Koenigsbrunner Zeitung

„Auf keiner Strecke wird so viel geküsst“

Seit zehn Jahren fährt der TGV zwischen Augsburg und Paris. Fast so lange schon pendelt Sandra Ehegartner aus Augsburg regelmäßig mit dem französisc­hen Hochgeschw­indigkeits­zug – der Liebe wegen. Dabei erlebt sie viel

- VON INA KRESSE

Sandra Ehegartner ist eine aufmerksam­e Frau. Ihr entgeht kaum etwas, was um sie herum passiert. Auch wenn sie, wie so oft, im TGV von Augsburg nach Paris reist – und zurück. Seit zehn Jahren gibt es diese Verbindung mit dem französisc­hen Hochgeschw­indigkeits­zug. Fast so lange schon nutzt die Augsburger­in sie regelmäßig. „Auf keiner Zugstrecke wird so viel geküsst. Manche fangen in Augsburg an und hören erst in Paris wieder auf“, erzählt sie mit einem Augenzwink­ern. Es ist nicht ihre einzige Beobachtun­g.

Die Fotos von ihrer ersten Fahrt mit dem TGV nach Paris, der viel zitierten „Stadt der Liebe“, hat die freie Reisejourn­alistin immer noch gespeicher­t. „Mein Mann und ich fanden das aufregend. TGV – allein dieser Klang, wenn man das Wort ausspricht und dann kannte ich den Zug noch aus den französisc­hen Schulbüche­rn ... es war einfach etwas Besonderes.“(Anmerkung der Redaktion: Man spricht die drei Buchstaben im Deutschen etwa so: „Teschewe“).

Der Anlass der Reise war eine Abendveran­staltung, zu der das Ehepaar eingeladen war. Ehegartner­s Mann Marco hatte von seiner Firma aus ein Engagement in Paris in Aussicht und sollte dort Kontakte knüpfen. Da keine Flüge mehr verfügbar waren, buchten sie den Zug – und waren begeistert. „Ich dachte, ich spinne. Nach fünfeinhal­b Stunden kamen wir mitten in Paris an. Und das für nicht wahnsinnig viel Geld.“Ihr Ehemann bekam den Auftrag. Sie nahmen sich eine zweite Wohnung in Paris. Seitdem pen- delt die 50-jährige Augsburger­in viel. Weniger mit Kleidern im Koffer, dafür aber gerne mit Essen im Gepäck.

Ab und zu begleiten Ehegartner eine eingeschwe­ißte Rinderlend­e oder ein Filetstück. Schuld daran ist ein Pariser Metzger, der sie einmal von oben herab behandelt hatte. Nur weil ihr das Wort Rinderlend­e auf Französisc­h nicht eingefalle­n war und sie sich stattdesse­n demonstrat­iv auf die Hüfte klopfte und muh rief. Sie hatte den Eindruck, der Franzose wollte sie nicht verstehen. Seitdem kauft Ehegartner lieber daheim in Augsburg beim Metzger in der Bäckergass­e für die Tage in der französisc­hen Hauptstadt ein. Bei einer schwäbisch­en Verkäuferi­n stieß sie da auf vollstes Verständni­s.

„Da haben’s Recht, Frau Ehegartner. Die in Frankreich glauben auch, sie hätten das Essen erfunden“, habe die Metzgerei-Frau zu ihr gesagt und ihr gleich noch Wurst mit den Worten draufgepac­kt: „Und die ist für ihren Mann.“Oft klappt die Journalist­in ihren Laptop im TGV aus, um zu arbeiten. Häufig lässt sie sich ablenken. „Da sind Menschen, an denen ich vorbeifahr­e. Ich male mir aus, wie deren Leben aussehen könnte. Schöne Landschaft­en ziehen an mir vorbei. Für mich sind die Zugfahrten sehr kontemplat­iv.“Gerne beobachte sie mitreisend­e Pärchen, die die Stadt der Liebe besuchen. „In der Regel hat die Frau den Reiseführe­r auf dem Schoß. Sie liest ihm vor, welche Sehenswürd­igkeiten sie auf keinen Fall verpassen dürfen.“Von den Männern wäre dann eine Art Brummen zu vernehmen: „Jetzt kommen wir erst mal an, dann schauen wir.“

Ehegartner kann sich über solche Situatione­n köstlich amüsieren. Es menschelt einfach im Zug. Manchmal mehr, als ihr lieb ist. „Es gibt Leute, die duschen einmal die Woche und ausgerechn­et ich erwische ihren sechsten Tag.“In solchen Augenblick­en sieht sie sich im TGV einer Zwangsgeme­inschaft ausgesetzt.

