Die Botschaften der Fantastie Sein neuer Film „Shape of Water“ist der heiße Favorit im Oscar-Rennen. Guillermo del Toro über Monster, die Liebe und sein gefährdetes Leben
Die Amphibien-Kreatur, die in „Shape of Water“zum Objekt der Begierde Ihrer Protagonistin wird – sie ist viel mehr als ein bloßer Spezialeffekt…
Guillermo del Toro: Oh ja, unbedingt. Dieses Wesen ist mein männlicher Hauptdarsteller, deswegen ging es nicht einfach darum, am Computer einfach irgendeine Kreatur zu designen. Diese Figur ist Filmheld, Gott und Tier gleichermaßen, und es dauerte drei Jahre, bis sie die richtige Gestalt angenommen hatte.
Drei Jahre?
Del Toro: Das schüttelt man nicht mal eben aus dem Ärmel. Natürlich habe ich Erfahrungen damit, FantasieGeschöpfe für Filme zu erschaffen. Aber es besteht zum Beispiel ein riesiger Unterschied zwischen einem Amphibienmenschen wie Abe Sapien damals in „Hellboy“und nun dieser Kreatur in „Shape of Water“. Damals war die Herausforderung nicht so riesig, schließlich befanden wir uns in einer eindeutig definierten Comicbuchwelt. In diesem Fall nun musste das Wesen sich organisch einfügen in eine zwar leicht überhöhte, aber letztlich doch realistische Umgebung… Und es war mir ganz wichtig, dass wir kein seelenloses Wesen aus dem Computer sehen, sondern eine Figur aus Fleisch und Blut, die mit Sally und Richard Jenkins interagieren und kommunizieren kann, wenn auch nonverbal.
Dazu gehört auch eine Sexszene. Für ein Monster-Märchen ein eher ungewöhnlicher Aspekt …
Del Toro: Konventionelle „Schöne und das Biest“-Geschichten bestehen meist aus zwei Elementen: Die Prinzessin ist wunderschön und makellos – und das Biest ist grauenvoll, wird aber am Ende natürlich zum Prinzen, damit die beiden zusammen glücklich werden können. Das ist für mich letztlich eine furchtbar aseptische Weise, so eine Geschichte zu erzählen. Nichts finde ich langweiliger, als den oder die Geliebten auf ein Podest zu heben und zu verklären. Genauso, wie es mir zu platt ist, das so genannte Biest ins Perverse zu fetischisieren, um für einen pubertären Kick zu sorgen. Mich interessierte – bei allen märchenhaften und Fantasy-Aspekten des Films – eine realistische Liebesgeschichte zwischen zwei ganz normal unperfekten Partnern. Dazu gehört auch Sex.
Hat „Shape of Water“eine Botschaft? Del Toro: Liebe kennt keine bestimmten Formen und schließt nichts und niemanden aus, das ist vielleicht die Botschaft. Eine stumme Putzfrau, die morgens vor der Arbeit Eier kocht, Schuhe putzt und masturbiert, hat sie genauso verdient wie ein Amphibienwesen, das Katzen den Kopf abbeißt und sich niemals in einen Prinzen verwandelt. Denn eine echte Liebesgeschichte ist nur möglich, wenn man den anderen so akzeptiert, wie er ist, und keine Veränderung erwartet. Wenn das der Fall ist, kann die Liebe – genau wie Wasser – jeden Damm brechen und jedes Hindernis überwinden…
Warum spielt der Film eigentlich in den frühen 60er Jahren?
