Drei Kästchen, zwei Ringe, ein Pfund Fleisch
Mit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“präsentiert das Oberstufentheater des Gymnasiums ein Stück mit Weisheit, Witz und menschlichen Abgründen. Warum es sinnvoll ist, einige Passagen schon vorher zu lesen
Königsbrunn Am Ende von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“darf das Publikum herzhaft lachen. Da nehmen Portia und deren Kammerfrau Nerissa ihre beiden Ehemänner kräftig auf den Arm. Wo sind die zwei Ringe, die sie Bassanio und Gratiano jüngst gegeben hatten? In männlicher Verkleidung haben sie ihnen die Verlobungsgeschenke abgeluchst. Nun behauptet jede süffisant, den Ring habe ihr ein Mann gegeben, der letzte Nacht bei ihr geschlafen hätte. Erst dann löst Portia die Verwirrung auf. Die Paare liegen sich in den Armen, das Publikum im Rundling des Gymnasiums lacht und applaudiert den Akteuren des Oberstufentheaters.
Drei Kästchen – eines aus Gold, eines aus Silber, eines aus Blei – tragen ebenfalls zur Erheiterung des Publikums bei. Unter ihnen muss jeder wählen, der um die Hand der reichen Erbin Portia anhält. So hat es ihr Vater im Testament verfügt. Die Zuschauer verfolgen, wie sich der Prinz von Marocco und der Prinz von Arragon an die Prüfung wagen. In seiner letzten Inszenierung am Gymnasium lässt Dieter Ungelehrt die jungen Mimen diese Szenen im englischen Original spielen – wer also den shakespeareschen Wortwitz genießen will, sollte vorab den Text nachlesen.
Doch eine andere Sache dominiert das Stück: Es ist das Pfund Fleisch aus seinem Körper, das Antonio, der Kaufmann von Venedig, dem jüdischen Geldverleiher Shylock als Sicherheit für ein Darlehen einräumt. Dieses Pfund macht aus dem „Kaufmann“eine „dunkle Komödie“, führt zu menschlichen Abgründen. Schon als sie noch verhandeln, erfährt der Zuschauer, wie sehr Shylock darunter leidet, dass die Christen sein Gewerbe missachten und ihn heftig beleidigen.
Als Antonios Handelsschiffe in Stürme geraten und er die Schuld nicht zahlen kann, sieht Shylock die Gelegenheit zur Rache. Er will keinen Aufschub gewähren: Sein Schuldschein gebe ihm das Recht dazu und er will ein Pfund Fleisch
aus Antonio – das Herz. Er sei im Recht, bestätigt ein junger Rechtsgelehrter – die verkleidete Portia. Erst als Shylock schon das Messer zückt, hält Portia ein rettendes Argument dagegen. Das Blatt wendet sich. Shylock muss am Ende froh sein, dass er die Hälfte seines Besitzes behalten darf. Seinen Glauben muss er aufgeben, seine Tochter hat er eh schon an einen christlichen Edelmann verloren.
In den Szenen mit Shylock hat sich die Leichtigkeit der veneziani-
Lebensweise verflüchtigt. Hier dominieren Verletzungen, Rachegefühle, der Hang zum Geld und das Unvermögen, Gnade walten zu lassen. Die jungen Akteure bringen die anspruchsvollen Szenen mit Ernst und großem Können auf die Bühne. Das Publikum hält jetzt manches Mal den Atem an.
Der „Kaufmann“sei „das politisch umstrittenste Stück von Shakespeare“, merkt Ungelehrt an. Wurde es doch in der NS-Zeit benutzt, um Juden zu diffamieren. Doch er ist
überzeugt, dass Shakespeare in der Figur des Shylock nicht die Juden, sondern die im England seiner Zeit als Geldverleiher tätigen Puritaner ins Visier nahm: „Es ist auch ein Stück über den Frühkapitalismus.“Im Programmheft haben Ungelehrt und weitere Autoren viele Aspekte des Stücks behandelt.
Als Regisseur reize ihn die Mischung von Witz und Drama, sagt Ungelehrt. In seiner letzten Inszenierung wollte der pensionierte Lehrer für Englisch und Sozialkunschen
de „nochmals dem größten Theaterautor die Ehre erweisen“. Seit den frühen 90er Jahren hat er gut 25 Aufführungen mit Schülern auf die Bühne gebracht, darunter fünf Stücke von Shakespeare. Die 30 Mitwirkenden haben sich eineinhalb Jahre mit dem „Kaufmann“auseinandergesetzt – für eine Intensivwoche ging es sogar nach Venedig. I
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