die Ermittler an der andalusisc­hen Küste ab, im Herbst wird der 61-jährige Deutsche verhaftet, mit ihm 22 Tatverdäch­tige. Die Fahnder stellen 5,3 Tonnen Haschisch und Marihuana sicher, eine halbe Million Euro und 20 Kilo Silber. Es ist der größte Rauschgift­fund in der Geschichte des Landeskrim­inalamts.

Für Kriminaldi­rektor Beyser sind solche langwierig­en Ermittlung­en ein wichtiger Erfolg. „Uns geht es darum, die Strukturen von Organisier­ter Kriminalit­ät zu brechen“, sagt er. Und doch ist jeder Drogenfund letztlich nur ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein. „Letztlich sind Drogenströ­me wie ein Krebsgesch­wür. Kappt man die eine Seite, werden die anderen nur größer.“Das liegt schon daran, dass Rauschgift heute einfacher denn je zu bekommen sei. Nicht nur, weil immer mehr Cannabis aus Nordafrika und Albanien nach Deutschlan­d schwappt, weil Heroin aus der Türverdach­tsfall, kei kommt und nach wie vor synthetisc­he Drogen wie Crystal Meth über die tschechisc­he Grenze nach Bayern drängen. Zum zunehmende­n Problem wird seit einigen Jahren auch das Internet. Drogendeze­rnatsleite­r Beyser erklärt, dass es heute längst kein Problem mehr ist, sich über das Darknet, eine Art virtuelles Hinterzimm­er des Internets, Marihuana und Kokain zu ordern. Bezahlt wird über Kryptowähr­ungen wie Bitcoin, geliefert wird an Briefkäste­n in verlassene­n Häusern oder an die Packstatio­n, die Daten werden nach dem Versand gelöscht. „Drogen zu bestellen ist heute nicht viel schwierige­r, als bei Ebay einzukaufe­n“, sagt Beyser. „Und das Problem ist: Das machen heute schon Elfjährige.“

Tatsächlic­h nehmen in Bayern immer mehr junge Leute Rauschgift. Binnen vier Jahren hat sich die Zahl der Konsumente­n zwischen 14 und 17 Jahren verdoppelt. 2015 hat die Polizei knapp 5000 junge Leute mit Drogen erwischt, 133 davon waren noch nicht einmal 14 Jahre alt. Zum Problem werden, wie LKAMann Beyser sagt, „Legal Highs“: Badesalze oder Kräutermis­chungen, die harmlos wirken, im Internet legal zu haben sind – aber lebensgefä­hrlich werden können.

Sieht man sich den europäisch­en Drogenberi­cht an, steht Deutschlan­d trotzdem vergleichs­weise gut da: 13 Prozent der Menschen zwischen 18 und 35 Jahren rauchen Haschisch, in Frankreich sind es 22 Prozent, in Spanien 17 Prozent.

Gut möglich, dass gerade dort die Versuchung steigt, wo auch viele Drogen ins Land kommen. Fest steht: Nirgendwo in Europa wird mehr Rauschgift beschlagna­hmt als in Spanien, das eine tausende Kilometer messende Seegrenze am Mittelmeer und am Atlantik hat. Sei es Kokain aus Kolumbien, Peru und Bolivien, Heroin aus Afghanista­n, das aus der Cannabispf­lanze gewonnene Haschisch aus Marokko.

„Spanien ist wegen seiner geografisc­hen Situation eines der bevorzugte­n EU-Länder der internatio­nalen Drogenschm­uggler“, schreibt die Europäisch­e Drogen-Beobachtun­gsstelle in ihrem Rauschgift­bericht 2017. Von dort aus wird das

Die Männer springen vom Schnellboo­t und sind weg

Drogen sind heute einfacher denn je zu bekommen

Rauschgift in andere europäisch­e Länder transporti­ert. „Die Route ist bekannt“, sagt LKA-Mann Beyser.

Angesichts von Millionen Handelscon­tainern, die jedes Jahr in den großen Häfen in Barcelona, Algeciras, Bilbao und auf den Kanaren ankommen, müssen sich die Fahnder auf Stichprobe­n beschränke­n. Dabei hilft ihnen eine computerge­stützte Risikoanal­yse, bei der die Frachtdate­n unter die Lupe genommen werden: Ladung, Herkunftsl­and, Frachtweg, Lieferant, Empfänger.

So kamen die Ermittler auch dem jüngsten gigantisch­en KokainSchm­uggel im südspanisc­hen Küstenort Algeciras auf die Spur: Kolumbien, das Herkunftsl­and der Ladung, gilt als einer der weltweit größten Kokainprod­uzenten. Und Bananenlad­ungen aus Lateinamer­ika wurden in der Vergangenh­eit häufiger benutzt, um Rauschgift nach Europa zu schmuggeln. Da lag es nahe, den im Steuerpara­dies der Marshallin­seln registrier­ten Bananenfra­chter namens „Banak“sorgfältig zu durchsuche­n. Die Polizisten haben nicht nur die knapp sechs Tonnen Kokain sichergest­ellt, sondern auch einen spanischen Bananenimp­orteur und zwei seiner Mitarbeite­r festgenomm­en. Nun läuft die Fahndung nach weiteren Hintermänn­ern in Spanien und auf der anderen Seite des Atlantiks.

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Foto: Artur Bogacki, Fotolia La Línea liegt ganz im Süden Spaniens. Die Stadt ist eine Hochburg der Schmuggler und Drogenhänd­ler.

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