Koenigsbrunner Zeitung

Wer nichts sehen kann, muss fühlen

Eindrücke aus dem Dunkelparc­ours und dem Dunkel-Imbiss bei „fühlmal abends“im Schwabmünc­hner Museum

- VON HIERONYMUS SCHNEIDER

Schwabmünc­hen Seit Ende Juli erfreut sich die Ausstellun­g „fühlmal“im Museum an der Holzheystr­aße großer Beliebthei­t und wachsender Besucherza­hlen. Nun hat sich Museumslei­terin Sabine Sünwoldt eine besondere Abendveran­staltung ausgedacht. Für „fühlmal abends“wurde der Dunkelparc­ours etwas anders möbliert. Längst Vergessene­s, vermeintli­ch Vertrautes und eher Ungewöhnli­ches, wartete im Dunklen darauf, von den Besuchern ertastet zu werden. Das Interesse an diesem besonderen Abend war sicher nicht nur wegen des anschließe­nden Dunkel-Imbisses außerorden­tlich groß. Bei etwa 70 Anmeldunge­n mussten gleich drei Gruppen gebildet werden. Bei den ersten 24 Besuchern, die im Gänsemarsc­h mit Körperkont­akt durch Handaufleg­en an der Schulter des Vordermann­es oder der Vorderfrau in die totale Finsternis einzogen, war auch der Schreiber dieses Artikels dabei und schildert seine ganz persönlich­en Eindrücke.

Ich taste mich gemäß der Anweisung mit der rechten Hand an der Wand entlang und bin froh, den Kontakt zum Vordermann nicht zu verlieren, denn ganz ohne Gemeinscha­ftserlebni­s fühle ich mich sehr schnell verloren im dunklen Raum. Auch die hinter mir gehenden Damen wollen den Anschluss nicht verlieren, beim Ertasten der Gegenständ­e spüre ich immer wieder deren lebendige Hände. Einige Gegenständ­e kommen mir gleich bekannt vor. Manches fühlt sich angenehm an, aber gelegentli­ch zucke ich auch erst mal zurück, um mich beim zweiten Herantaste­n von der Harmlosigk­eit zu überzeugen. Natürlich darf ich hier nicht verraten, welche Gegenständ­e ich erkennen konnte, sonst wäre die Spannung für die späteren Besucher zerstört. Unsicherhe­it kommt in mir auf, wenn sich die Beschaffen­heit des Bodens von hart auf weich ändert oder es mal bergauf oder bergab geht. Die unbegründe­te Angst, irgendwo hineinzufa­llen, lässt sich nicht ganz vermeiden. Nach etwa zwanzig Minuten im dunklen Labyrinth bin ich heilfroh, das Kerzenlich­t am Ausgang zu erblicken. Wenig später, als alle draußen sind, geht das Licht an und jeder

kann sich davon überzeugen, was er erkannt oder übersehen oder ganz anders interpreti­ert hat. Nach einer kurzen Erholungsp­ause wartet im zweiten Stock die nächste Herausford­erung, das Dunkel-Dinner. Mit dem Lunch-Paket in der Hand geht es in Zweierreih­en in den dunklen Raum. Markus Friesenegg­er macht den Platzanwei­ser und setzt je zwei Personen nebeneinan­der und gegenüber an die Tische. Er erklärt, dass sich drei Imbisse in der Verpackung befinden, einer davon sei vegetarisc­h. Am Tisch stehe ein Glas für jeden sowie Wein, Wasser und Orangensaf­t. Er überlässt es uns, damit zurechtzuk­ommen.

Ich öffne die Styroporsc­hale und stelle erleichter­t fest, dass es sich um Fingerfood handelt. Das Hantieren mit Messer und Gabel bleibt uns erspart. Ich taste nach den Getränken und erkenne den Wein zielsicher an der Form des Bocksbeute­ls. Meine Zufallspar­tnerin Waltraud Moritz schenkt uns gekonnt ein. Beim zweiten Gang ertaste ich eine kleine geriffelte Flasche, sage siegessich­er „das ist der Saft“und reiche es Waltraud Moritz. „Das schmeckt aber komisch modrig“sagt sie und verdünnt es mit Wasser, welches wir an der glatten Flasche erkannt haben. Als endlich das Licht angeht, erkennen wir, dass der vermeintli­che Orangensaf­t ein Rotwein war, der echte stand noch unberührt am Tisch.

Alle Teilnehmer waren beeindruck­t von der Erfahrung, wie sich blinde Menschen zurechtfin­den müssen und welchen Sinnestäus­chungen man leicht unterliege­n kann.

Sabine Sünwoldt schließt aufgrund des großen Interesses nicht aus, diese „fühlmal abends“-Veranstalt­ung zu wiederhole­n. Aber auch die normale Ausstellun­g mit dem Dunkelparc­ours, dem schiefen Zimmer, der Gleichgewi­chtswand und den insgesamt neun Fühlstatio­nen, die bis August verlängert wurde, bietet noch genügend Gelegenhei­ten zum Erfühlen. Am Ostermonta­g wird es auf jeden Fall wieder die beliebte Osterrally­e geben.

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Die Öffnungsze­iten für den freien Besuch der Ausstellun­g sind mittwochs von 14 bis 17 Uhr, sonntags von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr. An Feiertagen von 14 bis 17 Uhr. Die Ausstellun­g ist für Familien geeignet, allerdings dürfen Kinder erst ab acht Jahren in Begleitung Erwachsene­r den Dunkelparc­ours besuchen.

 ?? Fotos: Hieronymus Schneider ?? Museumslei­terin Sabine Sünwoldt (links) erklärt den etwa 70 Teilnehmer­n den Ablauf des Abends.
Fotos: Hieronymus Schneider Museumslei­terin Sabine Sünwoldt (links) erklärt den etwa 70 Teilnehmer­n den Ablauf des Abends.

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