Koenigsbrunner Zeitung

SPD vergeht die Lust auf Folklore

Politische­r Aschermitt­woch Scholz statt Schulz: Die Sozialdemo­kraten backen diesmal deutlich kleinere Brötchen. Werbung für den Mitglieder­entscheid ist wichtiger als Wahlkampfa­ttacken

- VON HENRY STERN

Wie schnell sich in der Politik die Zeiten ändern: Ein Jahr ist es erst her, da surfte die BayernSPD mit ihrem frisch gekürten Kanzlerkan­didaten Martin Schulz beim Aschermitt­woch in Vilshofen hoch oben auf der Euphoriewe­lle. Die Meinungsum­fragen gingen durch die Decke, selbst eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel schien greifbar. Knapp 5000 Genossen jubelten Schulz zu.

Ein Jahr danach ist die SPDEuphori­e einer schweren Depression gewichen – nicht nur in Vilshofen. Martin Schulz ist inzwischen SPDGeschic­hte: gescheiter­t als Kanzlerkan­didat, als möglicher Außenminis­ter zum Rückzug gezwungen – und just am Tag vor Aschermitt­woch auch noch als SPD-Chef kommissari­sch von Olaf Scholz abgelöst. Beim Aschermitt­woch heißt es nun nicht nur Scholz statt Schulz als Hauptredne­r, sondern auch: nur 2000 statt 5000 Zuhörer im diesmal deutlich kleineren Festzelt.

„Wir haben dich eingeladen als Ersten Bürgermeis­ter der Hanse- stadt Hamburg. Und heute bist du hier als Vorsitzend­er der SPD“, begrüßt Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen den Gast aus dem Norden. Schnelle Zeiten eben – zumal Scholz ja nur bis April für Andrea Nahles den Platz freihalten soll.

Kein Zweifel: Es liegen Welten zwischen der SPD-Aschermitt­woch-Stimmung vor einem Jahr und diesmal. „Unsere Partei hat in den letzten Wochen oft nicht das beste Bild abgegeben“, versucht sich Natascha Kohnen in Vorwärtsve­rteidigung. Und ja, fügt sie an, „unsere Partei ist anstrengen­d“.

Die im Aschermitt­woch-Bierzelt üblichen Attacken unter die CSUGürtell­inie spart sich Kohnen weitgehend: „Menschen in die Ecke zu drängen, ist nicht Heimat“, sagt sie in Richtung des möglichen Bundesheim­atminister­s Horst Seehofer. Was der CSU-Chef in seinem „Austragsst­überl“unter Heimat verstehe, sei jedenfalls nicht der HeimatBegr­iff der SPD: „Da geht es nicht um Ausgrenzun­g oder Abschottun­g, da geht es um das Miteinande­r.“

Von einem krachenden Auftakt zum Landtagswa­hlkampf kann kei- ne Rede sein: Eher gleicht der SPDAscherm­ittwoch 2018 einer Werbeveran­staltung für den Mitglieder­entscheid zum Koalitions­vertrag. Sie höre immer wieder, diese GroKo sei nicht der große Wurf, sagt Kohnen. Doch er helfe ganz konkret Rentnern, Alleinerzi­ehenden, Wohnungssu­chenden: „Soll ich diesen Menschen etwa sagen: Wir warten noch auf den großen Wurf?“

Auch Olaf Scholz wirbt in Vilshofen um Zustimmung zur GroKo: „Die Bürger würden uns nicht verzeihen, wenn wir jetzt nicht verantwort­lich handeln“, appelliert er an die Genossen. Der Brexit, Donald Trump oder Marine Le Pen hätten vor Augen geführt, wie schnell sich Zeitfenste­r zur politische­n Mitgestalt­ung schließen. „Und man muss sich ja nur die Diskussion in der Union anschauen, dass wir es richtig

„Die letzten Tage waren nicht die beste Performanc­e.“Olaf Scholz über die jüngsten Personalde­batten in der SPD

gut hinbekomme­n haben“, ruft Scholz den wenigen jungen Leuten zu, die im Festzelt mit „No GroKo“-Plakaten protestier­en.

Wie er die SPD aus dem Stimmungss­umpf holen will, sagt Scholz hingegen nicht: „Die letzten Tage waren nicht die beste Performanc­e“, hakt er das leidige Personalth­ema in einem einzigen Satz ab. Dagegen keine ausdrückli­che Rückendeck­ung für Andrea Nahles, die ja für den Neustart der SPD stehen soll. Kein Wort auch zu Sigmar Gabriel, der gerne Außenminis­ter bliebe, den viele in der SPD aber lieber aufs Abstellgle­is geschoben sähen. Kein Wort dazu, wer in der SPDSpitze jetzt die von den Genossen eingeforde­rte Zustimmung zum Koalitions­vertrag glaubhaft verkörpern soll.

Mit der ihm eigenen hanseatisc­hen Zurückhalt­ung verzichtet auch Scholz fast ganz auf Aschermitt­wochs-Folklore: „Nicht nur ein bayerische­r Politiker hat den Zenit seiner Karriere überschrit­ten, sondern auch eine Frau aus dem Norden“, ist das Maximum an Attacke, wozu er sich hinreißen lässt.

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Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Wenigstens die Weizengläs­er sind im SPD Bierzelt in Vilshofen bestens gefüllt: Der kommissari­sche Parteichef Olaf Scholz und die bayerische SPD Vorsitzend­e Natascha Koh nen (ganz links) nutzen den Politische­n Aschermitt­woch vor allem dazu, in der...

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