„Ich kenne den Menschen im Spiegel nicht mehr“
Ulli M. wollte keine Frau mehr sein und entschied sich für eine Hormonbehandlung. Ihre Stimme ist tiefer geworden, sie hat jetzt Bartwuchs, doch glücklich ist sie nicht. Vom schwierigen Weg einer Selbstfindung
Wenn Ulli M.* jetzt in den Spiegel schaut, erkennt sie sich nicht mehr, sagt sie. Sie? Oder er? Genau das ist das Problem. Die 34-jährige Augsburgerin ist zwar als Frau geboren. Doch der weibliche Körper war ihr schon immer fremd. Vor rund einem Jahr entschloss sich die Mutter einer Tochter, ein Mann zu werden. Die Entscheidung hatte sie sich nicht leicht gemacht. Auf dem mühsamen Weg zum Mann hat sie schon einiges geschafft. Doch jetzt zieht sie die Notbremse.
Als wir Ulli M. im April vergangenen Jahres für die erste Geschichte trafen, hatte die Frau mit dem Kurzhaarschnitt, den Piercings und Tätowierungen noch eine helle Stimme und ein zarteres Gesicht. Die vierjährige Tocher Mara* lebte noch bei ihr und dem Lebensgefährten. Jetzt, fast ein Jahr später, hat M. eine monatelange Hormonbehandlung mit vielen gesundheitlichen Beschwerden hinter sich. Sie gleicht einem jungen Mann. Die
„Ich brauche keine Hormone, um ich zu sein.“
Stimme ist tiefer. Auf Armen, Beinen und im Gesicht wachsen Haare, die sie regelmäßig entfernt. Das Körperfett verlagert sich jetzt mehr zum Bauch als an den Hüften. Im Ausweis, auf der Bank- und Versichertenkarte wird M. inzwischen als Mann geführt. Die so sehnlich herbeigewünschte Personenstandsänderung hat also geklappt. „Eigentlich müsste ich jetzt glücklich und zufrieden sein“, sagt Ulli M. Eigentlich. Sie ist es nicht.
„Ich kenne den Menschen im Spiegel nicht mehr. Das bin nicht ich. Da schaut mich ein Fremder an“, versucht sie zu erklären, was in ihrem Inneren vor sich geht. Auch den Tag, an dem ihr Personenstand offiziell in männlich geändert wurde, hatte sie sich komplett anders vorgestellt. „Aber ich bin aus dem Gericht raus und merkte, ich freue mich gar nicht, wie es Transmenschen in so einem Fall tun.“Richtig enttäuscht sei sie da von sich gewesen. Weitere Erfahrungen im Alltag machen ihr deutlich, dass sie sich als Mann unwohl fühlt. Etwa wenn Ulli M. sich nach dem Sport in der Herrenumkleide fehl am Platz vorkommt. Diese Unsicherheit, ob sie die Herren- oder Frauentoilette gehen soll. Inzwischen wählt sie wieder das Damen-WC. Ihre eigenen Reaktionen überraschen die Rettungssanitäterin. Während der Hormontherapie ging sie davon aus, endlich im richtigen Geschlecht anzukommen. Doch Fehlanzeige. „Ich muss ehrlich zu mir sein“, sagt sie. „Mir ist bewusst geworden: Ich brauche die Hormone nicht, um der zu sein, der ich bin.“Der? Also doch ein Mann?
„Nein“, sagt Ulli M und erklärt: „Der für der Mensch. Ich sehe mich weder als Frau noch als Mann. Ich bin ein Mensch.“Das habe nichts mit einer Identitätskrise zu tun, betont die Augsburgerin. „Ich bin ein nonbinäres Geschlecht. Das habe ich nun herausgefunden. Optisch bin ich maskulin, mein Körper ist weib- lich.“Die Hormonbehandlung brach sie jetzt ab. Sie will wieder die alte Ulli M. werden. „Ich bin froh, dass ich keine Geschlechtsumwandlung machen ließ.“Nur die Brüste, davon ist sie weiterhin überzeugt, die müssen weg. Die waren ihr schon immer zuwider.
Bereits im Alter von neun Jahren hatte sie ihrer Mutter verkündet: „Wenn ich mal Brüste bekomme, schneide ich sie ab.“Die Personenstandsänderung will M. rückgängig machen. „Ich bin genetisch gesehen eine Frau. Das werde ich auch immer bleiben.“Für die 34-Jährige bedeutet die Umkehr, dass sie ihre Therapie beim Psychologen verlängern muss. Er begleitet sie schon seit Monaten. „Ich muss dem Gericht zwei unabhängige psychologische Gutachten vorlegen, damit die Perauf sonenstandsänderung wieder geändert wird.“Das wird sicherlich klappen. Doch privat steht Ulli M. vor großen Problemen.
Die Tochter lebt längst beim leiblichen Vater. „Er bot an, Mara zu sich zu nehmen, bis sie in die Schule kommt, damit ich mich auf mich konzentrieren kann“, erzählt sie. Ihr Therapeut, mit dem sie alle Schritte bespricht, habe das begrüßt. Leicht sei ihr diese Entscheidung nicht gefallen. Die kleine Mara besuchte ab da regelmäßig Ulli M. Bis sie die Veränderungen an ihrer Mutter merkte. „Irgendwann fragte sie mich, warum ich auf einmal Haare im Gesicht und eine so tiefe Stimme habe.“Ulli M. habe versucht, es ihrer Tochter so kindgerecht wie möglich zu erklären. Aber die Vierjährige war verwirrt. „Plötzlich wollte sie nicht mehr zu mir und meinem Lebensgefährten.“
Ihrem Vater vertraute das Kind an, es habe keine Mama mehr. Ulli M. hat das schwer getroffen. Der nächste Schlag folgte: Der Lebensgefährte trennte sich. Für M. kam das überraschend. Er hatte sie bislang immer unterstützt, sagt sie. „Aber er kam nicht damit klar, sich an der Seite eines Mannes in der Öffentlichkeit zu zeigen. Er will nicht als schwuler Mann gelten.“Privat steht Ulli M. derzeit vor einem Scherbenhaufen. Aber sie sagt, sie musste diesen schweren Weg gehen. „Ich habe jetzt Klarheit, wer ich bin. Ich bereue nichts.“Doch die Scherben liegen da. Es wird noch dauern bis Ulli M. in ihrem neuen, ihrem richtigen Leben ankommt.