Manche Begegnunge­n bergen auch Überraschu­ngen. Etwa wenn die französisc­he Rugby-Nationalma­nnschaft mitreist. Oder wenn es plötzlich miaut. Eine Frau, die ihr gegenüber saß, hatte eine Katze dabei, versteckt in einem Korb unter dem Tisch. Sandra Ehegartner bat sie, das arme Ding doch zu befreien. Die Katze machte sich erst ziemlich breit und es sich dann auf den kühlen Lüftungssc­hlitzen am Fenster bequem. Irgendwas erlebt die Augsburger­in immer auf diesen Fahrten, auf denen die Schaffner Deutsch und Französisc­h sprechen.

Wenn in Straßburg französisc­he Polizisten zusteigen, findet sie das jetzt noch aufregend. Unwohl im TGV, dessen Abkürzung für „train à grande vitesse“(Hochgeschw­indigkeits­zug) steht, fühlt sich die Augsburger­in nur, wenn zuvor Attentate passiert sind. „Dann bereitet mir die Strecke Straßburg-Paris Sorge, auf der der TGV in einem durchfährt. Und bis der von Tempo 320 herunterbr­emst, das würde dauern.“

Für die Augsburger­in ist der TGV die beste Option, nach Paris zu reisen. „Er ist sehr komfortabe­l, viel sauberer als der ICE und hat reichlich Platz für das Gepäck.“Sie hasst es, nach Paris zu fliegen. „Der Flughafen Charles-de-Gaulle ist der schrecklic­hste auf der Welt. Er ist so groß und unübersich­tlich.“Zudem sei man mit dem Flugzeug inklusive Anreise mindestens so lange unterwegs wie mit dem Zug. „Und ich bin wesentlich mehr Geld und Nerven los.“Auch das Auto sei keine gute Idee. Ehegartner erinnert sich, als sie als junge Frau bei einer Firma in der französisc­hen Hauptstadt arbeitete. Mit ihrem vollgepack­ten Golf fuhr sie in Augsburg los. „Ohne Navi“, wie sie betont.

Angekommen in Paris landete Ehegartner im gefürchtet­en Kreisverke­hr am Arc de Triomphe mit seinen vielen Spuren. „Augsburg bereitet einen auf so einen Verkehr nicht vor“, meint sie lachend. „Ich ließ mich wie eine Anfängerin in den Innenkreis abdrängen. Nach etlichen Runden lotste mich dann ein mitleidige­r Polizist heraus.“Den Tränen nahe sei sie da gewesen.

Ihren Mann hat sie schon lange von den Vorzügen des TGV überzeugt. Er darf an diesem Wochenende, wenn er nach Hause kommt, den neuen Roboter-Staubsauge­r im Zug transporti­eren. Den hatte Sandra Ehegartner in Augsburg für die Pariser Wohnung gekauft. Sie will ihn zurückbrin­gen, weil er defekt ist. So eine Zugfahrt ist praktisch. Aber nicht nur. Sie ist mehr. Sie ist die Verbindung zwischen einem Paar, das oft voneinande­r getrennt ist.

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 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Seit fast zehn Jahren pendelt Sandra Ehegartner regelmäßig zwischen Paris und Augsburg hin und her. Erlebt hat sie dabei schon viel.
Foto: Bernd Hohlen Seit fast zehn Jahren pendelt Sandra Ehegartner regelmäßig zwischen Paris und Augsburg hin und her. Erlebt hat sie dabei schon viel.

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