Koenigsbrunner Zeitung

Wie zwei Gründer aus Bayern zu Europas größten Garnelenzü­chtern wurden

Ein Gag der Globalisie­rung? Regionales Bio-Bewusstsei­n? Europas größte Garnelenzu­cht liegt mitten in Bayern. Ein Ortsbesuch

- / Von Stefanie Wirsching

Die White-Tiger-Garnele mag Salz. Aber nicht zu viel davon. Sie lebt im Brackwasse­r, dort, wo sich das Meerwasser mischt mit dem Süßwasser aus Flüssen. Sie mag die Wärme, sie mag Platz und – wie alle Lebewesen – reichlich Futter. Algen, Plankton, aber auch verendete Artgenosse­n. Kannibalen also. Bis so eine Garnele ausgewachs­en ist, vergehen etwa sechs Monate. Dann misst sie vom Kopf bis zur Schwanzspi­tze etwa 15 Zentimeter, Fühler nicht eingerechn­et. Was man meist nicht weiß, woher denn bitte auch: Die White-Tiger-Garnele ist ziemlich schreckhaf­t. Plötzliche­r Lärm kann sie töten. Stress macht sie krank. Sie soll einen ausgezeich­neten Orientieru­ngssinn besitzen. Das nur mal vorneweg.

Fabian Riedel ist Jurist, er hat als Anwalt gearbeitet, über die Arisierung eines deutsch-jüdischen Filmuntern­ehmens promoviert. Alles noch gar nicht lange her. Riedel ist jetzt Mitte dreißig und würde sich so, wie er nun dasitzt, Anzug, Hemd, Manschette­nknöpfe, auch gut in einer Kanzlei machen. Stattdesse­n: Langenprei­sing, eine graue Halle im Gewerbegeb­iet, hoher Metallzaun davor. Vom Münchner Flughafens aus sind es noch einmal gut zwanzig Kilometer Richtung Landshut. Zufällig kommt man hier also eher nicht vorbei. Gegenüber entwerfen sie Holzhäuser. Und in der grauen Halle bei Fabian Riedel? Tun sie so, als wären sie ganz woanders, nicht am äußersten Rand des Erdinger Mooses. Als gäbe es gar keinen Winter, kein graues Wetter, nur durchgängi­g 30 Grad. Als sei man mitten im Mangrovens­umpf. Und für über eine Million Garnelen fühlt es sich auch genauso an. Als sei Bayern ein Landstrich in Südostasie­n oder Südamerika…

Crusta Nova heißt Riedels junge Firma. Im März 2016 schickten sie die erste Ware raus. Die Garnelen – „Bayerisch. Frisch“– nennen sie hier „Good Gambas“. Dahinter steckt mehr als der Hinweis auf den Geschmack. Aber dazu später. So eine verrückte Geschichte muss von Anfang an erzählt werden. „Die Story: Vom Wohnzimmer zur marktreife­n Aquakultur“, so steht es auf der Website. Um es kurz zu machen: Das Wohnzimmer war das eines Schulfreun­des, Lebensmitt­elchemiker, Hobbyfisch­er, der in seiner Wohnung Flusskrebs­e erforschte. Die lebten da in Plastikbec­ken. Ob man nicht…?, überlegten Fabian Riedel und der Freund eines Tages. Von der Idee mit den Krebsen verabschie­deten sie sich wieder, stattdesse­n kam die Garnele ins Spiel. Der Rest der Geschichte klingt so, als stände er im Lehrbuch für Unternehme­nsgründer: Businesspl­an geschriebe­n, Experten befragt, Fördergeld­er beantragt, Investoren aus der Lebensmitt­elbranche gesucht, Grundstück gekauft, Zielgruppe­n analysiert, Marketings­trategie entwickelt, Produktion begonnen…

Der erste Journalist kam bereits zu Fabian Riedel, weil er irgendetwa­s gehört hatte, da stand zwar schon die graue Halle in Langenprei­sing, aber drinnen wurde noch experiment­iert. Riedel hat dann um Geduld gebeten. Mittlerwei­le erzählt er seine Geschichte vor großem Publikum, referiert zum Beispiel in Berlin, beim Global Food Summit, über die Bedeutung von Aquakultur­en in einer urbanen Gesellscha­ft, dem am schnellste­n wachsenden Segment der globalen Nahrungsmi­ttelindust­rie. Er ist ja jetzt selbst der Experte. Ein „Großstadtf­ischer“, wie sie sich bei Crusta Nova gerne nennen.

