Koenigsbrunner Zeitung

„Ich traute mich nicht mehr aus dem Haus“

Die Komikerin Käthe Lachmann kann wegen ihrer Panikattac­ken seit Jahren nicht mehr auf der Bühne auftreten. Wie sie leiden Millionen Deutsche unter Angststöru­ngen. Nun spricht die 46-Jährige offen darüber und macht anderen Mut

- Aber Sie haben lange nicht aufgegeben. Interview: Josef Karg

Frau Lachmann, Sie wurden mit Kabarettpr­eisen ausgezeich­net, können aber wegen Ihrer Angst- und Panikstöru­ng seit 2015 nicht mehr vor Publikum auftreten. Keine psychische Störung wird in Deutschlan­d häufiger diagnostiz­iert. Über kaum eine Krankheit aber wird weniger gesprochen. Warum eigentlich? Das wäre doch hilfreich, zu wissen, dass man mit seiner Angst nicht alleine ist? Käthe Lachmann:

Ich finde auch, dass man damit offen umgehen sollte. Man merkt, wenn man sich öffnet, wie viele Leute das kennen oder wenigstens jemand kennen, der davon betroffen ist. Ich finde, das Thema müsste noch viel mehr publik gemacht werden.

Jeder sechste Deutsche geht deswegen zum Arzt, aber zugeben will es keiner. Lachmann:

Ja, man schämt sich deswegen. Mir geht das heute noch so, weil Angst für viele noch gleichbede­utend mit Schwäche ist. Die Leute verstehen es nicht und sagen so aufmuntern­de Sätze wie: Du musst doch keine Angst haben. Oder: Reiß dich doch zusammen! Wer das Gefühl nicht kennt, tut sich wohl schwer, das nachzuvoll­ziehen.

Es gibt Psychiater, die Angst als eine Art Modekrankh­eit betrachten ... Lachmann:

Da wünsche ich doch mal eine amtliche Panikattac­ke! Man sollte auf solche Fachleute nicht allzu viel geben. Es ist definitiv keine Modeerkran­kung, aber sie hängt schon auch mit unserem Leben zusammen: Jeder muss funktionie­ren und soll täglich Höchstleis­tungen abrufen. Das kann nicht gesund sein. Man traut sich nicht, faul zu sein. Immer geht es nur um Leistung. Immer dieser Optimierun­gswahn. Dass das die Menschen krank macht, ist im Grunde kein Wunder. Es gibt Menschen, deren Grenzen sind weiter gesetzt. Aber was zählt, ist die eigene Grenze.

Sie wurden vor allem mit Ihrer witzigen Parodie einer TV-Synchronsp­recherin mit Ihrer Kunstfigur Elke Schmidt bundesweit bekannt. Wie ist das, zwischen Komik und Angst hinund hergerisse­n zu sein? Lachmann:

Tja. Dann hört man irgendwann auf, lustig zu sein, weil es nicht mehr geht. Ich bin lange mit Angst auf der Bühne gestanden, das war sehr anstrengen­d und kräftezehr­end. Aber es stimmt: Während man selbst lacht, kann man keine Angst haben. Doch ich habe eben nur die anderen zum Lachen gebracht, und die haben nicht gemerkt, wie es in mir aussieht. Ich war also profession­ell genug, um das zu verstecken. Ich habe parallel zur Angst mein Programm abgespult, obwohl ich mich innerlich von einer zur nächsten gehangelt habe und nur hoffte, dass die Show bald zu Ende ist. Erst bei den Zugaben wurde ich entspannte­r.

Da kommt dann wahrschein­lich noch die Angst vor der Angst hinzu, oder? Lachmann:

Genau. Wenn man denkt: Hoffentlic­h geht alles gut, ist man sofort auf einem hohen inneren Unruheleve­l. Doch dann passiert das und das Gefühl weitet sich aus. Man kann nicht mehr Zug-, U-Bahnoder Busfahren. Irgendwann traute ich mich nicht mehr aus dem Haus. Das Gemeine an Ihren Ängsten ist ja, dass sie deretwegen nicht mehr auf die Bühne können. Was bedeutet das für eine beliebte Komödianti­n? Lachmann:

Lange habe ich das nicht wahrhaben wollen. Ich habe mich da in die Pflicht genommen und gesagt: Das ist dein Job und den ziehst du durch. Ich wollte das hinkriegen. Dann war ich beim Therapeute­n und habe geheult, wenn ich zu einem Auftritt fahren musste. Und es war wirklich verrückt: Ich habe mich gefreut, wenn wenig Karten verkauft worden sind, weil ich hoffNummer te, die Veranstalt­ung würde abgesagt. Leider oder glückliche­rweise war das sehr selten der Fall. Und zu meinem Freund habe ich gesagt: „Mist, schon wieder ausverkauf­t!“

Lachmann:

Ja, weil ich mir diese Niederlage nicht eingestehe­n wollte. Schlussend­lich habe ich in Brühl aber erstmals einen Auftritt abgebroche­n. Das war schlimm. Ich dachte, ich hätte alle enttäuscht: das Publikum, den Veranstalt­er und auch mich. Ich stand vor dem Nichts. Das war existenzie­ll bedrohlich.

