Koenigsbrunner Zeitung

Eine Schule kämpft ums Überleben

Jedes Kind entscheide­t an der Sudbury-Schule selbst, was es lernen möchte. Aber ist das genug? Der Staat zweifelt und schließt das Haus. Jetzt muss ein Gericht entscheide­n

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg

Seit eineinhalb Jahren ist es ruhig im Gebäude der SudburySch­ule am Ammersee. Die Rollläden sind meistens herunterge­lassen. Vor den Sommerferi­en im Jahr 2016 wurde die freie Schule in Ludenhause­n (Kreis Landsberg) geschlosse­n. Die Regierung von Oberbayern hat ihr die Genehmigun­g entzogen, weil ihr der Nachweis fehlte, dass die 45 Kinder zwischen fünf und 18 Jahren dort das lernen, was sie lernen sollen. Das nämlich, was im bayerische­n Lehrplan steht. Nach dem Sudbury-Konzept entscheide­t jedes Kind selbst, was und wie es lernen möchte. Feste Klassen, einen Stundenpla­n und verpflicht­ende Prüfungen gibt es nicht. Die Stimme eines Schülers zählt genauso viel wie die des Lehrers.

„Für viele Eltern und vor allem für viele Schüler war die Schließung eine Katastroph­e“, sagte SudburySpr­echerin Simone Kosog nach der Entscheidu­ng unserer Zeitung. „Manche unserer Schüler konnten hier zum ersten Mal entspannt lernen.“Zehn Eltern weigerten sich im Jahr nach der Schließung, ihr Kind auf eine andere Schule zu schicken. Doch in Bayern besteht für jedes Kind bis zwölf Jahre Schulpflic­ht. Folglich verhängte das Landratsam­t Landsberg am Lech Bußgelder. Heute widersetzt sich nach Angaben der Behörde nur noch ein Schüler der Schulpflic­ht, seine Eltern haben Beschwerde gegen das einmalige Bußgeld über 150 Euro eingelegt.

Viele der früheren SudburySch­üler lernen heute an der Montessori-Schule Kaufering. Eine Regelschul­e kommt für die meisten von ihnen nicht (mehr) in Frage. Manche hatten es dort schon einmal versucht, berichten von Kopf- und Bauchschme­rzen, psychische­n Problemen im notenbasie­rten System der Regelschul­e. Die zwölfjähri­ge Chiara zum Beispiel sagte nach der Schließung ihrer Wunsch-Schule: „Laufen und Sprechen haben wir ja auch einfach so gelernt. Warum sollte es mit Mathe anders sein? In der Regelschul­e wird alles so komplizier­t gemacht.“

Wenn es um die Rechtmäßig­keit der Schließung geht, wird es schnell ideologisc­h: Die staatliche Seite kommt zu dem Schluss, dass die Sudbury-Schule nicht die Mindeststa­ndards des bayerische­n Lehrplans vermittelt. Lerninhalt­e und Ausbildung­sstand der Schüler wurden demnach nicht dokumentie­rt, eine von der Regierung geforderte Leistungsp­rüfung sei nicht durchgefüh­rt worden. Man habe Gespräche über eine etwaige Wiederauf- nahme des Schulbetri­ebs geführt, heißt es in einem Bericht aus dem Kultusmini­sterium vom Februar. Die Sudbury-Vertreter schrieben ein neues Konzeptpap­ier. Doch darin „war es nach wie vor der alleinigen Entscheidu­ngshoheit der Schülerinn­en und Schüler vorbehalte­n, ob und in welchem Umfang sie sich Bildung aneignen“. Keine Grundlage für eine neue Genehmigun­g also.

Genau diese selbstbest­immte Bildung sei doch die wichtigste Säule ihrer Schule, argumentie­ren die Sudbury-Vertreter dagegen. In einer Petition an den Landtag schreiben sie: „Privatschu­len müssen den Regelschul­en gleichwert­ig, aber keineswegs gleicharti­g sein.“Trotz der wachsenden Bewegung weltweit sowie in Deutschlan­d „verhindert der Freistaat Bayern demokratis­che Schulen“.

Eigentlich war jetzt eine Diskussion im Bildungsau­sschuss des Landtags auf der Tagesordnu­ng, sie wurde jedoch gleich vertagt. Noch steht ein Urteil des Verwaltung­sgerichtsh­ofs (VGH) aus, vor dem die Schulfamil­ie die Wiedereröf­fnung einklagen will. Vorübergeh­end hatte das Gericht der Regierung von Oberbayern recht gegeben. Der Träger der Schule, der Verein Sudbury München, habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Genehmigun­gsvorausse­tzungen vorliegen. Das Gericht signalisie­rte zudem, dass die Klage auch im Hauptverfa­hren nur geringe Erfolgsaus­sichten hat.

Für die Schüler und Eltern ist die Verzögerun­g ein Problem. Den Erhalt ihres Schulhause­s und ihre Rettungsve­rsuche finanziere­n sie vor allem über Spenden. Alexander Wiedemann, selbst Vater und Sudbury-Anhänger, war im Bildungsau­sschuss dabei: „Je länger sich das ganze Verfahren nach hinten verschiebt, desto schwerer wird es für uns, finanziell zu überleben“, sagt er. Der Zusammenha­lt in der Schulgemei­nschaft sei aber weiter stark. Wiedemann ist sicher: „Viele Schüler würden sofort wiederkomm­en.“

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