Tafeln helfen mit dem Notwendigsten
Seit Beginn der Initiative vor 25 Jahren sind bundesweit 900 Hilfseinrichtungen entstanden
Berlin
Es ist eine Idee, die durch ihre Einfachheit besticht: Unternehmen produzieren Überschüsse an Nahrungsmitteln, bei sozial Bedürftigen fehlt es am Monatsende oft am Notwendigsten. Warum also nicht einfach überflüssige Lebensmittel an diese Bedürftigen verteilen? Anfang der 1990er Jahre fing eine Berliner Fraueninitiative an, diese Idee umzusetzen und gründete 1993 in der Stadt eine Initiative: Das war die Geburtsstunde der ersten Tafel.
Vorbild waren ähnliche Initiativen in den USA. Mehr als 900 sind im Laufe der Jahre in Deutschland dazugekommen. 60 000 Ehrenamtliche engagieren sich dafür und helfen 1,5 Millionen Menschen, monatlich über die Runden zu kommen. Getragen werden die Tafeln von Wohlfahrtsverbänden und Bürgervereinen. Dazu kommt ein Bundesverband, der sich vor allem um die Logistik kümmert. Bei allem Lob gibt es seit einigen Jahren auch Kritik an der Tafel-Bewegung. Hauptvorwurf ist, dass sich die Tafeln inzwischen von ihrem ursprünglichen Ansatz als Notlösung entfernt hätten und der Politik inzwischen als eine Art Alibi dienten.
Einer der größten Kritiker ist der Sozialwissenschaftler Stefan Selke. Ihm geht es nicht um Ja oder Nein. Die Tafeln, die sich um bedürftige Menschen kümmern, leisteten im Prinzip wertvolle Arbeit. Wirklich notwendig seien aber politische Lösungen wie eine Mindestsicherung, so Selke. Seiner Initiative „Kritisches Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“schlossen sich auch einzelne Verbände von Caritas und Diakonie an.
Aber die Tafeln kontern: Natürlich müsse die Bewegung aufpassen, sich nicht vereinnahmen zu lassen – nicht von der Politik, nicht von Lebensmittelketten. Zugleich betont der Bundesverband, dass die Tafeln nie den Anspruch gehabt hätten, eine Vollversorgung zu bieten. Das sei im Armutsfall eindeutig Aufgabe des Staates. Stattdessen wollten die Tafeln Menschen ermöglichen, sich vielleicht auch mal eine kulturelle Veranstaltung leisten zu können.
Zudem habe sich die Struktur der Kunden in den vergangenen Jahren stark verändert, so der Vorsitzende des Bundesverbandes der Tafeln in Deutschland, Jochen Brühl. Zu Beginn hätten die Tafeln schwerpunktmäßig Obdachlose unterstützt, dann seien Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen. Schon vor dem Sommer
2015 hätten vermehrt Flüchtlinge Hilfe bei den Tafeln gesucht, in jüngster Zeit seien es viele Rentner, die zu ihnen kämen. Von daher seien die Tafeln ein „Seismograf“der Gesellschaft.
Für Sabine Werth, die vor 25 Jahren zu der Gründer-Fraueninitiative gehörte, ist die Tafel-Bewegung so etwas wie ein Lebenswerk. Viele Menschen, die die Tafeln aufsuchten, kämen auch, weil die Einrichtung auch aus einem anderen Grund zu einer wichtigen Anlaufstelle geworden sei. Dort hätten sich wertvolle Begegnungen ergeben, seien Freundschaften entstanden, so die
60-jährige Tafel-Gründerin.