Wenn Vergangenheit verpackt wird
In der Severinskapelle im Gefängnis steht die Einrichtung in Kisten zum Abtransport bereit. Was die Künstler Bruno Wank und Torsten Mühlbach damit sagen wollen
Zu diesem Ort hatten nur wenige Zutritt und die meisten unfreiwillig. Mitten im ehemaligen Gefängnis an der Karmelitengasse haben die beiden Künstler Bruno Wank (Görisried) und Torsten Mühlbach (München) ihre Installation zum diesjährigen Aschermittwoch der Künstler aufgebaut. Sie trägt den merkwürdigen Titel „Bitte stehen lassen! (Wird Montag abgeholt)“und thematisiert den Übergang von einem zum anderen Zustand. Das Künstlerduo bezieht es nicht nur auf die Zukunft der seit dem Umzug in den Neubau nach Gablingen leer stehenden Justizvollzugsanstalt, sondern auch auf jeglichen menschlichen Neuanfang, wenn Schuld das Leben belastet.
Die weiß gekalkte Severinskapelle im Gefängnishof haben Wank und Mühlbach vollgestellt mit roh gezimmerten Transportkisten. Darin eingepackt sind die Ausstattungsgegenstände des Sakralraums: die Bänke, der Altar, das Kreuz, die Bibel, die Leuchter, der Kelch und die Hostienschale, das Weihwasserbecken. Was jeweils im hölzernen Gehäuse steckt, verzeichnen Piktogramme in einer vereinfachten Bildsprache. Fast alles liegt zum fiktiven Abtransport mit dem Gabelstapler bereit. Pfeile zeigen an, wie die Kisten zu stellen sind, mitunter warnt die Aufschrift vor Zerbrechlichem.
Zugleich entziehen und verraten die Kisten ihren Inhalt, so passgenau sind sie gezimmert und beschriftet. Sie wecken eine Erinnerung, die nur wenige Betrachter konkret von diesen Objekten gewonnen haben. Wer saß schon im Gefängnis ein? Trotzdem scheint völlig klar zu sein, welche Stücke darin geborgen sind. Bei den Gefäßen erlauben die Künstler einen Einblick. Frei geblieben ist das zentrale große Kreuz in der Apsis der Kapelle. Der Kasten lehnt in zwei Hälften zu beiden Seiten, auch schützende Decken liegen bereit.
Doris Kettner, die Kuratorin der Installation, bringt dazu die Begriffe Vergeben und Vergessen ins Spiel. Sie dürften im Gefängnis zusammen mit dem Willen zum Neuanfang im Vordergrund gestanden sein. Allerdings wurden auch diejenigen vergessen, die hinter den Mauern verschwanden. Was bei den Opfern stärker in Erinnerung blieb, waren die Taten. Bestenfalls konnten diese den Tätern vergeben.
Vergessen wurde die Severinskapelle seit das Karmeliterkloster 1807 geräumt und 1814 zum Gefängnis umgewandelt worden ist. Sie diente als Wasch- und Badehaus und wurde erst 1970 wieder konsekriert. Welche Position wird die Kapelle einnehmen, wenn die Mauern fallen und sie frei im Quartier steht?
Draußen im Hof für den Freigang stehen weitere Kisten. Die Piktogramme zeigen ein Henkerbeil, einen Galgen und eine Granate. Tatsächlich stand hier bis 1932 die Guillotine und eine ebenfalls verpackte Stele erinnert an die hier Hingerichteten. Wie mag es späteren Häftlingen zumute gewesen sein, die ihre Runden drehten? Prof. Gerda Riedl, Hauptabteilungsleiterin im bischöflichen Ordinariat, hat das Foto des Priesters Bernhard Heinzmann dazugelegt; er saß hier seit 6./7. Januar 1941 ein, weil er standhaft auf die Unvereinbarkeit des Glaubens mit dem Nationalsozialismus gepocht hatte. Anstatt freizukommen, wie er hoffte, wurde er zu Karfreitag, 11. April 1941, als Schutzhäftling ins KZ Dachau überstellt und 1942 mit einem Invalidentransport („obwohl er nicht ernstlich krank war“) nach Schloss Hartheim zur EuthanasieErmordung gebracht. Heinzmann starb am 20. September 1942.
Einbezogen in das Kunstprojekt und seine vielschichtige Konzeption war Prälat Karlheinz Knebel, Bischofsvikar für Kunst und Kultur, der am 4. November 2017 zu früh starb. Die Situation des Übergangs wurde zu seinem eigenen Thema. Die Installation in St. Severin lässt auch fragen, wohin die Kirche von der Zeit transportiert wird, wie sie sich mobil für die Zukunft macht. Befand sie sich womöglich auch in Gefangenschaft? Was sollte sie nicht vergessen, was schon? Was hat sie (sich) zu vergeben?
Zur Ausstellung gehört auch ein Kreuzweg, der die alten biblischen Inhalte in eine zeitgemäße Sprache übersetzt. Auf den rohen Holzplatten sind die Stationen des Leidenswegs Jesu mit Piktogrammen beschrieben – reduziert und rätselhaft für eine religiös sprachlose Zeit.
Zugänglich ist die Installation in der ehemaligen JVA Karmelitengasse 12 am Wochenende, 17. und 18. Februar, je weils von 14 bis 17 Uhr. Am Samstag um 15 Uhr liest der Schauspieler Klaus Müller aus Samuel Becketts letztem Text, am Sonntag um 15 Uhr spielt der Gi tarrist Stefan Barcsay zeitgenössische Musik. Zum Projekt von Bruno Wank und Torsten Mühlbach erscheint eine Bro schüre.