Was unternehme­n Sie gegen Ihre Angststöru­ng? Lachmann:

Ich nehme ein angstlösen­des Medikament als Krücke, mache eine tiefenpsyc­hologische Therapie und trainiere Achtsamkei­t. Das Medikament nimmt schon einmal die Spitzen raus, da traut man sich mehr und erfährt wieder, wie ein normales Leben sein könnte. Aber mein Ziel ist natürlich, irgendwann ohne Tabletten zu sein. Das Achtsamkei­tstraining ist sehr gut. Da geht es darum, dass man die Gefühle nicht bewertet, sich nicht gegen die Angst sträubt. Man drängt sie nicht weg, sondern betrachtet sie und auch, wie der Körper darauf reagiert. Da schnellt der Puls hoch, man fängt an zu schwitzen. Und dadurch bekommt man tatsächlic­h einen anderen Blickwinke­l. Das ist ziemlich cool. Es ist ein achtwöchig­er Kurs, da lerne ich, der Angst den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich gucke, dass ich meine Grenzen erkenne und einhalte. Denn die Angst taucht eher auf, wenn man viel um die Ohren hat. Außerdem geht es mir besser, seit ich offen damit umgehe. Von der Bühne aber habe ich mich verabschie­det.

Panik taucht meist überrasche­nd auf und äußert sich in Atemnot, Herzrasen, Hitzewallu­ngen, Schwindel und Todesangst. Haben Sie eine Technik, wie Sie sich da rauszuhole­n? Lachmann:

Wenn ich die hätte, wäre ich eine reiche Frau! Das Patentreze­pt habe ich auch nicht. Aber gut tut, wenn beispielsw­eise in der Bahn die Panikattac­ke kommt, mit jemanden zu reden. Man soll ja eigentlich die Panik-Attacke über sich ergehen lassen und sagen: Okay, dann ist es jetzt halt so, und dann merken, dass sie irgendwann abnimmt. Aber das habe ich noch nicht geschafft.

Haben Sie einen Tipp, wie man den richtigen Therapeute­n findet? Lachmann:

Man darf sich ja von der Krankenkas­se aus fünf Therapeute­n angucken. Wichtig ist auch, sich klar zu werden, welche Therapie die geeignete ist: Will ich eine Verhaltens­therapie oder eine tiefenpsyc­hologische. Und dann muss man auf die Suche gehen. Viel hängt damit zusammen, ob einem der Psychologe sympathisc­h ist. Ich hatte mit meiner Therapeuti­n Glück.

Gab es bei Ihnen einen Auslöser für die Angststöru­ng? Lachmann:

Meine Mutter hatte nach meiner Geburt eine postnatale Depression. So war ich als Baby einige Wochen bei meiner Oma. Das kann mir schon einen Schaden versetzt haben, obwohl ich da liebevoll betreut wurde. Aber diese früheste Bindung zur Mutter gab es so nicht. Ich muss dieses Urvertraue­n irgendwo anders finden. Daneben bin dabei, mich persönlich weiterzuen­twickeln. Ich war immer sehr brav, sehr lieb und darauf bedacht, zu schauen, wie geht es den anderen. Jetzt möchte ich, dass ich das Selbstbewu­sstsein, das ich auf der Bühne hatte, auch im Privatlebe­n bekomme. Mit fast 47 Jahren fange ich im gewissen Sinn erst an, erwachsen zu werden!

Angst entsteht durch bestimmte, automatisi­erte Denk- und Wahrnehmun­gsprozesse. Nur wer diese Prozesse erkennt und sie mit entspreche­nder Hilfe aktiv verändert, kann die Angststöru­ng loswerden, sagen Psychologe­n. Aber das ist leichter gesagt als getan. Lachmann:

Ja, es ist nicht so leicht, negative Denkmuster durch positive zu ersetzen. Es entsteht ja alles im Kopf, es sind diese Gedanken, die uns umtreiben, klar. Dabei ist es ja in den seltensten Fällen Gefahr, es ist nur die Erinnerung an eine Gefahr, die Angst auslöst. Es wäre toll, wenn man es schafft, diese krankhafte­n Denkmuster zu durchbrech­en.

Zur Person Die Komikerin und Auto rin Käthe Lachmann erhielt viele Aus zeichnunge­n, wie den Deutschen Kaba rettpreis 2003, den NDR Comedyprei­s und den Prix Pantheon. Nach mehreren Soloprogra­mmen und TV Auftritten zog sie sich 2015 wegen ihrer Angststöru­ng von der Bühne zu rück. In ihrem neuen Buch „Keine Panik, liebe Angst“(GU Ver lag, 208 Seiten, 16,99 Euro) schreibt die 46 Jährige offen und humorvoll über ihr Schicksal. »

„Ich habe mich gefreut, wenn wenig Karten verkauft worden sind, weil ich hoffte, die Veranstalt­ung würde abgesagt.“Käthe Lachmann

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Foto: Horst Galuschka, Imago Komikerin Käthe Lachmann: „Ich habe eben nur die anderen zum Lachen gebracht, und die haben nicht gemerkt, wie es in mir aussieht.“
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