Del Toro: Ich finde diese Zeit hochinteressant, denn wenn heute in den USA Sätze fallen wie „Make America Great Again“, dann denken die, die so etwas sagen, genau an 1962 oder so, jedenfalls diese Nachkriegsjahre des Wirtschaftsbooms und des Überflusses. Alles drehte sich um die Zukunft und das Weltall, Kennedy saß im Weißen Haus, in jeder Garage stand ein Auto und die Vorstadthäuschen waren prall gefüllt mit Tiefkühltruhen, Küchenmaschinen, Lockenwicklern und Petticoats. Ein vor allem im Rückblick idealisiertes Amerika, in dem es einem nicht besser gehen konnte, wenn man ein weißer, heterosexueller, christlicher Mann war. Nur wenn man einer Minderheit angehörte, war es auch damals eben ziemlich furchtbar. Seine Karriere
Daher die Auswahl der Protagonisten! Del Toro: Genau. Eine stumme Frau, ein ungeouteter und in die Jahre gekommener Homosexueller, eine afroamerikanische Putzfrau, ein russischer Spion. All diese Menschen, die für das Arschloch, das derzeit in Amerika an der Macht ist, unsichtbar wären, sind es, die letztlich diesem geheimnisvollen Wesen zur Hilfe kommen…
Auch Fantasy-Filme können für Sie also unbedingt politisch sein?
Del Toro: Auf jeden Fall. Das habe ich schon vor vielen Jahren durch die Filme von George Romero oder David Cronenberg gelernt. Denken Sie nur an das „Texas Chainsaw Massacre“. Wer genau hinsieht, erkennt darin eine der großen gesellschaftspolitischen Geschichten des 20. Jahrhunderts. Und auch Märchen können politisch sein. Es gibt natürlich solche, in denen jedem etwas Schlimmes passiert, der seinen Eltern nicht gehorcht. Das sind die, die die bestehenden Strukturen bestätigen, was ja auch nicht unpolitisch ist. Und alle anderen sind eigentlich anarchistisch.
Fühlen Sie sich als mexikanischer Filmemacher eigentlich inzwischen in Hollywood angekommen?
Del Toro: Insgesamt schon, auch wenn ich natürlich nicht immer in Hollywood arbeite. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es nicht leicht war, als ich damals in den 90er Jahren in den USA ankam. Weil ich aus Mexiko kam, handelten eigentlich alle Drehbücher, die auf meinem Tisch landeten, von Stierkämpfern oder Drogendealern. So als würde man Cronenberg nur von Eishockey oder Ahornsirup erzählen lassen, weil er Kanadier ist. Die Erfahrung war relativ frustrierend. Doch zum Glück haben wir im Laufe der Jahrzehnte gewisse Barrieren durchbrochen. Heute können Mexikaner Filme wie „Gravity“, „Birdman“oder eben „Shape of Water“drehen.
Würden Sie eigentlich auch gerne mal wieder in Ihrer Heimat drehen?
Del Toro: Auf jeden Fall, das ist ein lange gehegter Traum von mir. Ich vermisse Mexiko fürchterlich. Früher hätte ich mir nie vorstellen können, im Ausland zu arbeiten. Und schon gar nicht, dort zu leben. Doch dann wurde mein Vater entführt – und nach seiner Freilassung konnten wir in Mexiko nicht mehr leben. Mit einem Mal war ich ein Exil-Regisseur, gezwungenermaßen. Doch meine Fantasie, meine gesamte Imagination ist nach wie vor durch und durch mexikanisch. Man sieht das bis heute in meinen Filmen: Wie ich das Übersinnliche filme oder mit Gewalt umgehe, ist sehr mexikanisch. Deswegen kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als zurückzukehren und noch einmal dort zu arbeiten. Mir schwebt ein hoch politischer Film über mexikanische Wrestler vor. Klingt verrückt. Aber genau das ist mein Traum.
Was hält Sie von einer Rückkehr ab? Del Toro: Die Sorge um unsere Sicherheit. Solange meine Kinder noch nicht erwachsen sind, sehe ich keine Möglichkeit für eine Rückkehr. Es dauerte damals 72 Tage, bis mein Vater freigelassen wurde, und wir mussten unglaublich viel Lösegeld dafür bezahlen. Aber die Täter wurden nicht alle gefasst. Die Polizei geht davon aus, dass Mexiko für mich und meine Familie noch immer ein gefährliches Pflaster ist …
Interview: Patrick Heidmann