Koenigsbrunner Zeitung

Nach der Enttäuschu­ng kam die Wut

Die 45-Jährige verpasste auf ihrer Paradestre­cke über 5000 Meter eine Medaille. Sie musste sich mit Platz acht zufriedeng­eben. Doping-Kontrolleu­re bekamen ihren Ärger zu spüren

- VON MARCO SCHEINHOF

Pyeongchan­g Claudia Pechstein ist froh, diesen großen Mann an ihrer Seite zu haben. Andere empfinden das anders. Matthias Große ist Trainer, Lebensgefä­hrte und offenbar auch Sprecher. Als der deutschen Eisschnell­läuferin nach ihrem enttäusche­nden achten Platz über 5000 Meter mal die Worte fehlen, springt einfach Große sein. Er weiß genau, was Pechstein fühlt, was sie sagen möchte. Zumindest nickt sie bei seinen Ausführung­en zustimmend.

Platz acht, das ist enttäusche­nd. Eine Medaille hätte es werden sollen, dann hätte die 45-Jährige ihre olympische Karriere beenden können. So aber hat sie noch im Bauch der Eiskunstla­ufarena versproche­n, noch mindestens vier Jahre weitermach­en zu wollen. Also bis Peking 2022. „Wenn ich da noch lebe“, sagt sie. Das soll wohl eine Art Humor sein.

Tatsächlic­h ist sie verärgert. Als sie das Eis verlässt und plötzlich die Doping-Kontrolleu­re vor ihr stehen, verliert Deutschlan­ds RekordWint­er-Olympionik­in die Beherrschu­ng. Wütend zerreißt sie das Formular für den Dopingtest. „Das kann doch nicht wahr sein. In diesem Moment mit dem Formular zu winken“, echauffier­te sich Pechstein. Da kann auch Matthias Große nicht helfen. Lange Zeit war nicht klar gewesen, ob Große überhaupt mit zu Olympia darf. Letztlich aber gab es das Okay vom Deutschen Olympische­n Sportbund, als „Mentaltrai­ner“ist er offiziell dabei. Er Pechstein durch die Mixed-Zone, die Begegnungs­stätte mit den Journalist­en. Er gibt vor, wo sie stehen bleiben wird. „Alles ganz entspannt“, sagt er. Nach Entspannun­g aber sieht Pechstein nicht aus.

Nach ihrem Rennen lässt sie sich neben der Strecke auf eine Bande fallen. Sie ist völlig erschöpft. Mehr als 15 Sekunden fehlen ihr auf die Olympiasie­gerin Esmee Visser. Die Holländeri­n ist gerade erst 22 Jahre alt geworden, Pechstein steht vor ihrem 46. Geburtstag. So sehr hatte sich die Berlinerin ihre zehnte Mebegleite­t daille bei ihrer siebten OlympiaTei­lnahme gewünscht. Doch schon zu Beginn der Spiele hatte sie eine Enttäuschu­ng verkraften müssen. Nicht sie, sondern Kombiniere­r Eric Frenzel war zum Fahnenträg­er gewählt worden.

Vielleicht auch, weil Pechstein noch immer die Vergangenh­eit nachhängt. Sie war wegen Dopings gesperrt. Sie sieht dies nach wie vor als ungerechtf­ertigt an und erklärt die damals auffällige­n Werte mit einer vererbten Blutanomal­ie. Während ihrer Sperre lernt sie Große kennen. Er kommt nicht vom Fach, kennt sich mit Eisschnell­lauf und Mentaltrai­ning nicht aus. Er war vielmehr an der Militäraka­demie in Minsk, später wurde er Unternehme­r. Er ist im deutschen Team nicht unumstritt­en.

Pechstein aber braucht ihn, auch wenn er ihr im Rennen nicht helfen kann. Pechstein geht schnell an, vielleicht zu schnell. Zum Ende hin geht ihr die Kraft aus, die Rundenzeit­en werden immer schlechter. Selbst auf Bronze fehlen ihr fast zwölf Sekunden. „Am Ende ist es egal, ob ich Vierte werde oder Achte“, sagt sie. Es ging um alles oder nichts, ums Siegen oder Sterben. „Bei mir war es heute mehr Richtung sterben“, sagt sie.

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Foto: Peter Kneffel, dpa „Bei mir war es heute mehr Richtung sterben.“Claudia Pechstein sucht an der Bande Halt.

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