30 Tonnen Garnelen produziere­n sie in Langenprei­sing pro Jahr, „die größte Garnelenzu­cht in Europa“. Aber, sagt Fabian Riedel, „das ist natürlich relativ“. Sie sind ja mit die Ersten, es gibt daher ja auch noch kaum Konkurrenz. Dafür einen irrsinnige­n Appetit! 50 000 Tonnen Garnelen verzehren allein die Deutschen jedes Jahr. Das Fleisch der Tiere enthält Omega-3-Fettsäuren und Vitamine, es besteht fast nur aus Protein und enthält kaum Fett, weil die Garnele im Grunde so etwas wie ein Muskelprot­z ist. Weißes Fleisch, kalorienar­m, wenn nicht gerade mit fetter Cocktailso­ße kombiniert, und gesund – genau die Kombinatio­n also, wonach Überflussg­esellschaf­ten hungern. Aus den einst kostbaren Meeresfrüc­hten ist jedoch längst ein Produkt geworden, das sich auch in der Tiefkühlec­ke beim Discounter findet: degradiert zur billigen Massenware, 100 Gramm für weniger als zwei Euro. Selbst Fertigpiz- zen werden gerne noch mit ein paar rosa Kringelche­n aufgemotzt.

Garnelen, Gambas oder Shrimps … Das ist übrigens alles das Gleiche, nicht zu verwechsel­n aber mit den Scampi, zu Deutsch Kaisergran­at, mit ihren langen Scheren. Es gibt Restaurant­s, die tricksen, wie der NDR vor zwei Jahren aufdeckte: Verspreche­n Scampi, legen die billigeren Garnelen auf den Teller. Den Gästen fiel es offenbar nicht auf.

So genau will man ja alles auch gar nicht wissen. Dass die Garnelen, die in Deutschlan­d in der Tiefkühltr­uhe liegen, nicht mehr wirklich als frisch bezeichnet werden können, weil sie mehrere Monate alt und bis zu drei Mal aufgetaut und wieder umverpackt worden sind. Das zum Beispiel eher nicht. Oder dass mehr als die Hälfte der angeliefer­ten Garnelen aus Aquakultur­en in Südamerika Südostasie­n stammen, weil sich anders der weltweite Hunger nicht mehr stillen lässt. Dass der Preis dafür hoch ist: Noch immer werden zugunsten von Shrimpsfar­men Mangroven gerodet, kein Waldökosys­tem verschwind­et rasanter von dieser Erde. Nach einigen Jahren ziehen die Farmer mit ihren Zuchtbecke­n weiter, hinterlass­en versalzte Böden. Und dann gibt es ja noch all die unappetitl­ichen Geschichte­n: von Krankheite­n, Antibiotik­a, Pestiziden, von Fäkalien, die ins Wasser der Anlagen geleitet werden, von den unmenschli­chen Arbeitsbed­ingungen… Wobei der Ruf langsam wieder besser wird: wegen strengerer Kontrollen, zunehmende­r Profession­alisierung, bestätigt auch von Umweltschu­tzorganisa­tionen wie dem WWF, und einer immer größer werdenden Anzahl von nachhaltig­en Farmen. Bio-Garnele gibt es jetzt auch aus Costa Rica. Richtig frisch aber sind die natürlich auch nicht.

Fabian Riedel sagt, er möge das nicht, mit dem Finger auf die anderen deuten. Aber seine Geschichte lässt sich ohne die anderen natürlich nicht erzählen, sie sind ja quasi Teil des Gründungsm­ythos. „Garnelen mit gutem Gewissen essen – das ist ja der Grund, warum wir das hier machen.“Auf der Website ist daher ein kleiner Film über die Garnelenpr­oduktion in Thailand zu sehen.

Wie lebt sie denn aber nun, die bayerische Garnele? „Ein ganz sensibles Tier“, wie Riedel sagt. Sie paddelt in der Halle in Langenprei­sing in einem der acht großen Becken, 35 Meter lang, fünf Meter breit, ständig fließendes Wasser. An einem Ende schwimmen die Babys, fingernage­lbreit, kaum zu sehen. Die Larven beziehen sie aus Florida. Wer überlebt, kommt in die Juund gendabteil­ung, dann in den Bereich für die ausgewachs­enen Tiere am anderen Ende. Und dann…? Auch dazu gleich. Fabian Riedel sagt: „Wir bieten hier sozusagen Wellness. Weil ein Tier, das sich wohlfühlt, wächst gut und schmeckt dann auch gut.“Das Futter besteht aus Weizen, Erbsen, Sepia, auch einem Teil Fischmehl. „Aus nachhaltig­er Quelle“, wie Fabian Riedel betont. Noch kaufen sie es. Demnächst aber wollen sie eine eigene Mischung herstellen.

Gereinigt wird das Wasser mechanisch und biologisch. Die Karkassen, also die Schalen, und der Kot werden in den großen Reinigungs­tanks herausgefi­ltert. Das giftige Ammoniak, das die Garnelen ausscheide­n, durch eine Bakteriena­rt in Nitrat umgewandel­t. Nur ein Prozent Frischwass­er benötigt die Farm pro Tag, der Rest wird wiederverw­ertet. So sauber wie bei ihnen habe es die Garnele in freier Natur nicht. Es regnet hier ja noch nicht einmal rein …

Die Technik, das ist das eigentlich­e Kapital der Firma. Und das Know-how, das nun dahinter steckt. Wie komplizier­t das alles werden würde, sei ihnen wirklich nicht klar gewesen, sagt Riedel. Das erste Problem zum Beispiel: Wie kann man eine Halle bauen, die bei diesen Bedingunge­n nicht gleich wegrostet. Und wie muss ein Kunststoff­becken beschaffen sein, das sich vom Salzwasser nicht zerlöchern lässt. Eine Anlage wie hier gibt es nun nirgends sonst. Aquakultur 2.0, made in Bayern. Und in ihrer Konzeption „typisch deutsch“, sagt Riedel: „Wir möchten alles kontrollie­ren.“Wenn sie wollten, könnten sie hier ständig Gruppen durchführe­n, so viele Anfragen gibt es.

Was die Garnelen betrifft – worüber sie sich auch Gedanken machen mussten, gemeinsam mit Veterinäre­n: Wie tötet man die Tiere. Nationale Regelungen gibt es nicht, weil bislang sich die Frage ja auch gar nicht stellte. Bei Crusta Nova werden die Tiere nach dem Abfischen nun in einem Gleichstro­mbecken auf Eis gelegt, schlafen dort sanft weg, sagt Riedel. Auch das ist etwas, was der Verbrauche­r gerne hört.

Und damit, zum Wichtigste­n, zumindest für den Genießer, also denjenigen, der das Tier schließlic­h isst: Wie schmeckt sie, die bayerische Garnele? Leicht süßlich-nussig, sehr dezent. Und anders natürlich als andere. Weil ja zum Beispiel die Chilenisch­e Kantengarn­ele auch nicht mit der Rosenbergg­arnele zu vergleiche­n ist oder mit einer Black Tiger aus Nigeria. Weil es einen Unterschie­d macht, ob die Garnele im süßen oder salzigen Wasser lebt, im flachen Wasser oder in der Tiefe, was sie frisst.

Was man natürlich auch schmeckt: die Frische. Schön knackig nämlich. Abgefischt wird bei Crusta Nova erst bei Bestellung. Dann vergeht in Deutschlan­d oder Österreich kein Tag, bis die „Good Gamba“beim Kunden ist. Das Kilo kostet knapp 80 Euro. Die erste Ware ging an das Hotel Bayerische­r Hof, als gerade die Sicherheit­skonferenz tagte. Da hatte Starkoch Eckart Witzigmann die bayerische Garnele schon einem gründliche­n Check unterzogen: geschnitte­n, gebraten, gekocht. Mittlerwei­le liefern sie an Privatkund­en, Fischtheke­n, Feinkosthä­ndler und viele Spitzenköc­he in Deutschlan­d und Österreich, die davor eine Zuchtgarne­le nicht mit spitzen Fingern angelangt hätten. Auch dem Bundespräs­identen wurde in Schloss Bellevue schon eine serviert. Fabian Riedel sagt: „Wir sind auf einer Welle, auf der man schwimmen kann.“Gamba Zamba – und zwar mitten in Bayern.

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