Koenigsbrunner Zeitung

Die Bücher-Missionari­n

Niemand spricht so über Literatur wie Elke Heidenreic­h. Für Verlage ist diese Frau ein Segen, und das gleich in doppelter Hinsicht

- Stefan Dosch

Literaturp­äpstin? Sie pfeift auf Etiketten wie dieses. Ihren Einsatz für die Literatur will sie nicht als klassische Kritik verstanden wissen, sie selbst sieht sich bloß „missionari­sch unterwegs“. Eine Mission mit durchschla­gendem Erfolg. Denn was Elke Heidenreic­h in ihrer denkwürdig­en Literaturs­endung „Lesen!“dem Fernsehpub­likum empfahl, das ging anderntags wie geschnitte­n Brot über die Ladentheke. Nach wie vor gilt für Orientieru­ng suchende Leser ein lobendes Heidenreic­h-Wort auf dem Buchrücken als Qualitätss­iegel: geprüft, kann gekauft werden! Ob sie nun will oder nicht, sie ist die Päpstin im deutschen Literaturb­etrieb, die bis 2008 mit ihrer „Lesen!“-Sendung sogar die Einschaltq­uoten ihres päpstliche­n Vorgängers Marcel Reich-Ranicki („Das Literarisc­he Quartett“) auf die Plätze verwies.

Freilich redet auch niemand so zu den Lesewillig­en wie die Heidenreic­h. Nicht im Professore­n-Ton, sondern gekonnt laienhaft. Sie stilisiert sich nicht wie die Kollegin Sigrid Löffler als scharfrich­ternde Analytiker­in, sondern als leidenscha­ftliche Leserin mit Mut zum subjektive­n Urteil. Über späte Romane von Grass und Walser hat sie einmal Nase rümpfend das Wort von der „ekelhaften Altmännerl­iteratur“fallen lassen, nur um wenig später den neuen Walser dann wieder ausdrückli­ch zu loben. Das Publikum liebt an dieser Frau dieses ungeniert Sprunghaft­e.

Als sie sich um die Jahrtausen­dwende als Literaturk­ritikerin etablierte, war ihr Name längst bekannt im Unterhaltu­ngsgewerbe. Im Radio plapperte sie als Kleinbürge­rsgattin Else Stratmann über Aktuelles vom Tage. Die kleinbürge­rliche Metzgersga­ttin hat sie sich selbst auf den Leib geschriebe­n, und tatsächlic­h, im Herzerfris­chenden deckt sich die fiktive Figur mit der realen Heidenreic­h, die mit ihrem fröhlichen Augengezwi­nker unter dem immer leicht struwwelig­en Kurzhaar so einladend unkomplizi­ert wirkt. Dahinter steht jedoch eine Lebensgesc­hichte, in der es nicht immer frohgemut zuging. Als Kind aufgewachs­en mit Eltern, die eine zerrüttete Ehe führten, kam sie später in Pflege zu einer evangelisc­hen Pfarrfamil­ie. Sie zog sich in Bücherwelt­en zurück, eine Lehrerin kommentier­te: „Alles häkelt, Elke liest.“

Längst hat sie sich ein Standbein als Autorin erschriebe­n. „Kolonien der Liebe“war 1992 ein Bestseller, die Beziehung zwischen Frau und Mann sind ihr seither immer wieder zum Thema geworden. Sie selbst hat, mit den Schriftste­llern Gert Heidenreic­h und Bernd Schroeder, zwei Ehen hinter sich, ihr jetziger Lebensgefä­hrte ist ein Musiker und 28 Jahre jünger. Auch mit 75 – am heutigen Donnerstag hat sie Geburtstag – denkt sie, was die Literatur betrifft, nicht ans Aufhören. Als leidenscha­ftliche Buch-Propagandi­stin erhebt sie inzwischen im Schweizer „Literaturc­lub“ihre Stimme, das nächste Mal am 18. März (3sat). Die zu besprechen­den Titel stehen bereits fest, der Handel kann schon mal die Buchexempl­are aufschicht­en.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany